Rheinische Post Duisburg

Die Iran-Illusion

- VON MATTHIAS BEERMANN

Westen projiziere­n wir gerne unsere Wünsche auf die iranische Politik und setzten unsere Hoffnungen auf sogenannte Reformer. Doch die von Ajatollah Khomeini begründete Herrschaft der Mullahs ist kaum zu reformiere­n.

TEHERAN Unser Bild vom Iran ist geprägt von Bildern wie aus einem Hollywood-Streifen. Das Land wirkt in dieser Vorstellun­g wie ein düsteres Imperium, an dessen Spitze allmächtig der ganz in Schwarz gewandete Revolution­sführer Ali Chamenei thront, bejubelt von seiner Gefolgscha­ft frömmelnde­r Mullahs und beschützt von seinen grimmigen Revolution­sgardisten. Zum Glück glimmt noch die Kraft des Guten in diesem Land, in Gestalt des mutigen Präsidente­n Hassan Ruhani und seiner Truppe der Reformer, die den erzkonserv­ativen Mächten der Finsternis die Stirn bieten und dafür kämpfen, dass der Iran eine liberale Demokratie wird.

Für eine Kinoproduk­tion mag ein solches Drehbuch funktionie­ren, mit der Wirklichke­it hat es nicht viel zu tun. Die ist im Iran weitaus komplizier­ter als das Schwarzwei­ß-Schema von Gut und Böse. Und genau dies macht die Einschätzu­ng der derzeitige­n Proteste und ihrer möglichen Tragweite auch so schwer.

Klar ist nur, dass es in Teilen der iranischen Bevölkerun­g ein tiefes Gefühl der Unzufriede­nheit mit den herrschend­en Verhältnis­sen gibt. Das bezieht sich vor allem auf die sozio-ökonomisch­e Situation vieler Menschen: Fast jeder zweite Iraner lebt bedrohlich nahe an der Armutsgren­ze, während viele Günstlinge und Profiteure des Regimes ihren Reichtum ungeniert zur Schau stellen dürfen. Der Protest richtet sich gegen diese soziale Unwucht, gegen die allgegenwä­rtige Korruption, aber durchaus auch gegen den politische­n Stillstand, der das Land wirtschaft­lich wie gesellscha­ftlich lähmt.

Das liegt vor allem daran, dass die von Ajatollah Khomeini vor beinahe vier Jahrzehnte­n begründete Theokratie nicht für einschneid­ende Veränderun­gen angelegt ist. Die Islamische Republik wurde mit dem Anspruch ins Leben gerufen, als ideale Staatsform unbegrenzt fortzubest­ehen. Und das letz- te Wort in diesem Staat haben nicht die Bürger, nicht die Politiker, sondern der hohe Klerus. Die Geistliche­n mit Ali Chamenei an ihrer Spitze bestimmen die Spielregel­n der Politik. Auch bei den vergangene­n Wahlen schlossen sie 90 Prozent der Kandidaten, nämlich all jene, die den Konservati­ven ideologisc­h nicht opportun erschienen, von der Abstimmung aus. Auch die Entscheidu­ng, wer als Präsident kandidiere­n darf, fällt in diesem Machtzirke­l.

Deswegen ist die Vorstellun­g, der derzeitige Amtsinhabe­r Hassan Ruhani sei so etwas wie der rebellisch­e Gegenspiel­er des Revolution­sführers, eine naive Illusion. Ruhani durfte sich nur deswegen zweimal um das höchste politische Amt bewerben, weil sich Chamenei sicher sein konnte, dass Ruhani die absolute Vorherrsch­aft der Kleriker niemals antasten würde. Ruhani mit seinem verbindlic­hen Auftreten war nützlich, weil er das Ende der westlichen Sanktionen herbeiverh­andeln konnte. Er ist ein moderater Konservati­ver, der den Bürgern mehr Freiheiten zugestehen und die Wirtschaft stärker für ausländisc­he Investitio­nen öffnen will. Ein radikaler Reformer, der einen Systemwech­sel anstrebt, ist Ruhani ganz gewiss nicht.

In gewisser Weise ist die Lage im Iran vergleichb­ar mit der Situation in vielen Ostblockst­aaten in den Jahren unmittelba­r vor dem Fall der Mauer: Fast überall wurden wirtschaft­liche Reformen versucht, die aber ihre Wirkung kaum entfalten konnten, weil das ideologisc­he Korsett zugeschnür­t blieb und vor allem an den Machtverhä­ltnissen nicht gerüttelt werden durfte. Der Ostblock zerbrach an diesen Widersprüc­hen, und ähnliches könnte auch im Iran passieren. Was leider nicht bedeutet, dass dieser Umbruch ebenso unblutig verlaufen würde wie das Ende des real existieren­den Sozialismu­s.

Denn es gibt mächtige Gruppen im Iran, die größtes Interesse daran haben, dass sich möglichst wenig ändert. Neben der herrschend­en Geistlichk­eit sind dies vor allem die Revolution­sgarden, die Pasdaran, die beinahe einen Staat im Staate bilden. Mit rund 125.000 Mann unter Waffen gilt die paramilitä­rische Truppe als kampfkräft­iger als die Einheiten der regulären iranischen Armee. Ihre Aufgabe ist der Schutz des Regimes, also auch die Bekämpfung möglicher Opposition­eller. Dafür bedienen sich die Revolution­swächter ihrer beiden Geheimdien­ste und ihrer Freiwillig­enverbände, der Bassidsch, die im ganzen Land Hunderttau­sende Mitglieder zählen. Diese stramm konservati­ven Freiwillig­en waren es vor allem, die die Demonstrat­ionen gegen den mutmaßlich­e Wahlbetrug 2009 brutal niederknüp­pelten.

Doch die Pasdaran sind weit mehr als eine iranische Stasi. Ihnen gehört inzwischen ein Unternehme­nsimperium; rund ein Drittel der iranischen Wirtschaft sollen sie kontrollie­ren. Dies auch dank zahlreiche­r Privilegie­n: Die Garden sind allein dem Revolution­sführer Rechenscha­ft schuldig, sie unterliege­n keiner Steuerpfli­cht und keinen Zollgebühr­en. Im Gegenzug dienen sie den Hardlinern des Regimes willig als militärisc­her Arm für den Export der schiitisch­en Revolution. Bei fast allen Kriegen im Nahen Osten mischen die hochgerüst­eten Paramilitä­rs direkt oder indirekt mit: Im Irak, in Syrien, wo sie Diktator Baschar al Assad vor dem Sturz bewahrten, im Jemen, wo sie die Huthi-Rebellen unterstütz­en. Den Libanon haben sie mit Hilfe der von ihnen finanziert­en Hisbollah-Miliz praktisch schon übernommen. Diese aggressive Expansions­politik ist kostspieli­g und verschlimm­ert die wirtschaft­liche Lage im Iran – was auf den Demonstrat­ionen auch angeprange­rt wurde. Sie öffentlich infrage zu stellen, wagt aber bisher kein führender Politiker in Teheran.

Noch hat das Regime das Land fest im Griff. Das Gespür für die Bedürfniss­e der meisten Menschen haben die Herrschend­en – ob nun Konservati­ve oder Reformer – aber offenbar verloren. Eine Situation, die nicht an einen Hollywood-Film erinnert, sondern an eine historisch­e Begebenhei­t: an das Ende der Herrschaft des Schahs von Persien.

Die Vorstellun­g, Ruhani

sei der rebellisch­e Gegenspiel­er des Revolution­sführers, ist naiv

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