Wohin rollst du, Äpfelchen . . .
Ich werd’ mich sehr freuen. Wir bleiben dann nachher noch ein bisserl beisammen und sprechen über die Sache. Verzeih’, dass ich nicht gleich daran gedacht hab’, dich aufzufordern.“
„Schön“, sagte Vittorin. „Ich werde kommen. Und ich übernehme es, auch Kohout zu verständigen.“
Doktor Emperger schien von dieser Eröffnung alles andere als angenehm berührt zu sein.
„Kohout? Du willst den Kohout mitbringen?“fragte er. „Na, ja, wenn du glaubst –, bitte sehr, ganz wie du meinst, ich habe nichts dagegen.“
Um dreiviertel neun läutete Vittorin an Doktor Empergers Wohnungstür. Ein Diener, der tagsüber als Skontist in der Kreditanstalt tätig war, ließ ihn eintreten. Doktor Emperger begrüßte seinen Freund im Vorzimmer.
„Na also, da bist du ja“, sagte er. „Ich hab’ dich meinen Gästen schon angekündigt. Du findest eine kleine, aber gemischte Gesellschaft bei mir vor. Kohout ist auch schon da, merkwürdiger Mensch das, er hat sich irgendeinen Kollegen mitgebracht, der schimpft die ganze Zeit über die Bourgeoisie, das ist doch peinlich. Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll, ich bin in der größten Verlegenheit. Den Feuerstein duzt er, entweder aus besonderer Sympathie oder um ihm seine Missachtung auszudrücken. Leg’ ab, beeil’ dich ein bisserl, wer weiß, was inzwischen drin vorgeht, vielleicht sind sie schon aneinandergeraten.“
Mit dem unbestimmten Vorgefühl, dass er in seinem Gehrock, der noch aus den Friedensjahren stammte, keine sehr gute Figur machen werde, trat Vittorin ein. Gott sei Dank, ein paar Gesichter wenigs- tens, die er kannte. Der Professor schüttelte ihm die Hand. Feuerstein schwitzte in einem viel zu engen Cutaway und machte einen vergeblichen Versuch, aufzustehen. Kohout, der sich bei Tee, Sandwichs und allerlei Likören sehr wohlzufühlen schien, leistete eine Art militärischer Ehrenbezeugung. Doktor Emperger stellte vor.
„Leutnant Vittorin, auch ein Kamerad aus Tschernawjensk. Fräulein Edith Hoffmann, die die Pflichten der Hausfrau übernommen hat – aber sie vernachlässigt sie, wie ich feststellen muß, und flirtet mit dem Professor. Ditti, kümmer’ dich doch ein bisschen um meine Gäste, der Kommerzialrat hat keinen Schnaps, mein Freund Vittorin will eine Tasse Tee –“
„Ich bin auf Urlaub, das hab’ ich dir doch schon gesagt, die Irene vertritt mich“, sagte das junge Mädchen mit gekränkter Miene.
„Fräulein Irene Hamburger – strengt sich auch nicht übermäßig an“, fuhr Doktor Emperger fort. „Es ist halt ein Kreuz mit den weiblichen Hilfskräften. Fräulein Franzi Roth, ein Ornament, eine schöne Linie, etwas für den Kenner. Schau’ mich nicht so feindselig an, Franzi. Ich weiß, du liebst mich nicht, dein Herz gehört einem anderen. Leugne es nicht, ich kann mir ja denken, wer der Glückliche ist, er kam, sah und siegte, da kann man nichts machen. Lieber Gott, der Zigarettenrauch! Sollt’ man nicht auf eine Weile das Fenster öffnen? So, das wär’ erledigt, die Herren machen sich selbst bekannt, wie?“
Zwei junge Leute standen auf und nannten ihre Namen: Ingenieur Glaser; Simitsch, akademischer Maler. Der glattrasierte, ältere Herr, der sich der Hand der Franzi Roth unter dem Vorwand, ihr die Lebenslinien zu deuten, bemächtigt hatte, wurde Kommerzialrat betitelt. Kohouts Freund trug einen grünen Wollsweater unter der Uniformbluse und dazu Breeches, Wickelgamaschen und Militärschuhe.
„Genosse Blaschek. Seit gestern Soldatenrat“, sagte Kohout in respektvollem Ton. „Mit hundertvierundzwanzig Stimmen gewählt. Steht mitten in der Bewegung.“
„Setz’ dich zu uns, Vittorin!“rief Feuerstein. „Ich freu’ mich wirklich, dass ich dich wieder mal seh’. Wir sind nämlich“, wandte er sich erklärend an den akademischen Maler, „sozusagen Zellengenossen gewesen in der sibirischen Gefangenschaft.“
„Wie lang’ warst denn eing’naht?“fragte der Soldatenrat über den Tisch hinweg. „Wie beliebt?“„Wie lang dass d’im Häfen g’steckt hast, hab’ ich g’fragt.“
„Genosse Blaschek will wissen, wie lang du in Kriegsgefangenschaft gewesen bist“, verdolmetschte Kohout.
„Zwei Jahre – wenn Sie das interessieren sollte“, gab Feuerstein pikiert zur Antwort.
„Na servas! Zwei Jahr, dich haben’s sauber eindraht, die Russen. G’schieht dir scho’ recht, warum hast dich fangen lassen.“
„Ein lieber Kerl“, sagte das Fräulein Hamburger. „Ein Gemütsmensch.“
Kohout lachte. Feuerstein, der von Natur aus gutmütig war und gerne mit aller Welt in Frieden lebte, fand durchaus maßvolle Worte für seinen Protest gegen den Vorwurf der Feigheit.
„Erstens einmal, verehrter Genosse, hab’ ich mich nicht fangen lassen, so fängt sich die Sache an. Und zweitens weiß ich nicht, wieso ich zu der Ehre komme –“
„Gehst denn nöt?“rief der neugewählte Soldatenrat. „Hast dich nöt fangen lassen. Ah, da schau’ her. Haben dich die Russen ’leicht in der Lotterie g’wonnen?“
„Das war ein Volltreffer“, bemerkte der Professor anerkennend. „Feuerstein, Sie sind niedergekämpft. Strecken Sie die Waffen.“
„Das ist sehr interessant, was ich da sehe“, sagte der Kommerzialrat, der die Hand seiner Tischnachbarin noch immer nicht freigab. „Diese Linie mit ihren vielen Verzweigungen läßt auf musikalische Anlagen schließen. Die kleine Ausbuchtung rechts deutet auf ein besonders starkes Temperament, das Sie vorläufig noch zu unterdrücken suchen. Aber es hilft nichts, die Natur bricht durch, Sie gehen zur Operette, das kann ich Ihnen heute schon sagen. Ein Freund findet sich, der für Ihre Ausbildung sorgt.“
„Das lesen Sie alles aus meiner Hand?“fragte Fräulein Roth.
„Zum Teil auch aus der meinen“, sagte der Kommerzialrat leise und beziehungsvoll.
Vittorin winkte den Doktor Emperger zu sich heran.
„Auf ein Wort, Emperger“, raunte er ihm zu. „Du weißt, ich bin nur hergekommen, um euch eine wichtige Mitteilung zu machen. Richt’ es so ein, dass wir eine Weile ungestört miteinander sprechen können.“
„Ja, wie denn, wie denn?“flüsterte der Herr des Hauses nervös. „Ich wär’ todfroh, wenn ich sie auseinanderbringen könnt’. Du wirst sehen, da kommt ein großer Wirbel heraus. Alles wird sich der Feuerstein schließlich doch nicht gefallen lassen.“
(Fortsetzung folgt)