„Meine Frau sagte: ‚Keiner wird es kaufen!‘ Jetzt versteht sie die Welt nicht mehr“
Wer einfach irgendetwas puzzeln will, bekommt die Legespiele hinterhergeschmissen, in jeder Größe, mit jedem Motiv, zu fast jedem Preis, in Kleinanzeigen, Online-Auktionshäusern, auf Trödelmärkten sowieso – aber ich wollte ein ganz bestimmtes.
Dafür sprach, dass ich es schön finde. Zeitlos schön – anders als die üblichen verkitschten Schlösser und Skylines, Seen und Sonnenuntergänge. Ich halte es für das schönste Puzzle, das die Welt je gesehen hat.
Dagegen sprach, dass es aus 5.000 Teilen besteht, und ich mich in meiner „aktiven“Zeit – die im Übrigen 15 bis 20 Jahre her ist –, nie an mehr als 1.000 herangewagt hatte.
Dagegen sprach, dass es nicht zu den 99 Prozent der Waren zählt, die man im Fachhandel oder wenigstens im Internet bekommt, frei Haus geliefert am nächsten Tag, spätestens am übernächsten.
Dagegen sprach, dass es anstatt etwa vom zumindest gefühlten Weltmarktführer Ravensburger aus dem Schwabenländle von einem Künstler in Australien vertrieben wird, der es in China produzieren lässt.
Dagegen sprach, dass es 200 australische Dollar kostet, inklusive Versand, aber zuzüglich Einfuhrzoll, sodass ich am Ende rund 150 Euro los wäre – wenn es denn überhaupt ankäme.
Dagegen sprach, dass es absehbar fast ein halbes Jahr dauern würde, bis ich das gute Stück dann endlich in Händen halten würde. Kleinserie. Warteliste.
Als ich eines Tages per Mail erfuhr, dass das Puzzle nun vorbestellbar sei, wog ich die Vor- und Nachteile sorgfältig gegeneinander ab. Nach etwa einer Sekunde bestellte ich.
Obwohl noch eine letzte Kleinig- keit dagegen sprach: Das Puzzle würde noch ein weiteres halbes Jahr im Schrank liegen bleiben, bis nach dem Umzug in meine neue Wohnung, wo ich zumindest zeitweise ein komplettes Zimmer für den Zusammenbau reservieren könnte. Dabei misst das fertige Werk nur 2,03 Meter mal 81 Zentimeter – kein Vergleich zu den größten Puzzles der Welt, die 10, 12, 15 Quadratmeter Platz brauchen. Doch ich gehe schwer davon aus, dass man bei diesem alle 5.000 Teile auskippen und um sich herum verteilen muss, sodass man auf alle gleichzeitig Zugriff hat.
Das muss normalerweise nicht sein, weil man die Teile für mehr oder weniger große Abschnitte des Motivs vorsortieren kann, um diese Häufchen aus Teilen ähnlicher Farbe dann nacheinander „abzuarbeiten“. Diese Methode ist hier zum Scheitern verurteilt.
Denn dieses Puzzle verweigert sich dem Wettbewerb um möglichst schwere Lösbarkeit, im Gegensatz zu den Scherzartikeln/ Folterwerkzeugen, die in Gestalt komplett einfarbiger Puzzles (Schwarz, Weiß, Silber...) längst erhältlich sind. Die Pointe ist allerdings, dass beim Objekt meiner Begierde das andere Extrem wahr ist: Keine zwei Teile dieses Puzzles sind in genau demselben Farbton gehalten. Der riesige Farbverlauf, den man als Querschnitt eines Regenbogens verstehen kann, heißt nicht nur „5.000 Colours“. Er besteht auch aus 5.000 Teilen in je einer einzigartigen Farbschattie- rung. Der Versuch, gelbe und grüne, orange und rote, lilane und pinke Teile sauber voneinander zu trennen, muss fehlschlagen. Alles fließt. Alles geht ineinander über. Alles ist mit allem verbunden. Das klingt sehr schön und ist es theoretisch auch.
Praktisch jedoch könnte es mich leicht in den Wahnsinn treiben.
Mit dem Schöpfer des Puzzles spreche ich deshalb vorsichtshalber jetzt über sein Werk. Clemens Habicht (39) wuchs als Kind deutscher Eltern in Australien auf, studierte dort Kommunikationsdesign und arbeitet heute als Illustrator, Designer und Regisseur in Paris, wo ich ihn am Telefon erwische.
