„Die Laien sind die Mehrheit des Gottesvolkes“
Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken über das Kreuz, die Kommunion und die Teilnahme eines AfD-Politikers.
MÜNSTER 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und 400 Jahre nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges wurde gestern in Münster der 101. Katholikentag unter dem Motto „Suche Frieden“eröffnet. Rund 50.000 Dauergäste widmen sich noch bis Sonntag in 1000 Veranstaltungen auch vielen politischen Themen. Vor 50 Jahren gab es einen ProtestKatholikentag in Essen. In Münster ist dies auch Thema eines Podiums. Was ist von 1968 übrig geblieben noch spürbar? Oder ist es etwas Singuläres? STERNBERG Das hat riesige Spuren hinterlassen. Das war ein ganz wichtiger Katholikentag. Im Grunde war es das revolutionäre Selbstbewusstwerden des Laienkatholizismus. Das hat nicht allein mit dem Katholikentag in Essen zu tun; aber an diesem Ereignis brach es auf. Und es machte sich vor allem an dem Widerspruch fest gegen das Verbot der sogenannten künstlichen Empfängnisverhütung in der Enzyklika Humanae vitae. Damals brach eine Autoritätsstruktur der katholischen Kirche regelrecht zusammen. Und dieses Selbstbewusstsein des Laientums hat die Kirche in Deutschland bis heute ganz wesentlich geprägt. Hat es auch das Verhältnis von Staat und Kirche neu justiert? Bis heute werden darüber Debatten geführt, dabei leben wir angeblich doch in einem säkularen Staat! STERNBERG Was ist überhaupt ein säkularer Staat? Das haben auch die Franzosen einmal von sich behauptet mit ihrem strengen Laizismus. Aber auch dort merkt man inzwischen, dass Religion im Leben eine ganz wichtige Größe ist und man den Glauben nicht irgendwo in den Privatbereich verschieben kann. In Deutschland haben wir ein KircheStaats-Verhältnis, das zwar eine saubere Trennung kennt, auf der anderen Seite diese wechselseitige Abhängigkeit und Bedeutung auch zur Kenntnis nimmt. Jüngstes Beispiel ist das Vorhaben von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Kreuze in öffentlichen Gebäuden zur Pflicht zu machen – allerdings als kulturelles Symbol. STERNBERG Die Frage nach dem Kreuz im öffentlichen Raum eignet sich meiner Meinung nach nicht als Kampfmittel. Und selbstverständlich ist das Kreuz mehr als nur ein Kulturzeichen. Aber ich bin sehr dafür, dass wir über Zeichen des Kreuzes – zum Beispiel in Krankenzimmern und Schulräumen sehr wohl nachdenken. Das macht man aber nicht zum Wahlkampfereignis. Wird das Kreuz dadurch für die Politik nicht auch instrumentalisiert? STERNBERG Meine Meinung dazu: Ich finde es einfach nicht gut, eine solche Diskussion jetzt im Wahlkampf vom Zaun zu brechen. Keine Ruhe gibt es auch mit der AfD. Der kirchenpolitische Sprecher der Partei ist nun offiziell auch auf einem Katholikentags-Podium in Münster zu hören . . . STERNBERG . . .selbstverständlich würde eine solche Partei wie die AfD, die dezidiert antidemokratische und ausgrenzende Positionen vertritt und die zu unseren christlichen Positionen entgegengesetzt sind, nie ein eigenes Podium bekommen. Aber wir scheuen auch keine Debatten. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Im Übrigen mache ich die Beobachtung, dass die AfD sich zunehmend radikalisiert. Es wird immer schlimmer. Die Anfrage der AfD im Bundestag über aktuellen Zahlen von schwerbehinderten Menschen in Deutschland ist schlichtweg unerträglich.
Dass sich in Deutschland vor 170 Jahren ein starker Laienkatholizismus formiert hat, ist ein Glücksfall, weil es damit auch eine Organisationsform außerhalb der Hierarchie der Kirche gibt. Schließlich sagt auch Papst Franziskus: Die Laien sind schlicht die überwältigende Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit, das sind die geweihten Amtsträger. Noch einmal mit Blick auf 1968: Wie viel Revolutionäres verträgt heute noch ein Katholikentag? STERNBERG Man sollte – gerade mit Blick auf 1968 – jetzt bloß nichts idealisieren oder gar glorifizieren, was zeitbedingt vielleicht ganz richtig war. Ein selbstbewusstes Laientum, das gegen eine sogenannte Amtskirche ankämpfen würde, ist ein so schiefes Bild, das die Wirklichkeit in Deutschland nicht mehr annähernd abbildet.