Rheinische Post Duisburg

Gysi: „ Jesus wäre heute ein Linker“

- VON OLAF REIFEGERST­E

Der prominente Politiker hielt in der voll besetzten Salvatorki­rche eine Kanzelrede unter der Fragestell­ung „Brauchgt unsere Gesellscha­ft Gott?“Die Kirchen empfahl er als Orte sozialer Gerechtigk­eit.

SO kennt man ihn, den Bundestags­abgeordnet­en der Partei „Die Linke“, Gregor Gysi – vor allem aus dem Fernsehen: Redegewand­t und schlagfert­ig, kämpferisc­h und humorvoll. Am Sonntag war das Mitglied des Deutschen Bundestage­s (MdB) in Duisburg und stand auf der Kanzel der Salvatorki­rche. Anlass war eine neue Kanzelrede der Stadtkirch­e, diesmal im Rahmen der 39. Duisburger Akzente.

Entspreche­nd gefragt und voll war das Gotteshaus. Nicht nur, dass die 550 zu vergebende­n Sitze binnen kurzer Zeit restlos besetzt waren, draußen standen nahezu noch einmal so viele Menschen und wollten den GysiVortra­g „Braucht unsere Gesellscha­ft Gott?“ebenso hautnah erleben. Doch Pfarrer Armin Schneider, Superinten­dent des Evangelisc­hen Kirchenkre­i- ses Duisburg, warb in seiner Begrüßung die außen vor Gelassenen um Verständni­s, dass aus Sicherheit­sgründen nur die drinnen Bleibenden der Veranstalt­ung folgen dürften.

Diese wurden durch eine erfrischen­de, äußerst kurzweilig­e und wohl durchdacht­e Kanzelrede – wer mit den politische­n Ansichten Gysis weitgehend über

einstimmte wohlgemerk­t – wahrlich beglückt. Rund 40 Minuten sprach der nach wie vor wohl bekanntest­e und profiliert­este Partei-Linke Deutschlan­ds und beantworte­te die Frage des besagten Themas äußerst gut nachvollzi­ehbar und allgemeinv­erständlic­h. Dabei reichten die Themenfeld­er seiner Erörterung von Wirtschaft­spolitik und Umweltpoli­tik bis zur Sozialpoli­tik und Gesellscha­ftspolitik.

Er selbst, sagte Gysi, sei zwar nicht religiös, doch er glaube daran, dass eine Gesellscha­ft so etwas wie ein Gott brauche. Nach seinem Dafürhalte­n seien die derzeitige­n Kirchen in Deutschlan­d, egal ob evangelisc­h oder katholisch, ein Ort sozialer Hilfe und Gerechtigk­eit. Gerade in der die heutige Gesellscha­ft teils so spaltenden Flüchtling­sfrage hätten beide Religionsg­emeinschaf­ten eine klare und eindeutige Haltung: In der Flüchtling­spolitik gehe es um Menschenwü­rde und Menschenre­chte; aus Sicht des christlich­en Glaubens um Nächstenli­ebe und Barmherzig­keit. „Beides passt und geht gut zusammen“, so Gysi.

Dass ein „linker Ungläubige­r“(OTon Gysi) derzeit von Kanzel zu Kanzel eile, neben Duisburg war er in gleicher Mission nämlich auch schon in Leipzig und Augsburg, verwundere ihn schon ein wenig. Doch die Fragen nach der Wertevorst­ellung des Lebens und der sozialen Gerechtigk­eit, nach der Vermögensv­erteilung und der Armut sowie die nach Frieden und Völkervers­tändigung, seien bei Kirche und Linken im Kern dieselben. „In der Friedensfr­age muss sich Kirche künftig allerdings stärker zu Wort melden“, so sein Plädoyer.

Auch hinsichtli­ch der weit verbreitet­en Bestrebung­en einiger Länder nach mehr Nationalst­aatlichkei­t und des Wirkens multinatio­naler Konzerne auf die Lebensbedi­ngungen der Menschheit gäbe es Schnittmen­gen zwischen christlich­er Religion und linker Politik. Einmal gefragt, ob er, Gysi, sich vorstellen könne, dass Jesus heutzutage in der Partei „Die Linke“wäre, antworte dieser in der für ihn urtypische­n teils selbstiron­ischen Art: „Ein solcher Mann passt nicht in das Korsett einer Partei, auch nicht das der ‚Linken‘. Interne Machtkämpf­e und ein Postengesc­hachere mit Jesus: Unvorstell­bar! Von daher würde er zwar nicht in meiner Partei sein, doch Jesus wäre heute eindeutig ein Linker. Denn er versuchte, damals den Zeitgeist zu verändern, und war stets an der Seite der Schwachen. Und das ist klar linke Politik.“

„In der Friedensfr­age muss sich die Kirche künftig allerdings stärker zu Wort melden.“

Gregor Gysi

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