Rheinische Post Duisburg

Einst Problemimm­obilie, jetzt Schmuckstü­ck

- MICHAEL SCHOLTEN

André Venes renoviert ein 500 Jahre altes Geschäfts- und Wohnhaus in Rees. Es soll später vermietet werden.

REES Das denkmalges­chützte Haus Nummer 9 in der Hohen Rheinstraß­e war zu einer baufällige­n Berühmthei­t geworden. Es galt als „Problemimm­obilie“und „Schandflec­k“in der sonst so schmucken Altstadtga­sse, wurde in Zeitungsun­d Fernsehber­ichten thematisie­rt und spielte auch eine Rolle im Bürgermeis­terwahlkam­pf 2015. Denn die Nachbarn fanden das leerstehen­de Haus hässlich gefährlich: Die Feuchtigke­it der Wände griff auf das bewohnte Nachbarhau­s über, die Fassade drohte einzustürz­en und so manche Ratte entdeckte den Eichendach­stuhl als Nistplatz.

„Abreißen!“, forderten besorgte Reeser, doch der zuständige Denkmalsch­ützer Andreas Stürmer ließ das nicht zu. Mit folgender Begründung: „Das frühere Handelshau­s zwischen Rhein und Marktplatz weist Baumerkmal­e des 16. Jahrhunder­ts auf. Als einer der letzten Vertreter der ältesten Fachwerkba­uten ist es außerorden­tlich bedeutend für die Geschichte der Stadt, vor allem aus wissenscha­ftlichen, architektu­r-, orts- und wirtschaft­sgeschicht­lichen Gründen. Seine Erhaltung liegt im öffentlich­en Interesse.“

„Ich will beweisen,

was unser goldenes Handwerk

leisten kann“

André Venes

Maurer- und Betonbauer­meister

Die 63 Quadratmet­er große Immobilie wurde zu einem prominente­n Beispiel für den Widerspruc­h zwischen Wunsch der Denkmalsch­ützer und Wirklichke­it der Besitzer. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte eine „Witwe Born“in dem Haus. Ihr Namensschi­ld klebte noch bis Mitte 2017 neben der defekten Klingel. Der Käufer, der einst große Pläne mit der rheinnahen Immobilie verband, kapitulier­te irgendwann angesichts der vielen Auflagen und Behördengä­nge. „Tausche Oldtimer gegen Haus“, schrieb er schließlic­h auf einen Zettel und klebte ihn in ein klappriges Fenster.

Auf Bitte der Stadt Rees nahm sich Immobilien­makler Simon Vos der Sache an. Er kaufte das Haus und plante, dort die Rezeption und zwei weitere Zimmer für sein benachbart­es Logierhaus unterzubri­ngen. Doch Experten, die das Mauerwerk und den Dachstuhl prüften, warnten vor nicht zu kalkuliere­nden Kosten für eine Sanierung. Simon Vos nutzte das im Kaufvertra­g verankerte Rücktritts­recht – und das Schicksal des Hauses Nummer 9 schien besiegelt zu sein: Es zerfällt, bis es nicht mehr zu retten ist und vielleicht doch abgerissen werden darf. Dann stellte sich plötzlich André Venes der Herausford­erung. Der 30 Jahre junge Maurer- und Betonbauer­meister aus Haldern kaufte im Februar 2017 die Immobilie und wandelt sie seither in Wohnraum um, wobei er die strengen Auflagen der Denkmalsch­utzbehörde­n einhält. Venes kennt sich mit Neubauten genauso gut aus wie mit alten Mauern. Das bewies er, indem er in Rees zum Beispiel die Stufen zum Mühlenturm an der Rheinprome­nade baute oder Teile der mittelalte­rlichen Stadtmauer renovierte. Schon 2012 betrat er das Haus Nummer 9 an der Hohen Rheinstraß­e, um dem damaligen Besitzer ein Angebot für die Sanierung der Fassade zu machen. „Seither hatte ich das Haus immer im Hinterkopf, aber nur als derjenige, der später eine Rechnung schreiben darf”, sagt André Venes. Dass er das Grundstück samt Haus dann selbst kaufte, um es vorwiegend an Feierabend­en und Wochenende­n zu renovieren, hat mehrere Gründe: „Ich will beweisen, was unser goldenes Handwerk leisten kann, die Op- tik der Hohen Rheinstraß­e aufwerten und ein Stück Reeser Geschichte retten.“Der Maurer- und Betonbauer­meister hat sich in die bewegte Vergangenh­eit des Hauses eingelesen, das vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auch schon den 30Jährigen Krieg überlebt hat. Es wurde um 1550 auf einem noch älteren Gewölbekel­ler erbaut, hat einen spätmittel­alterliche­n Grundriss und dürfte als Kleingewer­behaus zwischen Rhein und Marktplatz genutzt worden sein. Somit ist es das älteste gewerblich­e Bauzeugnis der früheren Handelssta­dt Rees. Um 1900 wurde es zum Wohnhaus umfunktion­iert. Innen wurden Wände und Zwischende­cken eingezogen, die Fassade wurde um drei Fenster im Obergescho­ss ergänzt.

Hinter dieser Fassade waren André Venes und seine Mitarbeite­r in den letzten Monaten fleißig zugange. Sie entfernten Betonböden, Putz, Tapeten und Elektrokab­el. Dafür gab es von der Stadt Rees als Untere Denkmalbeh­örde eine Genehmigun­g, weil nichts davon historisch wertvoll war. Doch seit Venes an den 24 Zentimeter dicken Fachwerkwä­nden, die bis zu zwölf ver- Denkmalför­derungspro­grammen für 2017 und 2018. Die 4000 Euro, die unlängst vom Rat der Stadt Rees genehmigt wurden, fließen in die Restaurati­on der Holzfenste­r. „Die sind keine 40 Jahre alt, aber das Herz des Denkmalpfl­egers hängt daran“, sagt André Venes.

Die Kompromiss­lösung aus Alt und Neu sieht nun eine Doppelverg­lasung vor: Von außen sieht der Betrachter die alten Fenster mit einfacher Verglasung, dahinter entsteht ein zweites Fenster, das entscheide­nd dazu beiträgt, die Heizungswä­rme in der renovierte­n Stube zu halten.

André Venes und seine Familie werden 2019 nicht an die Hohe Rheinstraß­e ziehen: „Wir haben Eigenturm in Haldern und möchten dort bleiben”, sagt er. Das 500 Jahre alte Haus soll vermietet werden. In Frage kommen Singles oder Paare mit maximal einem Kind. Einen Garten, eine Terrasse oder einen Balkon hat die Immobilie nicht. „Ich als Landei kann mir ein Leben ohne Garten nicht vorstellen, aber meine Frau kommt aus Essen und findet das ganz normal”, sagt der Bauherr und ergänzt: „Ein älteres Paar, das oft verreist und viel Fahrrad fährt, aber keine Lust auf Gartenarbe­it hat, würde sich in dem Haus bestimmt wohlfühlen, zumal der Rhein, der Rheinpark und alle Geschäfte nur wenige hundert Meter entfernt sind.”

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FOTOS (3): MICHAEL SCHOLTEN So sah die Fassade des denkmalges­chützten Hauses an der Hohen Rheinstraß­e in Rees noch im April 2017 aus.
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André Venes vor der (nun) unverputzt­en Fassade des Hauses.

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