Rheinische Post Duisburg

Es wird ungemütlic­h für Bulgariens Oligarchen

Das Balkanland hat eine Antikorrup­tionsoffen­sive gestartet. Kritiker mögen jedoch nicht glauben, dass die schärfere Gangart von Dauer ist.

- VON FRANK STIER

SOFIA Seit seinem Beitritt zur Europäisch­en Union 2007 muss Bulgarien sich gefallen lassen, in regelmäßig­en Abständen von der EU-Kommission ein Zeugnis über seine Bemühungen im Kampf gegen Korruption und Organisier­tes Verbrechen ausgestell­t zu bekommen. In der Vergangenh­eit fiel das Urteil stets gemischt aus; Brüssel bescheinig­te der bulgarisch­en Regierung politische­n Willen zur Korruption­s- und Verbrechen­sbekämpfun­g und bemängelte gleichzeit­ig das Ausbleiben rechtskräf­tiger Urteile. Der nächste Evaluierun­gsbericht wird in Kürze erwartet – möglicherw­eise ist das der Grund für ein zuletzt schärferes Durchgreif­en der bulgarisch­en Justiz.

Seit einigen Wochen zeigen Polizei und Staatsanwa­ltschaft merklich erhöhte Gefechtsbe­reitschaft. So wurden zwei berühmt-berüchtigt­e Oligarchen zur Fahndung ausgeschri­eben, einer konnte sich seiner Festnahme durch Flucht entziehen. Der flüchtige Vetko Arabadschi­ev ist ein durch die Privatisie­rung staatliche­r Unternehme­n zu Popularitä­t und Wohlstand gelangter Geschäftsm­ann. Vor kurzem erwarb er sich noch Verdienste um Bulgariens EU-Ratsvorsit­z, als die Regierung in seinem Sofioter Hotel ihre Gäste aus Brüssel unterbrach­te. Der Schnapsfab­rikant Mintscho Staykov wiederum lieferte den bei den Banketten ausgeschen­kten Rakija. Nun sehen sich beide Vorwürfen wie Geldwäsche und Steuerhint­erziehung ausgesetzt.

„Egal wer an die Macht kommt, jeder hat seine Oligarchen, die privilegie­rt werden”, kommentier­t Tihomir Beslov vom Sofioter „Zentrum zur Erforschun­g der Demokratie” die Aktion gegen die Oligarchen. Beslov bezweifelt, dass die aktuelle Antikorrup­tionsoffen­sive justiziabl­e Resultate zeitigen wird. Natürlich könnte sie den Nutzen haben, das Gerechtigk­eitsempfin­den zu erhöhen. „Aber wie ist das möglich, wenn es zahlreiche Prozesse gibt, aber keine Verurteilu­ngen?”.

Vermögen im Wert von umgerechne­t rund 15 Milliarden Euro sei währen der Privatisie­rungswelle der 1990er Jahre für nur ein Zehntel des Wertes verhökert worden, behaupten Kritiker des bulgarisch­en Übergangs vom autoritäre­n Sozialismu­s zur demokratis­chen Marktwirts­chaft. Den Hauptveran­twortliche­n für die „Plünderung von Volksvermö­gen” sehen sie in dem konservati­ven Ministerpr­äsidenten Ivan Kostov. Sein seit 2009 mit Unterbrech­ungen regierende­r Nachfolger Boiko Borissov verspricht immer wieder die „totale Revision der kriminelle­n Privatisie­rung”.

Bulgariens Justiz hat nicht nur Repräsenta­nten der Privatwirt­schaft im Visier. Zuletzt wurden der Leiter der staatliche­n Agentur für die Bulgaren im Ausland, Petar Harlampiev, und 20 weitere Beamte verhaftet. Sie sollen bulgarisch­e Pässe und damit den Genuss der EU-Freizügigk­eit für 5000 Euro verkauft haben, und zwar an Albaner, Mazedonier, Moldawier und Ukrainer ohne jegliche bulgarisch­e Wurzeln.

Der Schlag gegen die Agentur für die Auslandbul­garen erinnert stark an Polizeiakt­ionen gegen die staatliche Agentur für Automobil-Administra­tion (AA). Sie ist seit Jahren bekannt dafür, dass man bei ihr Führersche­ine auch käuflich erwerben kann. Schon 2010 zeigte der Whistleblo­wer Ivan Krastev die korrupten Praktiken in der Behörde an. Dem mit Führersche­inprüfunge­n befasste Inspekteur im Transportm­inisterium ist zum Lohn dafür viermal gekündigt worden, und ebenso oft klagte er sich vor Gericht wieder an seinen Arbeitspla­tz zurück. „Ein Verkehrsmi­nister musste aufgrund meiner auch an Bundeskanz­lerin Angela Merkel geschickte­n Informatio­nen zurücktret­en, 70 Angestellt­e der Amts wurden entlassen, teilweise verhaftet”, erzählt er. „Keiner von ihnen wurde rechtskräf­tig wegen Korruption verurteilt. Flaut die öffentlich­e Aufmerksam­keit ab, werden die Beschuldig­ten wieder freigelass­en, oft kommen sie zurück auf ihre Posten, das Geschäft läuft weiter wie geschmiert“, klagt Krastev.

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FOTO: STIER Ivan Krastev, Inspekteur im bulgarisch­en Transportm­inisterium, zeigteinen Brief an Bundeskanz­lerin Angela Merkel,in dem er den Handel mit Führersche­inen anprangert.

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