Heilig’s Blechle
Wer sich nicht von seinem Auto trennen mag, kann sich daraus Möbel für seine Wohnung machen lassen. Beliebt sind Modelle der 1950erund 1960er-Jahre.
Ist nach der letzten Hauptuntersuchung klar, dass das Auto auf öffentlichen Straßen nicht mehr fahren darf, kommt es zum Schrotthändler oder Verwerter. Oder aber der Besitzer bastelt sich daraus neue Möbel für seine Wohnung. Für Paolo Tumminelli, Designprofessor an der TH-Köln, gibt es unterschiedliche Gründe, sich Möbelstücke aus alten Autoteilen in die Wohnung zu stellen. „Es geht um Stil und um Geschmack, ob ein umgebautes Auto optisch ins Zimmer passt. Aber auch um Kultur. Dass Teile eines ausrangierten Fahrzeugs eine neuen Funktion bekommen, zeigt, dass das Auto einigen Menschen viel bedeutet“, sagt er.
Für Tumminelli ist wichtig, dass alte Autos nicht extra zu diesem Zweck verschrottet werden, und auch nachgebaute Skulpturen hält er für unglaubwürdig. „Die Teile sollten schon original sein, sonst verlieren sie ihren Charme und ihre Bedeutung.“Für schicke Umbauarbeiten werden meist Auto-Legenden verwendet. Das sind oft amerikanische Straßenkreuzer mit ausladenden Heckflossen, aber auch kleine Autos wie der Fiat 500, Mini oder VW Käfer. „Das sympathische Design gefällt vielen Menschen, die populären Fahrzeuge passen zumindest in Teilen in viele Wohnungen.“Vor allem Modelle der 1950erund 1960er-Jahre sind beliebt – statt Kunststoff setzten die Autos damals auf Metall und Chromzierrat, innen wie außen.
Wer nicht selbst schrauben, schweißen oder polstern kann und möchte, findet einige professionelle Hersteller von Automöbeln. Michael Görmann stellt seit 2013 Möbel aus Autoteilen her. „Nach einer Restauration hatte ich zwei Kotflügel und eine Motorhaube einer Citroën DS übrig. Verkaufen wollte ich die nicht, deshalb baute ich mir ein Sofa daraus“, sagt er. 2017 gründete Görmann die Marke „Style Classics“und stellt seitdem auch Möbelstücke aus Flugzeugteilen her.
Görmann baut die Einzelstücke, weil sie ihm gefallen, aber auch für Kunden. „Am liebsten verbaue ich Fahrzeugteile mit einer schönen und faszinierenden Form, ganz gleich, was für ein Bauteil“, sagt er. Das seien meist Karosserieteile von Ente, Mini und DS, aber auch die Motorhaube eines Goggomobils sowie Motorteile von Mercedes Strichacht-Modellen. Aus Kurbelwellen werden Lampenfüße, aus Sportluftfiltern Uhrengehäuse für Tischuhren, aus Höhenrudern werden Tische und aus Flugzeugtüren Bilderrahmen mit Geheimfach hinter der Türpappe. Ganze Flügel eignen sich als Konferenztische.
„Kunden lieben das Besondere und wollen bekannte Dinge in einem neuen Licht sehen, gerne als Blickfang in der Wohnung, im Büro oder in der Praxis“, sagt Görmann. Seine Werke vermietet er auch für Messen und Events. Am häufigsten fragen Kunden nach Lampen, Lichtobjekten und Tischen, alles Unikate, je nach Art des Bauteils hochglanzpoliert oder in Wunschfarbe pulverbeschichtet. Görmann arbeitet auch mit Stücken aus Kundenhand. „Wenn jemand sein Auto aus Versehen zerstört hat und es als Möbelstück reanimieren möchte – Anruf genügt.“Interessenten sollten bedenken, dass manche Bauteile nicht durch eine Standardtür passen oder die behandelten Oberflächen nicht wetterbeständig sind.
Martin Schlund aus Endingen am Kaiserstuhl in der Nähe von Freiburg sah in den 1980er Am häufigsten fragen Kunden nach Lampen, Lichtobjekten und Tischen Jahren im Fernsehen einen zum Sofa umgebauten Cadillac – und war sofort begeistert. Damals fehlten ihm Zeit und Geld, die Idee aber blieb. Statt Cadillac wurde es kurz nach der Wende ein alter Trabi 601, den er als Sofa und Bar für den Privatgebrauch umfunktionierte. Seit zwölf Jahren entwirft und baut er Möbel und Accessoires aus Autoteilen, darunter Flaschenöffner, Beistelltische, Sideboards, Betten, Schreibtische und Theken.
Für seine Einzelstücke greift er überwiegend auf Blechteile zurück, montiert die Teile und lässt sie lackieren – wie im Fahrzeugbau üblich mit umweltverträglichen Wasserlacken. Flüssigkeiten oder andere Rückstände sind vorher schon alle entfernt. Oft fehlt den Teilen Stabilität. Die erreicht er mit Holz und Metall. Seine Kunden greifen häufig auf Autos der 1960erbis 1980er-Jahre zurück, darunter Modelle wie VW Käfer, Mini oder Mercedes-Fahrzeuge, die sie oft selbst gefahren sind. Sie kaufen die Möbel, weil sie eine starke Affinität zu Autos haben und etwas Besonderes suchen. „Oft verbinden sie mit dem Auto auch etwas ganz Spezielles, wie den ersten Urlaub oder ersten Kuss“, sagt Schlund.
Meist bespricht er am Telefon oder per E-Mail die Wünsche und die Vorgehensweise und macht sich dann an die Arbeit. Nach zwei bis drei Wochen kann er sein Werk ausliefern. Automöbel sind in der Regel teurer als normale Möbelstücke. Ein Trabi-Heck-Sideboard kostet rund 2000 Euro, ein Bett aus einem altem Mercedes rund 6000 Euro. Manche Versand- oder Möbelhäuser bieten ähnliche Formen zu deutlich niedrigeren Preisen an. Oft werden die Reproduktionen dazu nachgepresst oder in Kunststoff gegossen. Eines gemeinsam haben aber alle Automöbel: Sie müssen nie mehr zur Hauptuntersuchung.