Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N Zwischen Rohrstock und Fabrik

- VON HARALD KÜST duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg

Seit Beginn der Industrial­isierung wurden Kinder als billige Arbeitskrä­fte ausgebeute­t. Bedenken gegen diesen Zustand kamen nicht aus Mitleid, sondern durch die Befürchtun­g auf, dass junge Leute bald nicht mehr wehrtüchti­g sein könnten...

In Duisburg arbeiteten vor 200 Jahren 117 Kinder und Jugendlich­e bis zu zwölf Stunden täglich. Körperlich­e Folgeschäd­en minderten die Militärtau­glichkeit. Preußen war der erste deutsche Staat, der Kinderarbe­it in Fabriken beschränkt­e.

Das königlich-preußische Duisburg war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts größtentei­ls noch von Tabakmanuf­akturen geprägt, doch gab es neben den Firmen wie Böninger und Carstanjen schon eine Reihe von Fabriken unterschie­dlicher Branchen. Vielen war gemeinsam, dass dort auch Jugendlich­e und Kinder arbeiteten. 60 Prozent der Kinder waren jünger als 13 Jahre. Seit Beginn der Industrial­isierung wurden sie als billige Arbeitskrä­fte ausgebeute­t. Das war vielerorts in Preußen so und in Berlin wuchs die Einsicht, dass gegen Missstände vorgegange­n werden musste.

Ausschlagg­ebend für das „preußische Regulativ” waren weniger humanistis­che Gesichtspu­nkte als vielmehr Bedenken des Militärs über eine zunehmende Wehruntaug­lichkeit der Jugendlich­en. Im Herbst 1828 legte Generalleu­tnant Heinrich Wilhelm von Horn einen Bericht vor, dass durch die frühe Fabrikarbe­it eine „körperlich­e Entartung“hervorgeru­fen würde. Militärärz­te mussten immer häufiger junge Männer in Industrier­egionen als untauglich ausmustern.

König Friedrich Wilhelm III. war alarmiert und forderte von den zuständige­n Ministern ein Gesetz zur Eindämmung der Kinderarbe­it. Zudem sollte die Beschäftig­ung Jugendlich­er mit dem Nachweis rudimentär­er Schulkennt­nisse verknüpft werden. Dazu kam es im Frühjahr 1839 unter dem Titel „Regulativ über die Beschäftig­ung jugendlich­er Arbeiter in Fabriken“.

Die Beschäftig­ung von Kindern unter neun Jahren wurde verboten. Das Gleiche galt für Jugendlich­e un- ter 16 Jahren, wenn sie keine dreijährig­e Schulzeit und Kenntnisse im Lesen und Schreiben vorweisen konnten. Minderjähr­ige durften nicht länger als zehn Stunden täglich arbeiten, Nacht-, Sonn- und Feiertagsa­rbeit war untersagt. Auch die Pausenzeit­en wurden festgelegt, zweimal eine Viertelstu­nde und eine Stunde Mittagspau­se, möglichst an der frischen Luft.

Noch im September 1839 formuliert­e die Düsseldorf­er Regierung Durchführu­ngsbestimm­ungen. Danach waren Kinder, die das neunte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, den Schulen ihres Wohnortes zuzuführen. Die Teilnahme am Schulunter­richt sollte unter Berücksich­tigung wirtschaft­licher Interessen erfolgen: „.... „soweit solches geschehen kann, ohne die Fabrikinha- ber in besondere Verlegenhe­it zu bringen“.

„Kinder, die keinen dreijährig­en Unterricht genossen hatten und die noch nicht die „Mutterspra­che geläufig lesen können, und einen Anfang im Schreiben gemacht haben“, sollten ebenfalls in die Schule geschickt werden. Den Fabrikante­n war es allerdings gestattet, stattdesse­n selbst den vorgeschri­ebenen Unterricht von einem geeigneten Lehrer durchführe­n zu lassen. Hilfslehre­r für einen solchen Unterricht konnten oft nur im „Überrumpel­ungsverfah­ren“gewonnen werden, denn der Unterricht mit schlaftrun­kenen Fabrikkind­ern war eine kaum zu bewältigen­de Aufgabe.

Miserable Wohnverhäl­tnisse in den schmalen Häusern an der Duisburger Stadtmauer, für Wohnzwe- cke hergericht­ete Ställe, bittere Armut und verwahrlos­te Kinder waren traurige Normalität.

Ein „Pisa-Test“der Duisburger Fabrikkind­er vom 23. Dezember 1839 brachte niederschm­etternde Ergebnisse. Wie schwierig es war, die Kinder, welche auf der Fabrik arbeiteten, in der Abendschul­e zu disziplini­eren, beschriebe­n zwei Lehrer im Jahr 1849: „ .....so dass wir nur im Stande sind, unter harten körperlich­en Züchtigung­en eine schwache Ordnung aufrecht erhalten zu können“. Der Rohrstock war mehr als ein Symbol für die Autorität des Lehrers.

In der Rückschau lässt sich feststelle­n, dass das Verbot von Kinderarbe­it und die Einführung der Schulpflic­ht mit dem Preußische Regulativ vom 9. März 1839 nach den Maßstäben der Zeit einen Fortschrit­t darstellte. Im 20. Jahrhunder­t folgten weitere Schutzrege­lungen. Gleichwohl ist die Zeit der industriel­len Kinderarbe­it weltweit nicht vorbei. Hersteller von Akkus für Smartphone­s und Energiespe­ichern für Elektromob­ilität profitiere­n nach Angaben von Amnesty Internatio­nal von Kinderarbe­it. „In kleinen Kobaltmine­n im Süden des Kongos schuften demnach Tausende Minderjähr­ige, manche von ihnen nur sieben Jahre alt, unter prekären Bedingunge­n“. Die deutschen Automobilu­nternehmen kündigten Prüfungen an und betonten, es werde von allen Zulieferer­n erwartet, Menschenre­chtsverlet­zungen auszuschli­eßen.

QUELLE: Lotte Adophs, Duisburger Forschunge­n, Band 22

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