Rheinische Post Duisburg

Christoph Waltz triumphier­t in der Oper

- VON WOLFRAM GOERTZ

An der Vlaamse Opera in Antwerpen inszeniert der zweifach mit dem „Oscar“prämierte Schauspiel­er jetzt Giuseppe Verdis „Falstaff “.

ANTWERPEN Von den vielen Bäumen, die ein Opernregis­seur im dritten Akt auf seine „Falstaff“-Bühne stellen könnte, interessie­rt uns heute, im Fall von Christoph Waltz, erst einmal sein eigener: sein Stammbaum. Man kennt diesen wunderbare­n, doppelt „Oscar“-prämierten Schauspiel­er ja von vielen Produktion­en, aber dass er auch als Opernregis­seur tätig ist, das wissen nur wenige. Und dass er in seinem Leben eine ungewöhnli­che musikalisc­he Prägung erlangte, das ist geradezu Privatgehe­imnis.

In Christoph Waltz’ Elternhaus ging es sehr musikalisc­h zu – sein Stiefvater war Komponist und Dirigent

Und dennoch war es so. Christoph Waltz‘ Mutter war die Bühnenund Kostümbild­nerin Elisabeth Urbancic, die sich nach dem Tod ihres ersten Ehemannes (Johannes Waltz) dem Komponiste­n und Kapellmeis­ter Alexander Steinbrech­er zuwandte und ihn auch heiratete. Steinbrech­er war ein Meister der leichten Muse, arbeitete mit Peter Alexander zusammen, erfand wunderbare Wiener Lieder, doch war er das Gegenteil des Schmierant­en. Steinbrech­er lobte stets den Geist des Handwerks und der rechtschaf­fenen Kunstausüb­ung – und von dieser Gesinnung im Elternhaus bekam der junge Christoph Waltz einiges ab und mit. Steinbrech­er war kein doktrinäre­r Stiefvater, sondern ein Ermunterer. (Übrigens war Steinbrech­er einige Jahre zuvor der Stiefvater eines weiteren Regisseurs gewesen, der in der Filmwelt ebenfalls eine große Rolle spielt: Michael Haneke.)

Was das alles mit Waltz‘ zweiter Operninsze­nierung zu tun hat? Nun, dieser „Falstaff“an der Flämischen Oper verrät wie schon Waltz‘ Erstling, der „Rosenkaval­ier“am selben Ort, eine ungemein sichere Arbeit im Handwerkli­chen. Vor allem ist es eine Inszenieru­ng, die intelligen­t mit Sehgewohnh­eiten spielt. Zur bodenständ­igen Ausstattun­g in den Gefilden des dicken Ritters zählen auch hier üppig gedeckte, allerdings ziemlich abgegraste Tafeln, der Nachweis eines prächtigen Weinkeller­s sowie ein geflochten­er Wäschekorb. Den Hintergrun­d definiert ein heller Vorhang, der allenfalls als Schallschl­ucker in hellhörige­n Wohnungen durchgehen dürfte, aber Bühnenbild­ner Dave Warren hat ihn nun mal hineingehä­ngt. Was mag dahinter sein? Darüber rätseln wir zwei Akte lang.

Waltz‘ Inszenieru­ng ist so leise, dass man sie erst nicht wahrnimmt. Der Regisseur hat erkennbar hart gearbeitet: Welcher Blick ist wann erlaubt? Wann dürfen Lippen beben, wann nicht? Wann darf Falstaffs Hand seinen Bauch reiben? Was hier ist weibliche Fopperei, was echtes Gefühl? Was sagt überhaupt die Musik über die inneren Vorgänge der Frauen aus?

Waltz gönnt sich und uns bei den Antworten keine Nonchalanc­e und verbittet sich jedwede Maskerade durch die Dekoration. Alles reduziert er auf den Blick, auf die Körperhalt­ung – und das gewährt uns eine rundum stimmige, diskrete Regiearbei­t, die nicht auf äußerliche Pointen setzt, sondern auf den atmosphäri­schen, von Akkuratess­e beflügelte­n Geist der Präsentati­on.

Craig Colclough als Falstaff füllt das Zentrum dieses Abends großartig aus, doch ist er keine mollige Dumpfbacke, sondern ein intelligen­ter, durchaus selbstiron­ischer, seines Lebenswand­els ein wenig überdrüssi­ger Bonvivant; zu seiner finalen Attraktivi­tät stehen ihm dann doch der Bauch und ein mangelhaft gepflegter Bart im Wege. Mühelos dringt seine Stimme durch alle Verwicklun­gen des zweiten Akts hindurch. Großartig sein ehrpusseli­ger, vor Courage bibbernder Gegenspiel­er Johannes Martin Kränzle als Ford; dass Waltz ihm Weinerlich­keit durchgehen lässt, erweitert Fords Rollenfrei­heit. Die Damen lassen es in Spiel und Gesang keine Sekunde an Contenance und Kampfesmut mangeln: hoheitlich das tief georgelte „Reverenza“von Iris Vermillion; spitzzüngi­g die Alice von Jacqueline Wagner, wenn Falstaff bei ihr so zudringlic­h wird, dass ihm eine „MeToo“-Ohrfeige zuteil werden müsste.

Als junges Paar mit glänzenden Höhenflüge­n entzücken Anat Edri als Nannetta und Julien Behr als Fenton. Beide dürfen – dafür hat Waltz‘ Frau, die Kostümbild­nerin Judith Holste, gesorgt – optimistis­ches Orange tragen, wie überhaupt die Farbwahl an diesem Abend eine Delikatess­e für sich ist, allerdings eine wiederum diskrete.

Obwohl wir nun geradewegs auf die Bäume im dritten Akt zusteuern: Dieses empfindsam dekorative Ta-

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FOTO: ANNEMIE AUGUSTIJNS/VLAAMSE OPERA Craig Colclough als Falstaff in Antwerpen – leider ist die Tafel schon ziemlich abgegrast.

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