Als Kind sei er kein besonders großer Puzzle-Fan gewesen, erzählt Habicht, aber als er um die Jahrtausendwende für ein paar Jahre in Berlin lebte, habe er sich jeden Sonntag gemeinsam mit seiner Großtante in deren Puzzles vertieft. Später saß er bei schlechtem Wetter in einer Skihütte, löste aus Langeweile ein Puzzle – und bemerkte zu seinem eigenen Erstaunen, dass ihm die intuitive Arbeit am Abendhimmel über dem Kloster MontSaint-Michel mehr Freude machte als das „Nachbauen“des eigentlichen Motivs. Schnell machte er sich auf die Suche nach einem schicken Puzzle, das weder Sehenswürdigkeiten noch Tierbabys zeigt, sondern nur einen fließenden Farbverlauf – und stellte fest, dass es keins gab. „Also machte ich mich eben selbst an die Arbeit.“
Eine Schnapsidee als Fingerübung. Ohne kitschiges Motiv. Minimalistisch. Getrimmt auf Buntheit, aber in einer angenehmen Form, auf Balance aus Kontrast und Harmonie. Ein Jahr ging ins Land, mit viel Recherche etwa über Farbtheorie (vom alten Goethe bis Josef Albers) und diversen Prototypen. Ein durchgehender Farbverlauf stellte sich schnell als ungeeignet, weil zu einfach heraus: Dort sieht man jedem Teil an, wie herum es an welche Stelle gehört. So gab Habicht jedem Teilchen seinen ganz eigenen Farbton – und abgerundete Kan- ten, um harte, sichtbare Grenzen zu vermeiden. „Normale Puzzleteile sind wie abstrakte kleine Gemälde. Meine sollten absolut minimalistisch sein: ein Teil, ein Ton.“2014 stand fest: Machbar war das, doch nur mit so großem Aufwand, dass er 1000 Stück drucken lassen musste.
Aber das war ihm der Spaß wert. „Ich fand die Idee einfach gut und wollte, dass sie in die Welt kommt.“Sein Agent Jeremy ließ sich anstecken und steuerte die Hälfte zur Finanzierung bei. Darauf, dass er mehr als ein paar Dutzend verkaufen würde, hatte er selbst nicht gehofft, erinnert sich Habicht. „Das Ganze war bloß eine Spielerei. Wir machten sie vor Weihnachten fertig, damit wir mit etwas Glück wenigstens 50 verkaufen und ein paar an alle unsere Freunde und Verwandte verschenken konnten. Die restlichen würden wohl oder übel in einem Keller vergammeln.“
Stattdessen verbreiteten sich die selbsterklärenden Fotos und Videos des vielleicht ersten coolen Vertreters der uncoolen Gattung Puzzle so schnell im Internet, dass alle 1.000 Exemplare innerhalb von 48 Stunden ausverkauft waren. „Ich drehte damals gerade ein Musikvideo und bekam laufend SMS von Jeremy. Die Bestellungen kamen aus der ganzen Welt, aus Japan, Finnland, Polen… Es war surreal. Ich schrieb zurück: ‚Leg bloß ein paar zur Seite, für uns selbst!‘“
Vier Jahre später bietet Habicht insgesamt sieben verschiedene Versionen des Puzzles an, mit 100, 1.000 und eben 5.000 Teilen, viereckig und rund; bei einem verändern sich die Farben je nach Blickwinkel. Verkauft haben sie inzwischen Zehntausende, eine Kleinserie nach der anderen. „Insgesamt fast 50.000, glaube ich. Oder doch nur 20.000?“Habicht lacht. „Das sollte ich wohl eigentlich besser wissen… aber hey, ich bin Künstler, ich darf das.“Er denkt qualitativ. Aufgefallen ist ihm etwa, dass sich die Puzzles am Besten in Ländern mit einer starken Vorliebe für Ordnung und Perfektion verkaufen, zum Beispiel Japan und Deutschland. Apropos: Die nächsten Auflagen lässt er in Ravensburg drucken, aus Qualitätsgründen.
Das Interesse an seinen Puzzles schreibt Habicht einer Kombination aus universell verständlicher Idee, Timing und Glück zu. Bei ihren Käufern bedienten sie offenbar eine Sehnsucht nach dem Analogen, nach Offline-Zeit, Stille. „Man arbeitet sehr konzentriert an einer einzigen Aufgabe. Es gibt keinerlei Druck und umso mehr kleine Erfolgserlebnisse. Das ist meditativ, fast schon therapeutisch.“
Weshalb mich sein Puzzle aber dermaßen angezogen hat, kann Habicht selbst nicht sagen. Seiner Frau jedenfalls gehe es umgekehrt: „Sie sagte schon ganz am Anfang ‚Jaja, gestalte du mal ein Puzzle, wenn du Spaß dran hast… aber glaub mir, keiner wird es kaufen!‘. Jetzt versteht sie die Welt nicht mehr.“
Wie lange ich für die 5.000-Teile-Version brauchen werde, wagt er nicht zu schätzen. „Verdammt schwierig“werde es aber definitiv, warnt er. Das sei aber nur ein Nebeneffekt. „Schwierigkeit ist doch kein Selbstzweck; Schönheit schon eher.“An sich selbst hat er auch einen weiteren Nebeneffekt bemerkt: „Ich nehme in der Welt um mich die Farben bewusster und intensiver wahr.“
Habicht empfiehlt seine Puzzles aber auch als gemeinsames Projekt für Pärchen, Familien, Freundeskreise. „Man verbringt Zeit miteinander, teilt eine Erfahrung und ist sich nahe, ohne dabei unbedingt viel reden zu müssen.“Aus demselben Grund gehe er selbst unheimlich gern mit seinem Vater angeln.
Clemens Habicht