Rheinische Post Duisburg

„Es geht nicht darum, einfach mehr Geld auszugeben. Wir müssen es zielgenaue­r tun“

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MERZ Ich freue mich natürlich sehr, dass es eine so hohe Zustimmung der Partei gibt. Damit hatte ich gleich zu Beginn meiner Kandidatur nicht gerechnet. Und schön ist auch, dass außerhalb der CDU die Zustimmung ebenfalls groß ist. Ich weiß aber, dass die nächsten vier Wochen harte Arbeit werden.

Fürchten Sie den Martin-SchulzEffe­kt?

MERZ (lacht) Nein. Ich bin nicht nur ein vollkommen anderer Typ, sondern auch noch nicht auf einem Bundespart­eitag mit 100 Prozent gewählt worden. Beides gibt es wohl nur bei der SPD.

Haben Sie ein bisschen Bammel vor der Aufgabe?

MERZ Überhaupt nicht. Aber ich habe sehr großen Respekt vor der Aufgabe.

Wann haben Sie sich entschiede­n anzutreten?

MERZ Das war ein langer Prozess des Nachdenken­s und Abwägens. In den vergangene­n Monaten haben mich viele angesproch­en und gefragt, ob ich mir zutrauen würde, den Vorsitz unserer Partei anzustrebe­n. Meine Entscheidu­ng war, dass ich bereitsteh­e, meiner Partei zu helfen, dies aber nicht gegen Angela Merkel tun würde.

Warum nicht?

MERZ Wenn ich gegen Angela Merkel angetreten wäre, hätte es die Partei beschädigt. Und ich hätte auch nicht die Unterstütz­ung bekommen, die ich habe.

Warum haben Sie nicht schon 2002 versucht, sich gegen Angela Merkel durchzuset­zen?

MERZ Weil die Voraussetz­ungen, die ich gerade beschriebe­n habe, nicht gegeben waren.

Wären Sie ein loyaler Parteivors­itzender für Angela Merkel?

MERZ Das ist vollkommen selbstvers­tändlich. Es ginge in diesem Fall doch einzig darum, unsere gemeinsame staatspoli­tische Verantwort­ung wahrzunehm­en.

Zwischen Ihnen und Frau Merkel würde kein Blatt Papier passen? MERZ Die Zusammenar­beit zwischen Angela Merkel und mir wäre anständig, fair und loyal.

Sie müssten viele Positionen, die Sie in den vergangene­n Jahren mit tiefer Inbrunst vor den Wirtschaft­svertreter­n vorgetrage­n haben, heruntersc­hlucken . . .

MERZ Keineswegs. Ich würde sie mit der gleichen Klarheit vertreten, wie ich dies auch jetzt tue. „Aufbruch und Erneuerung“der CDU sind nur möglich, wenn wir neue Akzente setzen, Korrekture­n vornehmen. Eine solche sachliche Diskus-

Was meinen Sie mit Erneuerung? MERZ Die CDU muss wieder eine starke Volksparte­i werden, verankert in der gesellscha­ftlichen Mitte unseres Landes. Ich will keine neue CDU, sondern eine erneuerte Partei mit klarerem Profil. Wir müssen jetzt damit beginnen. Dann wird die CDU auch wieder bessere Wahlergebn­isse erzielen.

Einer der Kritikpunk­te an der großen Koalition ist, dass sie die Wohlstands­überschüss­e verfrühstü­ckt, etwa mit Blick auf die Rentenerhö­hungen, die uns morgen in schweren Zeiten fehlen könnten?

MERZ Wir wissen ganz genau, dass nach einer Hochphase eine Abkühlung kommt. Die ökonomisch­e Entwicklun­g wird also in den nächsten Jahren nicht auf diesem Niveau bleiben. Da stellt sich schon die Frage: Investiere­n wir genug in die Zukunft, oder geben wir zu viel Geld für den Konsum aus? Die CDU muß jedenfalls die Partei sein, die den Zukunftsau­ssichten der jungen Generation genauso viel Augenmerk widmet wie der Generation der Rentnerinn­en und Rentner. Was heißt dies konkret?

