Gesellschaft driftet weiter auseinander
Die Gruppe sehr armer und sehr reicher Menschen wird einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge immer größer.
DÜSSELDORF Der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen – oder, um ihn auf Deutschland umzumünzen: vom Hauptschüler zum Vorstandschef – ist offenbar eine Illusion. Wie eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung belegt, verfestigen sich dauerhafte Armut und dauerhafter Reichtum in Deutschland.
Die Forscher haben sich dafür des sogenannten Sozioökonomischen Panels bedient, einer alljährlichen Einkommensbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Als relativ arm gilt nach verbreiteter Meinung der Wissenschaft, wer weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens im Monat zum Leben hat. 2015 lag dieser Wert bei einem Single bei etwas mehr als 12.000 Euro im Jahr. Diese oft fälschlich als Durchschnittseinkommen bezeichnete Größe steht für genau das Einkommen, das in der Mitte liegt, wenn alle Einkom- men ihrer Höhe nach aufsteigend sortieren würden. Als reich gilt, wer mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens verdient, 2015 wären das rund 41.000 Euro gewesen.
Wer länger als fünf Jahre hintereinander einer der beiden Gruppen angehört, gelte als dauerhaft arm oder reich, schreibt die Autorin der Studie, Dorothee Spannagel. Damit wählt sie eine weniger scharfe Definition als die Bundesregierung, die bereits nach drei Jahren Zugehörigkeit von dauerhafter Armut oder dauerhaftem Reichtum spricht
Spannagel warnt davor, dass sich an beiden Rändern der Gesellschaft Parallelgesellschaften bilden könnten: „Längst ist das Bild einer Gesellschaft, in der es nur temporäre Armut gibt, überholt.“Arme und Reiche konzentrierten sich zunehmend in sozial getrennten Stadtvierteln und schickten ihre Kinder auf entsprechende Schulen. Es werde immer schwieriger, wie in einem Fahrstuhl von einer Schicht in die nächste aufzusteigen. Die Autorin hat sich die beiden Gruppen detaillierter angeschaut. Der Schlüssel zur Armutsvermeidung ist demnach wohl Bildung. Mehr als die Hälfte der dauerhaft Armen hat maximal einen Hauptschulabschluss, die Zahl der Abiturienten beträgt gerade einmal zwölf Prozent, einen Hochschulabschluss haben acht Prozent.
„Der Fahrstuhl fährt weiter, aber es fahren
weniger mit“
Die Gruppe der dauerhaft Armen, die älter als 65 Jahre alt sind, ist mit 43 Prozent erschreckend hoch. Eine hartnäckige Armut ist insbesondere bei Rentnern (49 Prozent) und Arbeitslosen (25 Prozent) anzutreffen. Und dauerhaft Arme, die sich noch im Erwerbsleben befinden, haben meist keine volle Stelle: Nur sechs Prozent arbeiten in Vollzeit, 7,5 Prozent 7,6 Prozent sind geringfügig be- schäftigt.
Menschen mit Migrationshintergrund sind im Übrigen überrepräsentiert in der Kategorie der dauerhaft Armen: Während 16 Prozent der Gesamtbevölkerung ausländische Wurzeln haben, ist die Gruppe der Migranten bei den dauerhaft Armen mit 27 Prozent deutlich stärker betroffen. Armut ist auch ein weibliches Problem: In der Gesamtbevölkerung sind laut Spannangel 45 Prozent weiblich, bei den dauerhaft Armen liegt die Zahl mit 54 Prozent deutlich höher.
Spiegelbildlich sieht es in der Gruppe der dauerhaft Reichen aus: Sie sind gut gebildet, Hauptschüler gibt es so gut wie keine. 80 Prozent haben das Abitur, genau so viele ein Studium absolviert. Zu knapp 65 Prozent sind die dauerhaft Reichen in Vollzeit tätig. „Aus Teilzeiterwerbstätigkeit oder geringfügiger Beschäftigung Reichtum dauerhaft zu sichern, ist kaum möglich“, heißt es in der Studie. Und Reichtum ist eine Sache der Männer– sie stehen für drei Viertel aller dauerhaft Reichen.
Je starrer das soziale Gefüge einer Gesellschaft sei, schreibt die Autorin, desto starrer sei auch deren soziale Ungleichheit, was diese wiederum verstärke. Gerade deshalb seien die beschriebenen Entwicklungen so bedenklich.
Um Armut zu bekämpfen und zu verhindern, dass sich die dauerhaft Reichen vom Rest der Gesellschaft absetzten, empfiehlt die Autorin vier Dinge: Die Lohnungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland von durchschnittlich 739 Euro im Monat müssten abgebaut werden. Bildungsnachteile sollten – etwa durch eine stärkere Frühkindliche Förderung – abgebaut werden. Die Langzeitarbeitslosigkeit müsse stärker durch gezieltere Beratung und einen sozialen Arbeitsmarkt bekämpft werden. Zudem müssten Mehrverdienerhaushalte durch den Ausbau kostenloser Betreuungsangebote für Kinder stärker gefördert werden.
Dorothee Spannagel
Autorin der Studie