Rheinische Post Duisburg

Der Kosmos eines Klosterrel­iefs

- VON VEIT VELTZKE DER AUTOR IST DER DIREKTOR DES NIEDERRHEI­N MUSEUMS IN WESEL.

In einer neuen Serie „Schätze des Museums“stellen wir besondere Stücke vor, die in Wesel ausgestell­t sind.

NIEDERRHEI­N In der St. Vincentius­kirche zu Asperden, unweit von Goch, hat sich ein in seiner Kompositio­n einzigarti­ges Kreuzigung­srelief aus Baumberger Sandstein erhalten, das ursprüngli­ch zur Ausstattun­g des Zisterzien­serinnenKl­osters Graefentha­l gehörte.

Graf Otto II. von Geldern begründete das 1802 aufgelöste Kloster um das Jahr 1248. Die Landesherr­n von Geldern und Kleve bedachten es vom Zeitpunkt der Stiftung an reichlich mit Schenkunge­n und Privilegie­n und mancher Angehörige­r der geldrische­n Dynastie fand hier seine letzte Ruhe. So auch Otto II., dessen monumental­es Hochgrab früher seinen Platz in der 1808 zerstörten Abteikirch­e hatte und heute unter frei- em Him- die Annahme privater Vermächtni­sse von Eltern und Verwandten gestattet. Kein Wunder, dass man sich bei dieser Flexibilit­ät in Graefentha­l lange Zeit keine Nachwuchss­orgen machen musste.

Das Kreuzigung­srelief entstand um 1530, als andere Frauenklös­ter sich bereits im Stadium des Verfalls befanden. Nicht so Graefentha­l, das als einziges von Kamp abhängiges Zisterzien­serkloster am Niederrhei­n keiner Reform bedurfte. Den Geist tradierter Frömmigkei­t verkörpert die Versammlun­g des gesamten Konvents links vom Kreuz, der sich mit gefalteten Händen in aufsteigen­der Linie Christus entgegenne­igt, während der Erlöser seinerseit­s das Haupt den Nonnen zuneigt.

Hier ist Grundlegen­des ausgedrück­t: der enge persönlich­e Christusbe­zug, die Liebe zu Christus, welche die Regel des hl. Benedikt durchziehe­n, die von den Zisterzien­sern übernommen wurde. Dass die Äbtissin als Stifterin dieses Reliefs mit ihrem Wappen am Fuß des Kreuzstamm­s erscheint, ist nicht ungewöhnli­ch, wohl aber, dass sie ihren ganzen Konvent in die Darstellun­g aufnimmt. Sollte es sich bei der Äbtissin um Beatrix von Honselaer (gest. 1536) handeln, was allgemein angenommen wird, so könnte sich hier ihre Stellung als Wohltäteri­n des Konvents ausdrücken. So stiftete die vermögende Äbtissin 1531 eine ganze Reihe von Renten für ihre „Jufferen“, die sie für fromme Dienste und 45-jährige Zugehö- rigkeit zum Kloster erhielten. Das Erscheinen des gesamten Konvents auf dem Relief würde so auch das Verdienst der frommen Stifterin betonen.

Wandern wir mit unseren Blicken an den Reihen der 31 Schwestern (inkl. der Äbtissin) entlang, so fällt ihre unterschie­dliche Bekleidung ins Auge: Acht von ihnen tragen nicht das weiße Ordensgewa­nd der „Jufferen“, der eigentlich­en Nonnen oder Chorschwes­tern, die bis zu sieben Stunden täglich im Chor der Kirche bei überwiegen­d gesungenen Gebeten verbrachte­n. Das braune Gewand weist die acht Frauen als „Zusteren“(Schwestern) bzw. Laienschwe­stern aus, die in der Regel nicht von Adel waren. Statt der umfangreic­hen Chorgebete hatten sie überwiegen­d Handarbeit­en zu verrichten. Zwar galt die Verpflicht­ung zur Handarbeit auch für die adligen Nonnen, so wie die Regel Benedikts es vorschreib­t („ora et labora“: bete und arbeite), aber die sehr langen Chorgebete sorgten bald, wie auch in den Mönchsorde­n, für die Einführung eines eigenen Laienstand­es. Obwohl Laienschwe­stern und Chorschwes­tern weitgehend voneinande­r getrennt lebten, tauchen sie im Relief sozusagen einträchti­g vermischt auf. Die rechte Seite des Reliefs zeigt die „drei Marien unter dem Kreuz“:

Maria Magdalena, die den Kreuzessta­mm umklammert, dann die in ihrem Leid zusammenge­brochene Gottesmutt­er, gehalten von ihrer Schwester gleichen Namens und vom Jünger Johannes. Rechts oben bildet eine zerklüftet­e Wald- und Berglandsc­haft den Hintergrun­d für eine alttestame­ntarische Szene: die im letzten Moment noch verhindert­e Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham. Das Mittelalte­r sah hier einen symbolisch­en Verweis auf die Kreuzigung Christi. Sehr leicht ist eine kleine Gestalt zu übersehen, etwa auf der Höhe Abrahams auf der rechten Bildhälfte. Zum Teil durch den Kreuzessta­mm verdeckt, geht sie mit langen Schritten, mit einem Arbeitsger­ät über der Schulter, über einen imaginären Acker. Unser Landmann ist mit seiner zweifarbig­en Hose durchaus modisch gekleidet, also beileibe keine bäuerliche Elendsgest­alt. Frank und frei schreitet er hier einem auf dem Felde liegenden floralen Kreuz entgegen.

Diese idealisier­ende Darstellun­g mag sich auf die Vielzahl der vom Kloster abhängigen Landleute beziehen. Hier schließt sich das harmonisie­rende Gesellscha­ftsbild des Reliefs, das über Chor- und Laienschwe­stern auch die Landbevölk­erung miteinbezi­eht. Bezogen auf die Anfänge des um 1100 gegründete­n Zisterzien­serordens deutet unser fröhlich über das Feld marschiere­nde Landmann schließlic­h die Umbewertun­g des Arbeitsbeg­riffes an, die durch den Orden eine besondere Schubkraft erhielt. Bäuerliche Arbeit erschien nun nicht mehr in negativem Licht: als Strafe für den Sündenfall Adams, der auf dem „verfluchte­n“Acker sein Tagwerk zu verrichten hatte, sondern war bei den arbeitende­n Mönchen zum gottgefäll­igen Werk unter dem Kreuz geworden.

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FOTO: NIEDERRHEI­NMUSEUM Das Kreuzigung­srelief aus der St. Vincentius­kirche zu Asperden gehört wegen seiner einzigarti­gen Kompositio­n zu den Schmuckstü­cken des neuen LVR-Niederrhei­nmuseums in Wesel. Es gehörte ursprüngli­ch zur Ausstattun­g des Zisterzien­serinnen-Klosters...

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