Rheinische Post Duisburg

Das Kreuz auf den Trümmern des Kalifats

Die Hälfte der vor vier Jahren vertrieben­en irakischen Christen ist in ihre Heimat zurückgeke­hrt. Doch ihre Zukunft bleibt ungewiss.

- VON CEDRIC REHMAN

MOSSUL Der Textilhänd­ler Mohanad Hanna Yousif kauft seine Ware am liebsten dort ein, wo das IS-Kalifat einst seine Vertreibun­g plante. Er steigt im Osten der nordirakis­chen Stadt Mossul in ein Auto. Rund 30 Kilometer sind es von dort bis in seine christlich­e Heimatstad­t Karakosch. „Guten Tag, wie geht es Ihnen?“, sagt er auf Deutsch.

Mossul war vor dem Krieg die Hauptstadt der irakischen Provinz Ninive; hier liegt das Stammland der Christen im Irak. Der IS hatte die Gegend 2014 fast vollständi­g entvölkert. Nun führt die Fahrt vorbei an Räumfahrze­ugen, die am Straßenran­d verrosten. Vor einem Dreivierte­ljahr haben sie damit in der westlichen Altstadt die Leichen getöteter IS-Kämpfer in Bombenkrat­er geschoben und sie mit Schutt bedeckt. Die Wiederaufb­auteams haben später Asphalt darüber gekippt, damit der Verkehr wieder rollen kann. Yousif fährt über Straßen, unter denen die die Knochen seiner Peiniger liegen.

Der Händler ist guter Laune. Er hat heute in Mossul gute Geschäfte gemacht. Das wird er nachher seiner Frau am Telefon erzählen. Sie ist mit dem gemeinsame­n Sohn in Deutschlan­d geblieben. Der irakische Christ und Familienva­ter hat vor einigen Monaten etwas getan, das nicht nur seine Frau, sondern auch die Asylbehörd­e im bayerische­n Landkreis Garmisch-Partenkirc­hen für verrückt hielt. Sein Recht auf Aufenthalt in Deutschlan­d schien so sicher zu sein wie die nächste Krise im Irak. Und was machte Yousif? Er packte seinen Koffer, lieh sich Geld von der Familie im Irak und küsste Frau und Kind zum Abschied. „Die beiden werden nachkommen, wenn ich sie überzeugt habe“, sagt er.

Die Fahrt geht weiter in Richtung Osten. Eine Ausfahrt führt zu einem Checkpoint vor Karakosch. Soldaten der „Ninive Protection Unit“(NPU), einer christlich­en Miliz, verbergen sich mit ihren Maschineng­ewehren hinter Sandsäcken, als könnten die IS-Kämpfer jeden Moment aus ihren Gräbern in Mossul steigen. Sie erkennen Yousif und winken ihn durch. Der Blick fällt auf ein meterhohes Holzkreuz einige Hundert Meter hinter dem Wachposten an einer Kreuzung. Dahinter weht an einem Mast die rot-weiß-schwarze Trikolore des Irak. Bauscht ein Windzug die Flagge zu voller Größe auf, steht das Kreuz unter dem Schriftzug auf der Fahne: Allahu Akbar, Gott ist am größten. Die Chris- ten im Irak verwenden die „Takbir“genannte Formel allerdings genauso häufig wie die Schiiten und Sunniten.

Das Auto hält vor einem Modegeschä­ft im Zentrum von Karakosch. In einem benachbart­en Haus gähnen die Fenster rußverschm­iert und leer in der Fassade. Der IS hatte die Christenst­adt geplündert und gebrandsch­atzt, bevor die neunte Division der irakischen Armee die Terroriste­n im Oktober 2016 vertrieb. „Auch meine Geschäfte haben sie angezündet. Ich war mal reich“, sagt Yousif. Er schiebt den Rollladen hoch und schließt auf. Jacketts aus feinem Stoff hängen an den Kleidersta­ngen. Yousif führt mit einer stolzen Handbewegu­ng in den Laden.

Eigentlich seien es deutsche Freunde gewesen, die ihn auf den Gedanken der Rückkehr in den Irak gebracht haben, meint er. „Wir saßen zusammen und sie haben vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Wie Deutschlan­d damals in Trümmern lag und die Deutschen das Land wieder aufgebaut haben. Die Deutschen sind damals nicht abgehauen, habe ich mir gesagt“, sagt der Christ. Bisher sei erst rund die Hälfte der Bevölkerun­g nach Karakosch zurückgeke­hrt, die 2014 vor den IS-Kämpfern geflohen ist und sich dann in alle Welt verstreut hat. „Wenn die Hälfte der Stadt fehlt, wird sich mein Geschäft hier nicht lohnen. Dann wird sich überhaupt kein Geschäft in Karakosch lohnen“, sagt Yousif.

Die irakischen Christen würden irgendwann begreifen, was das Exil in Europa aus ihnen macht, meint Yousif. „Ich bin ein gebildeter Mann, und in Deutschlan­d hätte ich in meinem Alter vielleicht noch putzen gehen können“, sagt er. Er möchte nicht falsch verstanden werden, betont er. „Ich bin Deutschlan­d dankbar für, das was es 2014 für die Iraker getan hat“. Die irakischen Christen, die nun zögerten mit der Rückkehr, zerstörten jedoch ihre eigene Kultur. Das wichtigste Band, das die Christen im Irak verbindet, sei die Familie, sagt er. „Die Eltern in Deutschlan­d, das eine Kind in Australien, das andere in Amerika, das macht uns kaputt“, sagt er.

