Spitzenkoch hat die Wallstraße verlassen
Tom Waschat („Der Pottkoch“) ist von Duisburg nach Wesel gezogen und hat sein erstes Buch veröffentlicht.
Man könnte Tom Waschat stundenlang zuhören. Und zwar nicht nur, weil die Geschichte seines rast- und ruhelosen, arbeitsreichen und spannenden Lebens so viele Höhen und Tiefen hat, sondern weil der 50Jährige einfach ein angenehmer Mensch und Gesprächspartner ist.
Auf der Wallstraße hatte der aus Duisburg stammende Spitzenkoch, der sowohl als international gebuchter Miet-, als auch als TV-Koch („Planet Wissen“; „Der Pottkoch“im WDR) eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, ein Suppenrestaurant, das seine ehemaligen Stammkunden sehr vermissen. Denn Waschat ist mit seiner Partnerin Dagmar Gräf nach Wesel umgezogen. In dem ehemaligen Wohnhaus eines Arztes arbeiten die beiden als Coaches und betreiben dabei psychologische Beratung. Als Mietkoch, der Menüs für maximal zehn Leute pro Abend zaubert, ruft er nach wie vor vier- bis fünfstellige Honorare auf.
„Wir haben uns in ganz Deutschland nach einem passenden Objekt umgeschaut. In Wesel hat einfach alles gepasst. Auch die Menschen sind hier so höflich, der Flughafen nicht weit, die Stadt so aufgeräumt, die Nachbarn so nett“, schwärmt er.
Bald will Tom Wachat erstmals öffentlich in seiner neuen Heimat in Erscheinung treten: Bei einer Lesung. Denn jüngst hat er sein erstes Buch herausgebracht. Es trägt den Titel „Tom Waschat unterwegs“(Mercator-Verlag) und weckt mit dem Zusatz „Der Club der hohen Augenbrauen“Neugier.
Wieso „Club der hohen Augenbrauen?“Tom Wachat lacht und sagt: „Wenn man etwas besonders Leckeres isst, dann ist man begeistert und zieht automatisch die Augenbrauen hoch.“Und das tut er dann auch.
Leckere Rezepte gibt es in dem mehr als 140 Seiten starken Werk genügend. Zum Beispiel eine walisische Lauch-Kartoffelsuppe, gebackenes Winzerkraut oder Eisbein mit Krautsalat vom Spitzkohl. Die stammen allerdings nicht von ihm, sondern von Menschen, die er während seiner Einsätze als Mietkoch in der ganzen Welt kennengelernt oder während seiner großen Motorradreise im vergangenen Jahr getroffen und deren Geschichten er aufgeschrieben hat. Alle Kapitel sind reich bebildert. Witzig ist seine Top 30-Hitliste der Küchenmusik ganz zum Schluss. Beim Anrichten sorgt beispielsweise der Soundtrack von „Rocky“für Gänsehaut. Beim Kartoffelschälen gibt’s bei ihm „Blue Monday“von New Order auf die Ohren. Und wenn er Blumengestecke arrangiert, hört er am liebsten „Parkplatz von Eden“der Duisbur- ger Combo Flowerpornoes. In der hat das Multitalent Mitte der 80er Jahren als Schlagzeuger gespielt. Mit der Band Phono Royal stand er Anfang der 2000er Jahre als Gitarrist und Sänger auf der Bühne. Bei Youtube ist noch der Live-Mitschnitt aus dem WDR-Rockpalast zu sehen.
Doch mindestens so spannend wie die Geschichten in seinem Buch ist sein Lebenslauf.
1967 hineingeboren in eine großbürgerliche Duisburger Familie, ist eine behütete Kindheit eigentlich programmiert. Doch dann kommt alles anders. Der Vater erleidet mit der von ihm gegründeten Privatbank Schiffbruch. Er verlässt die Familie, da ist Tom Waschat fünf Jahre. Als Schüler fehlt ihm das Selbstvertrauen. Er stottert. Nach der Handelsschule will er Polizist werden. Die Aufnahmeprüfung besteht er mit Bravour, doch das Stottern wird ihm zum Verhängnis. Er wird abgelehnt. Da ist er 16 und wohnt bereits alleine in einem Appartment. Er will etwas lernen, auf eigenen Füßen stehen, sein eigenes Geld verdienen.