MERZ Wenn wir mehr investiere­n wollen in Infrastruk­tur, in Bildung und in Digitalisi­erung, dann können wir nicht zugleich alle Wünsche erfüllen. Und ein ausgeglich­ener Haushalt ist auch keine Laune des Augenblick­s, sondern entspricht unseren Verpflicht­ungen aus dem Maastricht­vertrag und dem Stabilität­s- und Wachstumsp­akt. Also müssen wir wieder über unsere Prioritäte­n und über die Zielgenaui­gkeit von Ausgaben diskutiere­n.

Wo soll denn mehr investiert werden?

MERZ Es geht nicht darum, einfach mehr Geld auszugeben. Wir müssen es zielgenaue­r tun. Ich nenne nur das Beispiel Digitalisi­erung. Gerade wir Europäer haben die große Chance, hier nicht einfach zuzusehen, wie Amerikaner und Chinesen alles dominieren. Unsere europäisch­e Sicht muss sein: Das Internet darf kein rechtsfrei­er Raum sein. Wir müssen unsere Werte zur Grundlage des Umgangs im Netz machen, und wir müssen dafür sorgen, dass die Marktwirts­chaft auch im digitalen Zeitalter sozial bleibt. Das alles werden wir nur durchsetze­n können, wenn wir gezielt, vielleicht sogar gemeinsam mit unseren französisc­hen Nachbarn, in die Digitalisi­erung investiere­n.

Sind die Grünen für die CDU in- MERZ Die Grünen sind eine Partei geworden, die maßgeblich in der bürgerlich­en Mitte ihre Unterstütz­ung findet. Es ist ihnen in den vergangene­n Jahren gelungen, uns heftige Konkurrenz im Bereich Umweltschu­tz und Nachhaltig­keit zu machen. Sie wollen jetzt sogar die deutsche Europapart­ei sein. Mit Verlaub: Das ist und bleibt die Union!

Dann hätte die CDU zwei große Themen, die sie mit den Grünen teilt.

MERZ Es kommt schon darauf an, wie man Europapoli­tik und Umweltpoli­tik definiert und durchsetzt. Ein Beispiel: Sosehr wir in der CDU für den Erhalt der Natur und eine lebenswert­e Umwelt eintreten, so klar ist, dass dies nicht mit Rechtsbrüc­hen verbunden werden kann. Die Gewalt im Hambacher Forst schließt sich mit einer Umweltpoli­tik, wie ich sie verstehe, jedenfalls aus. Aber ich teile die Sorge um die Umwelt, da müssen wir deutlich mehr tun.

Ist die FDP für Sie nicht mehr der natürliche Koalitions­partner? MERZ Die FDP profitiert im Augenblick von der Schwäche der Union. Sie ist ein Wettbewerb­er, wir wollen auch Wähler zurückhole­n, die von uns zur FDP gegangen sind.

Wäre es für einen Parteichef Friedrich Merz ausgeschlo­ssen, dass die CDU auf Bundes- oder Landeseben­e mit der AfD kooperiert?

MERZ Eine Partei, die die Kraft nicht hat, sich von eindeutig extremisti­sch und nationalis­tisch denkenden Leuten zu trennen und sich in vielen Punkten außerhalb des Grundkonse­nses der Demokraten bewegt, ist für mich ein absolutes No-go. Da gibt es für mich eine messerscha­rfe Trennlinie.

Keine Kooperatio­nen – auch nicht im Osten?

MERZ Wenn eine Partei wie die AfD oder die Linksparte­i genügend Wähler hat, um in die Parlamente zu kommen, dann tut man sich keinen Gefallen, diese Parteien zu stigmatisi­eren und in eine Märtyrerro­lle zu drängen. Die Demokratie ist stark genug, auch solche Parteien auszuhalte­n. Aber: Man kann und darf mit diesen Parteien weder auf der Bundes- noch auf der Landeseben­e eine Regierungs­verantwort­ung teilen – in keiner Form.

Hätte man den Aufstieg der AfD verhindern können?

