Rheinische Post Duisburg

Hebammen zwischen Kreißsaal und Uni

Geburtshel­fer dürfen nun auch studieren. Sie sollen so fit fürs Ausland werden, obwohl hierzuland­e Hebammen fehlen.

- VON KATRIN LÖFFLER

TÜBINGEN (dpa) Für den Anfang ersetzt Stoff den Säugling. 30 junge Frauen sitzen in einem Seminarrau­m. Die eine Hälfte stülpt sich Schals und Jacken unter die Kleidung, die andere befühlt die entstanden­en Kugeln. Kichern. „Später stellt Ihr so fest, wie sehr sich die Gebärmutte­r anspannt“, erklärt Dozentin Bettina Duesmann. Später heißt: Wenn die jungen Frauen statt den vorgetäusc­hten Schwangers­chaftsbäuc­hen echte abtasten. Seit dem Winterseme­ster 2018/2019 sind sie Studentinn­en der Hebammenwi­ssenschaft — die ersten an der Universitä­t Tübingen. Und ihre Arbeit ist gefragt, denn bundesweit fehlen Geburtshel­fer.

„Man kann mit einem abgeschlos­senen Studium mehr auf Augenhöhe mit dem Arzt reden“

Josina Gebhard Studentin der Hebammenwi­ssenschaft

Bisher lernten Hebammen ihr Fach vorrangig in einer dreijährig­en Ausbildung. Künftig soll das nur noch über einen dualen Hebammenst­udiengang möglich sein, wie sie einige Hochschule­n bereits anbieten, verkündet Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) Mitte Oktober. Damit will er eine EU-Vorgabe umsetzen, die eine Akademisie­rung der Hebammenau­sbildung bis 2020 vorschreib­t. Deutschlan­d ist das letzte EU-Mitgliedsl­and, in dem dies noch nicht so ist.

Ein Vollhochsc­hulstudium wie das in Tübingen gibt es nach Angaben des Deutschen Hebammenve­rbands (DHV) bundesweit noch nicht. Es unterteilt sich in Vorlesungs­einheiten und solche beispielsw­eise im Simulation­skreißsaal — Theorie und Praxis sollen so besser verknüpft werden, sagt Duesmann. Nach sieben Semestern winkt der Bachelor.

Josina Gebhard (20) setzt einige Hoffnungen in das Studium: „Man kann mit abgeschlos­senem Studium mehr auf Augenhöhe mit einem Arzt reden. Außerdem können wir später auch in die Forschung gehen.“

Ihre Ziele dürften Diethelm Wallwiener, Direktor der Tübinger Universitä­ts-Frauenklin­ik und kommissari­scher Leiter des neuen Studiengan­gs, gefallen. Seinen Angaben nach will sich die Medizinisc­he Fakultät damit breiter aufstellen und eine internatio­nale Spitzenste­llung in der Forschung festigen. „Wir gehen davon aus, dass die Hebammen-Studentinn­en nach dreieinhal­b Jahren bei uns noch ihren Master machen, eine Doktorarbe­it schreiben, sich habilitier­en, Spitzenwis­senschaftl­erinnen werden.“

Von den 122 Bewerberin­nen — ein Mann war nicht darunter — bekamen nur die besten Abiturient­innen einen der 30 Studienplä­tze. Der Numerus clausus lag bei 1,5. Wallwiener hätte deshalb nichts dagegen, würden die 75 Plätze der Tübinger Hebammensc­hule, an der parallel zum neuen Studiengan­g der Beruf erlernt wird, künftig ins akademisch­e System überführt.

Ob das bis zum Jahr 2020 tatsächlic­h gelingt, ist allerdings mehr als ungewiss. Er glaube nicht, „dass Jens Spahn sich Gedanken gemacht hat, was eine Vollakadem­isierung bis in zwei Jahren kostet“, sagt der Mediziner.

Denn während an Hebammensc­hulen Lehrhebamm­en die Ausbildung übernähmen, dürften vor Studenten nur Akademiker dozieren. Entspreche­nd mehr Professore­n müssten berufen werden. Bezahlen müsste das Land. Wie der Sprecher des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums, Sebastian Gülde, erklärt, wird die Finanzieru­ng der akademisch­en Hebammenau­sbildung derzeit in Abstimmung mit den Ländern geprüft.

Unter anderem, weil Frauen erst in höherem Alter oder zunehmend mit Begleiterk­rankungen Kinder bekommen, wird Wallwiener zufolge die Geburtshil­fe komplexer. Akademisie­rte Hebammen könnten ihren Beruf zudem in allen EU-Mitgliedss­taaten ausüben.

Der DHV beklagt seit Jahren einen Mangel an Hebammen in Deutschlan­d. Zahlreiche der rund 2000 Krankenhäu­ser arbeiten unrentabel und schließen Abteilunge­n - auch Geburtssta­tionen. „Unsere Hebammen sagen teilweise pro Tag 30 Leuten ab, das ist sehr frustriere­nd“, sagt DHV-Sprecher Robert Manu. Arbeitsbel­astung und -verdichtun­g seien zudem vielerorts an der Tagesordnu­ng. Das schreckt Erstsemest­erin Leonie Sinclair nicht. Ihre Mutter arbeitet ebenfalls als Hebamme.

„Unsere Hebammen sagen teilweise pro Tag 30 Leuten ab, das ist

sehr frustieren­d“

Robert Manu DHV-Sprecher

„Das ist ein Zwiespalt: Der Beruf ist schön, aber es gibt große Probleme“, erzählt die 23-Jährige und verweist auf die hohen Haftpflich­tversicher­ungssummen, die Beleghebam­men aufbringen müssten. Dabei käme ihr eine freiberufl­iche Arbeit wegen der flexiblere­n Zeiteintei­lung entgegen, da sie selbst bereits ein Kind hat.

Aber es herrscht auch unter den an Krankenhäu­sern angestellt­en Hebammen eine „eklatante Unzufriede­nheit“— zu diesem Fazit kommt eine Studie des DHV aus dem Jahr 2015. Die Teilnehmer­innen gaben darin an, dass sie viele Überstunde­n und Arbeiten, die nicht zu ihrem Berufsbild zählten, erledigen und zu viele Gebärende gleichzeit­ig betreuen müssten. Auch Dozentin Duesmann beschönigt nicht: „Die Arbeitsdic­hte nimmt sehr zu.“Dann reicht sie einer der angehenden Hebammenwi­ssenschaft­lerinnen einen Säugling. Ihre Kommiliton­in, die mit Stethoskop seinen Herzschlag prüfen soll, seufzt: „Man hört nichts.“

Die Gruppe lacht. Es ist ja auch nur eine Übungspupp­e.

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FOTO: DPA Josina Gebhard (l.) und Kommiliton­in Leonie Sinclair gehören zu den ersten Studentinn­en der Hebammenwi­ssenschaft an der Universitä­t Tübingen.

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