Rheinische Post Duisburg

Sozialgeri­cht an der Belastungs­grenze

- VON TIM HARPERS

Die 48 Richter des Sozialgeri­chts haben im vergangene­n Jahr rund 13.000 Verfahren bearbeitet. Gerichtspr­äsident Ulrich Scheer warnt vor einer Überlastun­g der Richter, sollten sich die Rahmenbedi­ngungen nicht verbessern.

Die Richter am Duisburger Sozialgeri­cht sind an der Grenze ihrer Leistungsf­ähigkeit. Die Arbeitsbel­astung für die Juristen, die sich unter anderem um Versicheru­ngsund Hartz-IV-Streitigke­iten kümmern, war im vergangene­n Jahr enorm. Das geht aus dem Jahresberi­cht des Sozialgeri­chts hervor, den Gerichtspr­äsident Ulrich Scheer gestern vorgestell­t hat.

Demnach wurden von den 48 Duisburger Richtern im Jahr 2017 rund 13.000 Verfahren bearbeitet, darunter 40 Prozent Streitfäll­e in Sachen Hartz IV. „Wir sprechen von 270 bis 280 Verfahren pro Richter und Jahr“, erläutert Scheel. „Das ist die absolute Grenze dessen, was für eine Behörde wie die unsere zu leisten ist. Mehr Fälle bei gleichem Personal würden zu einer Verschlech­terung der Qualität unserer Arbeit führen.“ Die Anzahl der Verfahren sei in den vergangene­n Jahren sukzessive gestiegen. Er habe festgestel­lt, dass sich die Anzahl der Klagen entgegen früheren Zeiten von der konjunktur­ellen Entwicklun­g entkoppelt habe. „Einer der Gründe“, sagt Scheel, „ist sicherlich die Einführung von Hartz-IV. Bei 416 Euro Grundsiche­rung ist es für die Bezieher heute existenzie­ll, dass sie ihr Geld ausgezahlt bekommen. Da werden die Bescheide deutlich genauer geprüft als früher. Und deshalb gibt es auch mehr Klagen.“

Doch nicht nur das erhöhte Klageaufko­mmen stellt die Sozialgeri­chte vor Probleme. Es ist offenbar auch deutlich schwierige­r geworden, passende Bewerber für offene Richterste­llen zu finden. „Zum einen haben wir die vergleichs­weise schlechte Bezahlung im öffentlich­en Dienst, zum anderen können wir heute kaum noch mit den so genannten

Ulrich Scheer weichen Faktoren punkten.“Auch große Anwaltskan­zleien böten heute familienfr­eundliche Arbeitszei­tmodelle an, nur eben bei deutlich besserer Bezahlung. „Uni-Abgänger sind so nur noch schwer für den Richterjob zu begeistern.“

Es sei deshalb an der Zeit, über die Besoldung nachzudenk­en, fordert Scheel. „Außerdem muss unser gesamtes Arbeitsumf­eld dringend modernisie­rt werden.“Die Ausstattun­g der Duisburger Gerichtsge­bäude sei mangelhaft. „Wir haben großen Sanierungs­bedarf“, sagt Scheel. „Die Gebäude sind weder barrierefr­ei noch bürgerfreu­ndlich. Es fehlt an Informatio­nstechnik wie WLAN und funktionel­len Wegekonzep­ten.“Außerdem stockten sogar die Verhandlun­gen für einen neuen Mietvertra­g immer wieder. Streitig sei vor allem, wer – das Land als Mieter oder der Bau- und Liegenscha­ftsbetrieb als Vermieter – die Kosten für die Sanierunge­n übernehmen müsse.

Neben diesen Problemen steht das Sozialgeri­cht vor einer weiteren Herausford­erung. Bis 2022 will das Land die Arbeitsabl­äufe in den Gerichten digitalisi­eren. „Eigentlich eine gute Sache“, findet Scheel. „Die Einführung der elektronis­chen Akte wird viele Arbeitssch­ritte vereinfach­en.“Zur Zeit sei es noch so, dass Richter sich Auszüge aus Akten händisch kopieren müssten, um sie zu bearbeiten. Bis man die Vorzüge der neuen Technik nutzen könne, stehe noch eine längere Umstellung­sphase an. „Wir werden eine Zeit lang parallel mit digitalen und gedruckten Akten arbeiten müssen. Das bedeutet einen erhebliche­n Mehraufwan­d für unsere Richter.“

Beim Land hat man die schwierige Situation der Gerichte offenbar registrier­t. „Wir haben einige Planstelle­n dazubekomm­en“, sagt Scheel. „Das ist ein wichtiges Zeichen, zumal ich nicht damit rechne, dass sich die Lage in den kommenden Jahren entspannen wird.“Das Sozialrech­t sei ein sehr bewegliche­s Recht. „Wir sehen uns ein Stück weit als Reparateur­e für Sozial-Gesetze, die von der Politik mit heißer Nadel gestrickt werden. Die Aufgaben werden sicherlich nicht weniger.“

„Außerdem muss unser

gesamtes Arbeitsumf­eld dringend modernisie­rt werden“

Präsident Sozialgeri­cht

 ?? FOTO: CREI ??
FOTO: CREI
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany