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Thomas Dreßen gewinnt als erster Deutscher seit 39 Jahren die Abfahrt in Kitzbühel und stellt die Ski-Welt auf den Kopf. Nun zählt er zu den Medaillenanwärtern bei Olympia.
KITZBÜHEL (sid) Ein paar Stunden nach seiner Schussfahrt für die Ewigkeit begriff Thomas Dreßen endgültig, was es heißt, auf der Streif in Kitzbühel gewonnen zu haben. Als Letzter wurde er zur Siegerehrung gerufen, er sprang übermütig aufs Podest, brüllte „yeah“, stieß mehrfach die Fäuste in die Höhe – und blickte vom Balkon des Zielhauses auf mindestens 20.000 Menschen. Sie jubelten ihm zu, als er die goldene Gams hochstemmte, und auch noch einmal, als die deutsche Hymne verklungen war und er zu ihnen hinunterwinkte.
„Die Siegerehrung war der Wahnsinn“, sagte Dreßen. Er fand kaum Worte, um seine Emotionen zu beschreiben. Wie auch? Der erste Weltcupsieg. In Kitzbühel. Nein, „kitschiger geht’s nimmer, unglaublich“, bekannte er, überwältigt von den Momenten, die sich ein SkiRennläufer erträumt. Danach ging’s rund: Feier mit Familie, Freunden und Trainern im Rasmushof im Zielgelände, ein Besuch im VIP-Gebäude inklusive Plausch mit Sebastian Vettel. Schließlich verschwand Dreßen in die Nacht, Besuch im legendären „Londoner“inklusive.
Es war ein Tag wie im Traum. Für alle Beteiligten. Auf den Tag genau 39 Jahre zuvor hatte als letzter Deutscher Sepp Ferstl auf der Streif gewonnen – und jetzt das: Ein deutscher Sieg in „Kitz“. Drei Wochen vor der Abfahrt bei Olympia. Seine Rolle als Geheimfavorit ist der 24jährige Dreßen damit los. „Das lässt sich nicht wegdiskutieren: Wenn du Kitzbühel gewinnst unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Favoriten bist, ja klar“, sagte Cheftrainer Mathias Berthold, der die deutschen Abfahrer in dreieinhalb Wintern aus dem Nichts auf dieses Niveau gehoben hat.
Was da am Samstagnachmittag bejubelt wurde, war eine Sensation, und Dreßen fand kaum Worte dafür. „Einfach nur geil“, sagte er, „es war immer ein Traum von mir, mal eine Weltcup-Abfahrt zu gewinnen, auch Kitzbühel, dass ich das jetzt auf einen Streich geschafft hab, ist einfach nur unglaublich.“Gleich nach Dreßen war auch Andreas Sander drauf und dran, aufs Podest zu fahren. Er patzte auf den letzten Metern, wurde aber noch Sechster. Als kurz zuvor Dreßen nach 1:56,16 Minuten über die Ziellinie gerast kam, da war auch der verletzte Felix Neureuther, der an Krücken durch den Zielraum lief, fassungslos. „So eine Gänsehaut hatte ich noch nie bei einem Ski-Rennen“, behauptete er.
Einer der ersten Gratulanten war Josef „Sepp“Ferstl, Sieger von 1978 und 1979, dessen Sohn Josef, genannt „Pepi“, bei Dreßens Triumph Rang 20 belegte. „Gott sei Dank, dass ich abgelöst bin, das hältst du auf Dauer nicht aus“, sagte Ferstl senior.
Dreßen hatte auch ein bisschen Glück. Als er sich um 12.26 Uhr aus dem Starthaus auf die 3312 Meter lange Streif katapultierte, war gerade die Sonne herausgekommen, und bessere Sicht bedeutet: bessere Zeiten. „Er hat das schamlos ausgenutzt“, sagte der Österreicher Hannes Reichelt, Dritter hinter Dreßen und Weltmeister Beat Feuz (Schweiz) – und nicht ganz unbeteiligt an der Siegfahrt: Denn Reichelt, Sieger von 2014, hatte am Vortag die Wahl zwischen den Startnummern 1 und 19 gehabt. Er wählte die 1, für Dreßen blieb die 19 – ein Glücksfall, letztlich.
„Wer weiß, vielleicht hat von oben wer zugeschaut und die Sonne ein bisschen mehr scheinen lassen bei mir“, sagte Dreßen. Eine Anspielung auf seinen Vater Dirk, der im September 2005 bei einem Seilbahnunglück in Sölden ums Leben gekommen war. Ihm zu Ehren prangt die „44“auf Dreßens Helm, sie steht für „DD“, also zweimal den vierten Buchstaben des Alphabets. Der Gedanke an den Vater sei ihm auch diesmal gekommen, als er im Ziel kurz aufs Knie ging, aber, ergänzte Dreßen: „Der Dank geht nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama. Wenn die mich nicht so unterstützt hätte und hinter mir gestanden wäre, wäre ich jetzt nicht da.“ * Der Neigungswinkel der Überschrift entspricht den 40,4 Grad Gefälle, die die Kitz- büheler Abfahrt an ihrem steilsten Stück, der Mausefalle, aufweist.