Seidenberg trifft in der Verlängerung
Erstmals seit 2002 steht die Eishockey-Nationalmannschaft wieder im olympischen Viertelfinale. Das Team von Bundestrainer Sturm besiegt die Schweiz mit 2:1. Nächster Gegner heute: Weltmeister Schweden.
PYEONGCHANG (sid) Nach dem Schuss ins Glück kurz vor Mitternacht gab es für den Eishockey-Helden des Abends kein Halten mehr. Yannic Seidenberg stürmte wie von der Tarantel gestochen los und schlug mit der Faust Löcher in die Luft, seine Teamkollegen stürzten jubelnd auf ihn. Mit seinem Tor nach 26 Sekunden in der Verlängerung hatte der Münchner die Nationalmannschaft zum ersten Mal seit 16 Jahren ins olympische Viertelfinale geschossen.
„Es ging heute manches in die Hose, umso glücklicher bin ich, dass ich das Tor machen konnte“, sagte der 34-Jährige nach dem 2:1 (1:0, 0:1, 0:0) im Play-off gegen die Schweiz. Heute (13.10 MEZ) spielt das Team von Bundestrainer Marco Sturm gegen Weltmeister Schweden um noch mehr: Mit einem weiteren Sieg könnte die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) in Pyeongchang nach der ersten Olympia-Medaille seit 42 Jahren greifen.
„Das ist schon eine ganze Weile her, da redet man heute noch drüber“, sagte Verteidiger Christian Ehrhoff mit Blick auf die BronzeSensation von Innsbruck 1976, „das ist etwas, von dem man träumt.“Der langjährige NHL-Profi konnte nach dem hart umkämpften Duell mit dem Erzrivalen Schweiz auch wieder lachen. Schon nach neun Sekunden war er nach einem brutalen Foul k.o. gegangen, als ihn sein Gegenspieler Cody Almond bei vollem Tempo den Ellbogen ins Gesicht stieß. „Es hat sich nicht gut angefühlt, aber der Sieg fühlt sich jetzt sehr gut an“, meinte Ehrhoff, der zur Behandlung in die Kabine musste, aber zu Beginn des zweiten Drittels aufs Eis zurückkehrte.
„Das war heftig“, schimpfte Sturm über das Foul: „Ellbogen gegen den Kopf, das gehört nicht zum Eishockey, dafür habe ich kein Verständnis.“Die folgende Überzahl nutzte der Nürnberger Leonhard Pföderl zum Führungstor, mit tatkräftiger Unterstützung des früheren NHL-Torwarts Jonas Hiller, der den Puck durch die Schoner rutschen ließ (2.). Doch der Treffer reichte nicht zum Sieg, weil die deutsche Mannschaft ihre Linie verlor und die Schweiz verdient durch Simon Moser zum Ausgleich kam (24.). Auch der Wolfsburger Gerrit Fauser musste zwischenzeitlich in die Kabine – blutend, weil ihn der Puck im Gesicht getroffen hatte, auch er kehrte mit genähter Lippe zurück und kämpfte weiter.
Die Entscheidung im Play-offKrimi brachte erst die Verlängerung: Seidenberg reagierte vor dem Schweizer Tor am schnellsten und schob den Puck im Nachschuss über die Linie. „Jetzt muss schon ein Verteidiger das Tor machen“, mein- te Sturm schmunzelnd. Und Seidenberg, vor seiner Umschulung zum Abwehrspieler lange Zeit Angreifer, ergänzte: „Da haben sich die 16 Jahre als Stürmer ein bisschen ausgezahlt.“
Mit dem Einzug ins Viertelfinale – erstmals seit Olympia 2002 in Salt Lake City – setzte Sturm seine Erfolgsserie fort. Seit seinem Amtsantritt 2015 hat sich die DBB-Auswahl wieder unter den Top Acht der Eishockey-Welt festgesetzt: Zweimal erreichte sie bei der WM das Viertelfinale, nun auch bei Olympia. Das war zuletzt Hans Zach zu Beginn des Jahrtausends gelungen. „Jetzt können wir befreit aufspielen“, meinte Sturm. Mit Blick auf das unglückliche 0:1 in der Vorrunde gegen den zweimaligen Olympiasieger fügte er an: „Da haben wir gemerkt, dass gegen Schweden mehr drin ist.“
Nicht mehr dabei sein wird Sinan Akdag (Mannheim), der beim 2:1 gegen Norwegen einen Check gegen den Kopf erhalten hatte. Der Verteidiger reist heute nach Hause. Offen ist noch, ob DEL-Rekordtorjäger Patrick Reimer ins Team zurückkehrt, der in den vergangenen beiden Spielen verletzt fehlte.