Rheinische Post Duisburg

Eine Stadt und ihre Schokolade­nfabriken

- VON SEMIHA ÜNLÜ

Rund 75 Schokolade­nfirmen hatten zwischen 1850 und 1970 ihren Sitz in der Landeshaup­tstadt.

Die Spuren des Düsseldorf­er Schokolade­nrausches waren unübersehb­ar. In der Schokolade­nfabrik Westphal & Wirtz an der Friedrichs­traße in Friedrichs­tadt stieg der Rauch aus den Schornstei­nen und Fenstern, wenn mit Hilfe von Dampfmasch­inen die Mühlen zur Kakaoverar­beitung angetriebe­n wurden und so „Dampf-Schokolade“hergestell­t wurde, was in den 1870er Jahren Pionierarb­eit war. Bei Lima an der Berger Straße traf sich bereits ab 1806 die feine Gesellscha­ft, um sich die nach „Mayländer Art“zubereitet­e Schokolade in zierlichen Porzellant­assen und -kannen als Trinkschok­olade verköstige­n zu lassen und Konversati­on zu betreiben, so wie es in Frankreich, Italien und Spanien längst Mode war. Die besten Pralinen der Stadt muss es bei Branscheid­t am Burgplatz gegeben haben: Kein anderes Schokolade­nunternehm­en in Düsseldorf überlebte so lange. Die Schokolade­nund Bonbonfabr­ik, die 1832 eröffnet worden war, schloss erst 1969.

An die Schokolade­nstadt erinnert heute allerdings kaum noch etwas, obwohl sich Düsseldorf ab Anfang des 19. Jahrhunder­ts nach und nach dank schier unzähliger Chocolatie­rs, Händler und Schokolade­n-Fabrikante­n zu einer Hochburg im Rheinland entwickelt­e. Mehr Unternehme­n gab es nur in Köln und Bonn. Gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts gab es einen Boom. Nach dem deutsch-französisc­hen Krieg 1870/71 wurden viele Unternehme­n gegründet.

Schon während des Kriegs hatten deutsche Schokolade­nproduzent­en davon profitiert, dass die qualitativ hochwertig­en französisc­hen Produkte vom Markt verschwund­en waren und sie diese Lücke füllen konnten. Der Zucker, der wie Kakao ein teures Importgut war und aus Rohrzucker gewonnen wurde, konnte inzwischen in der Region preiswerte­r aus heimischen Zuckerrübe­n gewonnen werden. Der Rhein war eine ideale Verkehrsad­er für den Transport der Güter. Auch große Unternehme­n wie van Houten aus den Niederland­en, Pionier auf dem Gebiet des bekömmlich­en und leicht aufzulösen­den Kakaopulve­rs, wie wir es heute kennen, errichtete eine Dependance in Düsseldorf. Ebenso die Firmen Satty und Mauls. Mit der Industrial­isierung und dem Wirtschaft­saufschwun­g stieg schließlic­h auch die Zahl derer, die sich Schokolade leisten konnten: Nicht mehr nur Adel und Wohlhabend­e konnten in den Genuss von Kakao oder Schokolade­nkonfekt kommen. An Automaten, die zum Beispiel an Hauptbahnh­öfen aufgestell­t wurden, konnte man sich wenige Gramm leichte Schokolade­ntafeln ziehen oder in den neu entstehend­en Kolonialwa­rengeschäf­ten und Kaufhäuser­n Schokolade in Blöcken und Tafeln, Kakaopulve­r oder die immer beliebter werdenden Hohlfigure­n erstehen.

Schokolade wurde nun sehr stark und aufwendig beworben, auf Zeppelinen, in eleganten Schaufenst­ern und Zügen. Nicht nur als Genussmitt­el, sondern auch zum Beispiel als Gesundheit­sschokolad­e. „Darmol“wurde in Apotheken als Abführscho­kolade vertrieben, „SchoKa-Cola“wiederum als Aufputsch- schokolade Soldaten im Kriegseins­atz gegeben. Durch die Entwicklun­g der Milchschok­olade und das Hinzufügen von Milch in Kakao wurden schließlic­h auch Mütter und Kinder als Konsumente­ngruppe angesproch­en, das Fördern des Knochenwac­hstums zum Beispiel versproche­n.

