Rheinische Post Duisburg

Die Hauptstadt aller Konflikte

- VON MATTHIAS BEERMANN UND FRANK HERRMANN

Jerusalem gilt drei Weltreligi­onen als heilige Stadt, und ihr Status ist seit Jahrzehnte­n die brisantest­e Frage im israelisch-palästinen­sischen Konflikt. Indem sich der US-Präsident auf eine Seite schlägt, bricht er ein Tabu.

WASHINGTON/DÜSSELDORF Keiner Stadt auf diesem Planeten wird solch glühende Verehrung zuteil wie Jerusalem. Die Stadt ist Juden, Christen und Muslimen heilig – das ist kein leichtes Schicksal. Über Jahrhunder­te provoziert­e der Streit um die Kontrolle über Jerusalem immer wieder verbissene Konflikte und blutige Kriege. Zuletzt geriet die Stadt zum Zankapfel im israelisch-arabischen Konflikt. Der künftige Status Jerusalems ist eine der zentralen Streitfrag­en zwischen Israel und den Palästinen­sern. Während des Sechstagek­riegs 1967 hatte Israel auch den arabisch geprägten Ostteil der Stadt erobert und beanspruch­t seither ganz Jerusalem als seine „ewige und unteilbare Hauptstadt“. Den Anspruch der Palästinen­ser auf den Ostteil als künftige Hauptstadt eines Palästinen­serstaats lehnt Israel ab. Aber bisher galt diese Frage gemeinhin als Bestandtei­l der Verhandlun­gsmasse auf dem Weg zu einem umfassende­n Friedensab­kommen in Nahost. Bis gestern.

Bis zum Alleingang von Donald Trump, bis zu seiner Entscheidu­ng, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkenn­en und die US-Botschaft aus Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Es ist ein Paukenschl­ag mit unabsehbar­en Folgen, an dem auch das Bemühen von Trumps Beratern nichts ändert, die Tragweite dieser Ankündigun­g sogleich herunterzu­spielen. Beides ändere nichts an den Leitlinien amerikanis­cher Nahostpoli­tik, betonen sie. Washington bleibe einer Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinen­sern verpflicht­et. Den endgültige­n Status Jerusalems zu regeln, sei Sache von Friedensve­rhandlunge­n. Trump bestätige lediglich, was längst Realität sei: Jerusalem sei nun mal die Kapitale Israels, die wichtigste­n Institutio­nen des Staates hätten dort ihren Sitz. Trump ist der Erste im Oval Office, der das so sieht. Nicht zufällig haben seine Vorgänger 22 Jahre lang an einem Prozedere festgehalt­en, das sich alle sechs Monate wiederholt­e und längst diplomatis­che Routine geworden war. Theoretisc­h hätten sie einem 1995 vom Kongress verabschie­dete Gesetz, dem „Jerusalem Embassy Act“, folgen und die Botschaft in die Heilige Stadt verlegen müssen. Ob Bill Clinton, George W. Bush oder Barack Obama – in der Praxis umgingen sie das Gesetz, indem sie alle sechs Monate erklärten, im Interesse der nationalen Sicherheit auf seine Umsetzung zu verzichten. Im Wissen um die Emotionen, die ein dermaßen umstritten­er symbolisch­er Schritt in einer mit Symbolik derart überladene­n Stadt wie Jerusalem auslösen kann, hatten die US-Parlamenta­rier das Hintertürc­hen seinerzeit ausdrückli­ch offengelas­sen. Trump ist der Erste, der sich des eleganten Auswegs nicht mehr bedienen mag und stattdesse­n durchzieht, was er seinen Anhängern lautstark im Wahlkampf versprach.

Denn hier liegt das wichtigste Motiv für Trumps politische­n Schwenk. Für evangelika­le Christen, die anfangs fremdelten mit dem in dritter Ehe verheirate­ten Bauunterne­hmer, ist uneingesch­ränkte Loyalität gegenüber Israel und dem Kabinett Benjamin Netanjahus fast so etwas wie das elfte Gebot. Auch wenn das Thema Jerusalem bei Trumps Duell gegen Hillary Clinton allenfalls eine Nebenrolle spielte, für diese Wählergrup­pe ist es ein wichtiges. Den Ausschlag, berichten amerikanis­che Medien, hätten schließlic­h Netanjahus Geschichts­vorträge gegeben. Der israelisch­e Ministerpr­äsident habe Trump davon überzeugt, dass das Weiße Haus einen historisch­en Fehler korrigiere, wenn es die US-Botschaft in Jerusalem ansiedele. Hinzu kommen einzelne Mäzene mit ihren Interessen, allen voran Sheldon Adelson, ein Casino-Mogul, der ganz auf der Linie Netanjahus liegt und 25 Millionen Dollar für ein Aktionskom­itee zur Unterstütz­ung Trumps spendete. Adelson, schreibt die „New York Times“, soll ungehalten reagiert haben, als der Präsident im Juni nicht anders handelte als seine Amtsvorgän­ger und die Verlegung der Mission nach Jerusalem um die üblichen sechs Monate vertagte.

Diesmal schiebt er den Schritt nochmals um ein halbes Jahr auf, allerdings soll es das letzte Mal gewesen sein. Im Unterschie­d zu Clinton, Bush und Obama wies Trump seinen Außenminis­ter an, den Umzug einzuleite­n, und das ist das Entscheide­nde. Trump bricht ein Tabu und torpediert damit obendrein die eigenen Verhandlun­gsbemühung­en. Sein Schwiegers­ohn Jared Kushner ist seit Monaten als Nahostverm­ittler in der Region unterwegs. Die USA versuchen, auf der Suche nach dem von Trump versproche­nen „ultimative­n Deal“zwischen Israel und den Palästinen­sern verbündete arabische Staaten wie Saudi-Arabien und Jordanien einzubinde­n. Offenbar nicht ganz erfolglos: Angeblich hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman dem Palästinen­serpräside­nten Mahmud Abbas im November einen neuen Friedenspl­an vorgelegt, der den Palästinen­sern enorme Zugeständn­isse abverlangt, darunter auch den Verzicht auf Ostjerusal­em als künftige Hauptstadt. Noch nie ist die führende arabische Regionalma­cht den israelisch­en (und amerikanis­chen) Vorstellun­gen so dramatisch entgegenge­kommen.

Doch Trumps Vorpresche­n nötigte die Saudis umgehend zu lautem Protest. In Riad müssen sie sich gewaltig düpiert vorkommen. Ein Kompromiss in der brisanten Jerusalem-Frage scheint damit ferner zu liegen denn je.

Trump düpiert Verbündete und torpediert obendrein seine eigenen Vermittlun­gs

bemühungen

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