Tom Waschat nimmt die erstbeste Lehrstelle an und starte eine Ausbildung zum Glas- und Gebäudereiniger. Doch nach wenigen Monaten wird er gefeuert, weil er bei der Arbeit eingeschlafen ist. Kein Wunder. Denn neben der Lehre arbeitet er als Tellerwäscher im Restaurant „Don Camillo“im Wasserviertel hinterm Stadttheater. Außerdem räumt er in der Disco Old Daddy von 21 bis 3 Uhr Gläser ab. Oft kriegt er nur drei Stunden Schlaf.
Im „Don Camillo“richtet er unter anderem Salate an. Der Küchenchef ist angetan von Tom Waschat und bietet ihm eine Lehrstelle an. „Ein Angebot, über das ich mich sehr gefreut habe. Ich habe nämlich schon früher für meine Geschwister gekocht“, erzählt Waschat. Er wechselt während der Lehrzeit den Ausbildungsbetrieb, geht ins „Novotel“, dem heutigen Mercure. Er ist wissbegierig und schmökert in den Pausen in Fachliteratur. Die Ausbildung besteht er Ende der 80er Jahre mit Auszeichnung.
Weil er in einem Reisebüro ein schönes Bild von Myanmar sieht, kauft er sich ein Ticket und fliegt nach Südostasien. Er verdingt sich als Koch in einem Restaurant, wo er für deutsche Gäste Schwarzwälder Kirschtorten und Pralinés fertig, und verliebt sich in eine junge Französin. Ihr folgt er nach Kanada. Weil es seiner Mutter nicht gut geht, kommt er zurück nach Duisburg und heuert im „Alten Zollhaus“in Mülheim an. Schnell macht er Karriere, wird mit gerade mal 22 Jahren Küchenchef des Restaurants „Schwan“in Duisburg. Nächste Stationen sind das Novotel Duisburg und das in Marl. Zwischenzeitlich wird das erste seiner insgesamt vier Kinder geboren.
Er wird Pächter der Kantine von Radio NRW in Oberhausen. Dort steigt er groß in das Veranstaltungsgeschäft ein, organisiert Buffets für 300 Personen. Irgendwann macht ihm die Arbeit keinen Spaß mehr. Er startet durch als Profimusiker. In Frankfurt bekommt er einen Plattenvertrag bei dem bekannten Label Hazelwood/Universal. Mit der Gruppe Phono Royal geht er auf Tour, bis er plötzlich den Wunsch hat, wieder zu kochen. „Allerdings nur noch für maximal zehn Personen.“Er wird gebucht von Unternehmern im Frankfurter Speckgürtel, die bei ihren Geschäftsessen nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden wollen. Den Gästen schmeckt es. Tom Waschat macht sich einen Namen, arbeitet als Mietkoch auf allen Kontinenten und kehrt nach Duisburg zurück.
Er gründet eine Kochschule in Bruckhausen, in der Kinder kostenlos den Umgang mit Lebensmittel lernen. Im Rahmen eines Projekts der Caritas betreibt er das Restaurant im Hamborner Ratskeller, in dem er Jugendlichen mit Handycap eine Chance gibt.
Im März 2017 nimmt er sich dann eine Auszeit, schwingt sich auf seine olivgrüne BMW und fährt viele tausend Kilometer durch Europa. Dabei lernt er nicht nur die Menschen kennen, die in seinem Buch Berücksichtigung finden, sondern er macht sich auch Gedanken über sein Leben. Tom Waschat fasst den Entschluss, sich beruflich und räumlich neu zu orientieren. Dazu gehört, dass er unter anderem seine Duisburger Suppenküche verkauft. Er investiert in seine Ausbildung zum Coach und findet in Wesel ein passendes Domizil.
Dass Tom Waschat sich hier früher oder später in seiner neuen Wahlheimat als Gastronom selbstständig machen könnte, will er nicht ganz ausschließen. „Dann aber nur in einem kleinen Restaurant mit maximal zehn Plätzen. Und dann will ich mir einen oder auch zwei Michelin-Sterne erkochen“, sagt er selbstbewusst.
Der 50-Jährige will sich nun einbringen in das gesellschaftliche Leben an seinem neuen Wohnort und führt dazu Gespräche mit der Verwaltung und den Kulturschaffenden. So möchte er mit Besuchern eines Jugendzentrums in Wesel und einem Kochazubi, den er unter seine Fittiche genommen hat, Politiker und Wirtschaftsvertreter bekochen. „Einen Termin gibt es noch nicht. Ich muss sagen, dass ich mich auf die Zeit hier in Wesel sehr freue“, sagt er.