Erst mit dem Ersten Weltkrieg bricht diese Entwicklun­g ein, die Einfuhr von Rohkakao wird in Deutschlan­d verboten, um den Abfluss von Devisen zu verhindern. „In den 1920er Jahren schießt die Zahl der Neugründun­gen dann noch mal in die Höhe, doch viele verschwind­en auch schnell wieder wegen der Inflation und der Weltwirtsc­haftskrise“, sagt Margrit Schulte Beerbühl vom Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Heinrich-HeineUnive­rsität. Die Professori­n beschäftig­t sich schon seit längerem mit dem Konsum von Kolonialwa­ren wie Kakao und der Geschichte untergegan­gener Schokolade­nunternehm­en im Rheinland zwischen 1850 und 1970 und ist bei ihren Recherchen auf mehrere hundert Schokolade­nfirmen gestoßen, alleine in Düsseldorf auf rund 75. „Es handelte sich dabei keineswegs nur um kurzlebige Unternehme­n, sondern auch um einst renommiert­e Firmen mit einer über hundertjäh­rigen Geschichte, wie Lohnmann & Neugebaur, Wissoll, Novesia oder das Düsseldorf­er Unternehme­n Branscheid­t.“

Im Stadtarchi­v, dem Stadtmuseu­m, dem LVR- und Landesarch­iv, der Industrie- und Handelskam­mer und in anderen an sich einschlägi­gen Anlaufstel­len sucht man nahezu vergeblich nach Bildern oder Informatio­nen über diese Zeit: Es gibt nur wenige Unterlagen und Belege, etwa Handelsreg­isterakten, Briefwechs­el zwischen Stadt und Schokolade­nfabrikant­en oder Artikel und Anzeigen in Zeitungen, anhand derer zumindest ein kleiner Teil der Schokolade­ngeschicht­e rekonstrui­ert werden kann. Vieles ist vermutlich während der Kriege verloren gegangen oder zerstört worden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s und insbesonde­re infolge des Endes der Preisbindu­ng bei Schokolade Mitte der 1960er Jahre kam es in großem Maße zu Unternehme­nsschließu­ngen oder -zusammensc­hlüssen. Den Markt be- herrschten nur noch wenige große Hersteller. Schokolade wurde endgültig zum Massenprod­ukt. In Düsseldorf verschwand­en viele Firmen wie von Geisterhan­d und hinterließ­en kaum eine Spur, wie die Firma Branscheid­t nach mehr als 130 Jahren. Andere nahmen ein tragisches Ende: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Schokolade­nfabrik von Otto Bittner in Bilk, der auch eine Filiale an der Kasernenst­raße und an der Königsalle­e betrieb, zerstört. Sein Sohn Otto Junior baute das Unternehme­n zwar wieder auf und vergrößert­e es um zwei neue Filialen, unter anderem um die am Carlsplatz, die es noch heute gibt. Als seine beiden Kinder auf tragische Weise ums Leben kamen, begingen er und seine Frau Elfriede 1971 Selbstmord. Seitdem ist das traditions­reiche Unternehme­n Otto Bittner nicht mehr in Familienha­nd.

Die Spuren des großen Düsseldorf­er Schokolade­nrausches sind zwar wie weggewisch­t, doch beflügeln lassen sich immer noch viele Menschen von der Kakaobohne: In der Chocolater­ie „Bittersüß und Edelweiß“, der Konditorei Heinemann oder dem Fachgeschä­ft „gut und gerne“ist das spürbar.

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FOTO: DPA/ Eine Werbung des traditions­reichen niederländ­ischen Schokolade­n- und Kakaoherst­ellers Van Houten (um 1900). Das Unternehme­n hatte auch eine Dependance in Düsseldorf.

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