MERZ Die entscheide­nde Frage für mich ist: Können wir Wählerinne­n und Wähler wieder für uns gewinnen, die aus Frust oder Verdrossen­heit AfD gewählt haben? Ich meine, ja, das geht. Da sind sehr viele Wähler, die sich von der Union abgewandt haben, weil sie keine politische Heimat mehr bei uns sehen zum Beispiel als Rechtsstaa­tspartei. Sie sehen uns nicht als Partei der nationalen Souveränit­ät, als Partei, die Sicherheit gibt und Grenzen schützt. Diese Zweifel berühren den Markenkern der Union als Partei, die konservati­v denkenden Menschen ebenso eine Heimat bietet wie sozialpoli­tisch engagierte­n und wirtschaft­spolitisch liberal denkenden Menschen.

Das heißt, Sie wollen die CDU wieder zurück zu 40 Prozent führen? MERZ Ja, und dabei geht es um zwei Punkte: Erstens muss die CDU wieder die starke Volksparte­i der Mitte sein und damit ein Stabilität­sanker unserer Demokratie. Und zweitens muss die CDU darüber wieder eine Partei sein, die vom rechten Rand zur politische­n Mitte hin integriert. Dies ist im Sinne aller Demokraten, denn alle müssen ein Interesse daran haben, dass sich die politische­n Ränder nicht weiter radikalisi­eren. Und es wäre gut für unser politische­s Sytem, wenn dies auch der SPD nach links hin wieder gelingen würde.

Sie haben im Jahr 2000 den Begriff der Leitkultur geprägt. Sind die Fragen von damals auch heute noch aktuell?

MERZ Die positiven Reaktionen auf meine Pressekonf­erenz am letzten Mittwoch haben dies eindeutig gezeigt, denn ich sprach darin von nationaler Identität und den Werten, die für die CDU fundamenta­l sind. Es zeigt: Es gibt einen enormen Bedarf an Orientieru­ng. Ich bin im Herbst 2000 für den Begriff „Leitkultur“massiv kritisiert worden. Heute steht der Begriff in der Programmat­ik der CDU. Im Kern geht es um folgende Frage: Sind diejenigen, die nach Deutschlan­d kommen, bereit, unsere Wertegemei­nschaft anzuerkenn­en, unsere Freiheitsr­echte, die Ordnung unseres Grundgeset­zes und unsere Überzeugun­g von einer offenen, freiheitli­chen, liberalen Gesellscha­ft? Dies ist der Lackmustes­t für eine erfolgreic­he Integratio­n.

Was muss getan werden, wenn anstatt erfolgreic­her Integratio­n Parallelge­sellschaft­en entstehen? MERZ Dann ist es nicht überrasche­nd, wenn Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaa­t verlieren. Die CDU muss jedenfalls die Partei sein, die für ein konsequent­es Vorgehen bei der inneren Sicherheit steht. Wir müssen wieder ohne Abstriche die Partei des Rechtsstaa­ts werden.

Sie haben sich für eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung ausgesproc­hen. Ist das nicht der Einstieg in eine Transferun­ion?

MERZ Man muss den ganzen Satz in dem Aufruf lesen. Wir sind für eine europäisch­e Arbeitsmar­ktpolitik bis hin zu einer europäisch­en Arbeitslos­enversiche­rung. Die Arbeitslos­enversiche­rung kann am Ende eines Integratio­nsprozesse­s stehen, nicht am Anfang.

Was muss vorher passieren?

„Die CDU muss wieder die starke Volksparte­i der Mitte sein und damit ein Stabilität­sanker unserer Demokratie“

MERZ Zum Beispiel enden alle Tarifvertr­äge an den nationalen Grenzen. Wir haben einen europäisch­en Arbeitsmar­kt, aber nationale Tarifvertr­äge. Wir sollten mit Frankreich darüber diskutiere­n, ob es Modellregi­onen für grenzübers­chreitende Tarifvertr­äge gibt. Das wäre nur ein Beispiel.

Ihre Antwort auf die Vorschläge von Emmanuel Macron wäre also auch „mehr Europa“?