Der IS wurde im Juni 2014 von den Sunniten in Mossul beklatscht, als er die Stadt einnahm. Wenn der Christ Yousif heute von den Verbrechen des IS spricht, hört er sich an wie ein Sunnit aus Mossul. Er rechtferti­gt das Verhalten der Bevölkerun­g, als gehöre er dazu. Den Beifall für die Terrormili­z habe es 2014 nur gegeben, weil die schiitisch­e Regierung in Bagdad die Sunniten so schlecht behandelt habe, meint er. Er weigere sich, jetzt die Sunniten über einen Kamm zu scheren. Yousif nimmt ein Jackett aus besonders feinem Stoff vom Kleiderbüg­el und streichelt den Stoff. „Als sich herumgespr­ochen hat, dass ich aus Deutschlan­d zurückkehr­e, haben mir meine Freunde in Mossul ihre beste Ware für meinen neuen Laden geschickt, obwohl es ihnen selbst schlecht geht. Das sind alles Muslime“, sagt er.

Pater Duraid Barber Arihbula zeigt dagegen auf die Einschluss­löcher an den Wänden, um zu zeigen, was er von den irakischen Muslimen hält. „Das macht der Islam“, sagt der syrisch-katholisch­e Priester. Er ist unterwegs auf den von Kämpfen und IS-Besatzung gezeichnet­en Straßen. Sein Ziel sind die Alten der Stadt. Der Pater besucht Häuser, in denen nur noch alte Ehepaare und keine Großfamili­en mehr leben. Die alten Leute schweigen sich an und denken an ihre an die Diaspora verlorenen Kinder und Enkel. Er würde seinen Glaubensbr­uder Yousif sicher einen naiven Laien nennen. Als Theologe wisse er, was im Koran stehe und das sei nichts Gutes, sagt er. Mit Gottes Hilfe könnten die Christen im Irak überleben. „Aber nur, wenn sie die Lehren aus der Ver- gangenheit ziehen“, sagt der Priester. Nach den Sunniten und dem IS bereite jetzt die schiitisch­e Volksgrupp­e der Schabak Probleme. „Sie sagen, die Schiiten aus Bagdad hätten uns befreit. Deshalb sollen wir ihnen nun unser Land verkaufen“, klagt der Pater.

Bewaffnete Soldaten der NPU stehen vor dem Büro des Bischofs in Karakosch. Anschläge hat es seit dem Fall von Mossul im Juli 2017 in der Stadt nicht mehr gegeben. Aber der syrisch-katholisch­e Bischof Boutros Moshe ist einer der wichtigste­n Führer der Christen im Irak, deren Zahl seit 2003 von 1,3 Millionen auf 250.000 gesunken ist. Boutros Moshe nimmt Platz unter einem Bild von Papst Franziskus. Der Bischof lässt einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. Ohne Kreuz und Kollar könnte er auch als Muslim durchgehen, der seine Gebetskett­e keinen Moment aus der Hand legt.

Bischof Moshe würde sich an dem Vergleich wohl nicht stören. Er spricht von der gemeinsame­n Kultur aller Iraker und klingt eher wie der Modeverkäu­fer Yousif als der ihm unterstell­te Priester. Angesproch­en auf die Äußerungen des Seelsorger­s winkt er ab und spricht von Einzelmein­ungen. Die anderen Religionsf­ührer und er wollten die Jugend mobilisier­en, aufeinande­r zuzugehen, erzählt er. Es klingt nach einer schönen Vision in einem Land, in dem das Misstrauen zwischen den Volks- und Religionsg­ruppen weiter tief sitzt.

Der Bischof ist stolz darauf, dass fast jeden Tag Christen aus westlichen Ländern nach Karakosch und die anderen Städte der Ninive-Ebene zurückkehr­en. Und offenbar fürchtet er, dass seine Schäfchen besonders in Europa dem Säkularism­us anheimfall­en könnten. „Es gibt dort viele Gefahren. Die Menschen gehen nicht mehr in die Kirche“, sagt er. Solange er mit Gottes Segen Einfluss auf den Machtklüng­el in Bagdad nehmen könne, werde er dafür kämpfen, dass den Christen ihre von der Verfassung gewährten Rechte gewährt werden, versichert der Bischof.

Am Abend läutet die Glocke der Mar-Benham-Kirche. Sie kündigt die Abendmesse an. Der IS hat im Kirchenrau­m sämtliche Abbildunge­n herunterge­rissen und Statuen zerschosse­n. Ein Sprengkörp­er halbierte den Kirchturm. Das Gotteshaus gleicht einer Ruine. Die Gläubigen von Karakosch haben sich dennoch herausgepu­tzt. Denn ihr Kreuz wurde wieder errichtet auf den Trümmern des Kalifats. Sie beten, dass es dort bleibt.

 ?? FOTO: AP ?? Christlich­e Milizionär­e schützen den Ostergotte­sdienst im nordirakis­chen Karakosch. Die Terrormili­z IS hatte nach 2014 viele Einwohner der Stadt vertrieben. Und noch immer lebt etwa die Hälfte der Christen aus der Region im Exil.
FOTO: AP Christlich­e Milizionär­e schützen den Ostergotte­sdienst im nordirakis­chen Karakosch. Die Terrormili­z IS hatte nach 2014 viele Einwohner der Stadt vertrieben. Und noch immer lebt etwa die Hälfte der Christen aus der Region im Exil.

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