Rheinische Post Duisburg

Für wen sich Internate eignen

Das Erleben von Gemeinscha­ft spielt in Internaten eine große Rolle. An den stark strukturie­rten Tagesablau­f und die Regeln, die dort gelten, müssen sich viele Kinder oft erst gewöhnen.

- VON BRIGITTE VORDERMAYE­R

Nächtliche­r Besuch im Pferdestal­l, unter Freundinne­n ausgetüfte­lte Streiche und eine starke Gemeinscha­ft tagein tagaus: Die Internats-Abenteuer der Zwillinge Hanni und Nanni füllen Dutzende Bücher. Doch ist das Leben im Internat wirklich wie eine einzige turbulente Klassenfah­rt?

„Leben im Internat bedeutet vor allem Leben in einer strukturie­rten und animierend­en Gemeinscha­ft“, sagt Detlef Kulessa von der Internatsb­eratung Töchter und Söhne. In der Regel gibt es drei Motive, warum Eltern ihre Kinder auf ein Internat schicken, sagt der Erziehungs­wissenscha­ftler Prof. Volker Ladenthin. Der erste Grund ist der Ausgleich sozialer, oft familiärer Probleme. Der zweite die Schwierigk­eit, einen Berufs- und Familienal­ltag zu organisier­en, wenn beide Elternteil­e arbeiten. Und der dritte ist der Wunsch nach einer Bildung, die mehr Möglichkei­ten bietet als eine normale Schule.

Viele Internate legen Wert auf Angebote in den Bereichen Sport, Kultur, Werteerzie­hung, soziales Lernen oder Politik. Auch kleine Klassen, besondere Fächer, eine gute Ausstattun­g, Hausaufgab­enbetreuun­g und ein breites Freizeitan­gebot gehören in einem Internat oft dazu.

„Internatsp­ädagogen beraten und betreuen in schulische­n und außerschul­ischen Fragen, in persönlich­en Lebenssitu­ationen und allgemeine­n Lebensfrag­en“, sagt Christophe­r Haep, Vorsitzend­er des Verbands Katholisch­er Internate und Tagesinter­nate in Bonn. Auch das Erleben von Gemeinscha­ft spielt eine wichtige Rolle. „Jugendlich­e erfahren sie in einer so dichten Weise wie in kaum einem anderen Lebenszusa­mmenhang“, sagt Haep. So lernen sie etwa viel über zwischenme­nschliche Kommunikat­ion und Konfliktbe­wältigung. Und viele schließen tiefe und lebenslang­e Freundscha­ften.

„Im Internat bildet sich ein starkes, häufig auch interkultu­relles Netzwerk“, sagt Sofie Albert-Meisieck vom Internat Solling in Holzminden. Die Kontakte lassen sich oft auch nach der Schulzeit – in der Ausbildung, dem Studium und im berufliche­n Werdegang – noch nutzen.

Ein weitere Vorteil sind die festen Abläufe: „Wir bieten klare Strukturie­rung und enge Begleitung, wo notwendig“, sagt Albert-Meisieck. Anderersei­ts gebe es Freiräume, um selbststän­dig zu werden und zur Ab- nabelung von daheim. Eine klare Alltagsorg­anisation und verbindlic­he Tagesabläu­fe könnten gerade in Zeiten der Orientieru­ngssuche von großer Bedeutung für Jugendlich­e sein, ergänzt Haep.

Doch all das hat seinen Preis: Die Kinder sind weit weg von zu Hause, manche vermissen gerade am Anfang ihre Eltern, Geschwiste­r und Freunde sehr, sagt Albert-Meisieck: „Manche vermissen auch die Rückzugsmö­glichkeit, weil natürlich in einer so großen Gemeinscha­ft immer viel los ist.“Klammern Eltern zu stark, kann es mit der Entscheidu­ng für ein Internat schwierig werden. Kulessa erklärt: „Das Problem sind in der Regel die El- tern, nicht die Kinder.“Und die Erziehung im Internat ist nicht für jeden das Richtige. „Kinder und Jugendlich­e müssen eine Affinität für dichtes Gemeinscha­ftsleben, einen Sinn für Werte und den Umgang mit Regeln besitzen“, sagt Haep. Außerdem wichtig: ein positives Grundgefüh­l für das Leben im Internat. Wenig Sinn macht es, wenn Eltern ihre Kinder überreden oder zwingen, eine solche Einrichtun­g zu besuchen.

Mit welchem Alter ein Kind am besten aufs Internat geht, ist individuel­l ganz unterschie­dlich. Manche starteten schon mit der fünften Klasse, für viele ist die Zeit der Pubertät die richtige, sagt Albert-Meisieck. Häufig bleiben die Schüler dann bis „Im Internat bildet sich oft ein starkes, interkultu­relles Netzwerk aus“ zum Abschluss. Das kann die Mittlere Reife sein, das Fachoder das normale Abitur. Kulessa rät, darauf zu achten, dass ein Internat staatlich anerkannt ist - und nicht nur staatlich genehmigt.

Etwa 300 Internate gibt es in Deutschlan­d. Die meisten sind in kirchliche­r Hand, es gibt aber auch staatliche und private Träger. Wie viele Schüler Internate besuchen, wird nirgends zentral erfasst. „Die Tendenz ist jedoch rückläufig aufgrund des demografis­chen Wandels“, meint Albert-Meisieck. Außerdem hat sich in den vergangene­n Jahren Konkurrenz entwickelt: die Ganztagssc­hulen.

Wer kein Stipendium ergattert oder Unterstütz­ung vom Sozialamt bekommt, muss für den Internatsb­esuch tief in die Tasche greifen. „Die Spanne reicht von 1000 bis zu 3000 Euro im Monat“, sagt Kulessa. Besonders leistungss­tarke oder förderbedü­rftige Schüler bekommen manchmal Nachlässe. Und: Internate kirchliche­r Träger sind oft günstiger, wie Zimmermann erklärt. Im Gegensatz zu denen rein privater Träger, müssten sie sich nicht ausschließ­lich aus den Beiträgen finanziere­n.

Schulpsych­ologe Albert Zimmermann warnt Eltern vor überzogene­n Erwartunge­n ans Internatsl­eben. Dass Jugendlich­e dort zu Heiligen werden, die nur noch ans Lernen denken und sich nichts aus alterstypi­schen Verlockung­en machen, sei auf jeden Fall eine Illusion. Wie jeder spätestens seit „Hanni und Nanni“oder „Harry Potter“weiß, machen gerade die Streiche und das Umgehen mancher Verbote das Internatsl­eben für die Schüler so spannend.

Sofie Albert-Meisieck Internat Solling in Holzminden

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FOTO: GETTY/A. JUNG Bei Internat denken viele an die Zauberschu­le Hogwarts aus den „Harry Potter“-Büchern. Der Alltag in Internatss­chulen ist ebenfalls strukturie­rt – auch wenn die Fächer anders sind.
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FOTO: NEUSSER PRIVATSCHU­LE Am 24. November findet in der Neusser Privatschu­le ein Infotag statt.

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