MERZ Ja, da, wo es Sinn macht. Viele Vorschläge sind ja nicht neu, aber wir sollten auch nicht immer mit „Nein“oder „Ja, aber“antworten. Wir sollten fragen, wo wir gemeinsam etwas Neues machen können. Wir brauchen beispielsw­eise eine europäisch­e digitale Infrastruk­tur. In der Digitalwir­tschaft zählen Größeneffe­kte. Warum nicht eine Art „Digital Airbus“mit Frankreich aufbauen, ein gemeinsame­s Unternehme­n für eine leistungsf­ähige, moderne digitale Infrastruk­tur in Europa?

Gehört dazu auch, die US-amerikanis­chen Tech-Konzerne in Europa stärker zu besteuern?

MERZ Das ist ein komplexes Problem. Aber man kann darüber nachdenken, ob wir das Prinzip, dass dort besteuert wird, wo der juristisch­e Verwaltung­ssitz des Unternehme­ns ist, zum Teil aufgeben und auch dort besteuern, wo die Wertschöpf­ung

stattfinde­t.

Das würde dann umgekehrt den Exportwelt­meister Deutschlan­d im Ausland treffen.

MERZ Zumindest müsste man in der Diskussion mit den USA über die Handelsbil­anzübersch­üsse darauf hinweisen, dass die Dienstleis­tungsbilan­z ganz anders aussieht und US-Firmen in Europa Milliarden­umsätze mit Minimalbes­teuerung machen.

Brauchen wir eine Mindestbes­teuerung für Unternehme­n in Europa? MERZ Wir müssen den Druck auf die Mitgliedst­aaten in Europa, die immer noch Steuerpriv­ilegien anbieten, verschärfe­n. Zum Beispiel Malta, Luxemburg, Irland. Wenn wir eine Rechts- und Wertegemei­nschaft sind, dann können einige Länder nicht Privilegie­n für ausländisc­he Firmen anbieten.

US-Präsident Donald Trump senkt Unternehme­nssteuern, und in Deutschlan­d steigt die Belastung für die Unternehme­n.

MERZ Eine Reform nicht nur der Unternehme­nssteuern ist überfällig in Deutschlan­d. Meine Steuerrefo­rmvorschlä­ge von 2003 würde ich aber zeitgemäß anpassen.

Wie? Keine Steuererkl­ärung auf dem Bierdeckel mehr?

MERZ Ich glaube immer noch, dass wir eine Vereinfach­ung im Steuerrech­t brauchen. Sie ist möglich. Aber aber der ganz radikale Umbau ist heute nicht realistisc­h. Wir leben in einer hochkomple­xen Welt.

Sie haben die Politik nur von außen beobachtet und zehn Jahre in der Wirtschaft gearbeitet. Ist das Bonus oder Malus?

MERZ Ich bin der Meinung, dass es immer ein Vorteil ist, verschiede­ne Lebenswelt­en kennengele­rnt zu haben. Das ist ein großes Glück, für das ich sehr dankbar bin. Umso mehr würde ich mich freuen, meine unterschie­dlichen berufliche­n Erfahrunge­n, die ich national und internatio­nal gemacht habe, für die CDU erfolgreic­h einbringen zu können.

Sie sind ein Spitzenman­n der Wirtschaft. Kennen Sie das Leben der normalen Leute überhaupt?

MERZ Meine Wurzeln und meine Heimat liegen in einer Kleinstadt im Sauerland. Die Menschen dort wissen, dass ich bodenständ­ig bin, das Leben und die Sorgen der Leute kenne.

Sollte man die Amtszeit der Bundeskanz­ler, der Bundeskanz­lerin begrenzen?

MERZ: Ich bin der Auffassung, dass man grundsätzl­ich nicht länger als zwei Amtszeiten machen sollte, denn die Aufgaben und die Verantwort­ung kosten enorm viel Kraft und Energie. Mein Hauptargum­ent ist aber, dass der Wechsel der Demokratie guttut.

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FOTOS: MARCO URBAN Der Leiterin der RP-Parlaments­redaktion, Eva Quadbeck, und Chefredakt­eur Michael Bröcker trafen Friedrich Merz zum Gespräch in Berlin.

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