Die Zahl der Wohnungslosen und Kältetoten steigt
BERLIN/DÜSSELDORF Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist alarmiert über eine hohe Zahl mutmaßlicher Kältetoter und befürchtet einen Anstieg von Menschen ohne eigenen Wohnraum erstmals auf mehr als eine Million. „Wir wissen von neun Menschen, die nachts ohne Fremdverschulden gestorben sind. In einigen Fällen laufen noch gerichtsmedizinische Untersuchungen, aber wir gehen davon aus, dass sie keine Wohnung hatten und bei den niedrigen Temperaturen erfroren sind“, sagte die Geschäftsführerin des Bundesver- bandes, Werena Rosenke, unserer Redaktion.
Seit Oktober seien vier Todesfälle in Hamburg, zwei in Düsseldorf und jeweils ein Fall in Köln, Essen und Lauchhammer in der Lausitz gemeldet worden. Im Vorjahreszeitraum seien mindestens drei Menschen an Kälte gestorben. Die Maßnahmen der Bundesregierung seien völlig unzureichend.
Der Geschäftsführer der Obdachlosenhilfe Fiftyfifty in Düsseldorf, Hubert Ostendorf, sagte, laut Obduktionsbericht sei der Ende Oktober vor dem Hauptbahnhof tot aufgefundene Pole an Organversagen gestorben. „Der Mann hät- te aber vermutlich überlebt, wenn es in der Nacht nicht bitter kalt gewesen wäre und er mit seinen Vorerkrankungen nicht auf der Straße geschlafen hätte.“Bei dem zweiten Fall in Düsseldorf gebe es Hinweise auf eine mögliche Selbsttötung. Ostendorf forderte mehr Hilfe für obdachlose EU-Bürger, deren Anteil stetig steige. Menschen aus Rumänien, Polen oder Lettland wollten in Deutschland arbeiten, landeten aber oft in illegalen Beschäftigungsverhältnissen und würden ausgebeutet. In Düsseldorf würden sie zu Touristen erklärt, weshalb ihnen die Zugänge zu städtischen Notunterkünften in der Regel verwehrt seien.
Die Wohnungslosenhilfe (BAGW) dokumentiert die Kältetoten anhand einer Presseauswertung und beklagt, dass die Bundesregierung keine Statistik von Kältetoten führe – genauso wenig wie eine Statistik über Wohnungs- und Obdachlose. Nach Angaben der BAGW starben seit 1991 mehr als 300 Menschen auf deutschen Straßen durch Kälte. Dabei handele es sich um eine Mindestzahl, weil viele Fälle nicht bekannt würden.
Nach den jüngsten Schätzungen der Wohnungslosenhilfe vor einem Jahr haben in Deutschland etwa 860.000 Menschen keine eigene Wohnung, darunter 52.000 Menschen ohne jegliches Obdach. Rosenke sagte: „Die Gesamtzahl könnte inzwischen schon auf eine Million Menschen angestiegen sein. Im letzten Jahr lautete unsere Prognose, dass bald 1,2 Millionen Männer, Frauen und Kinder, ohne eigenen Wohnraum sein könnten.“
Rosenke hielt der Bundesregierung schwere Versäumnisse vor. „Über das eingeführte Baukindergeld können sich Menschen freuen, die ein Eigenheim kaufen können. Davon sind die Wohnungslosen weit entfernt. Das Baukindergeld dämmt den Mangel an preiswerten Wohnungen nicht ein.“Von 1990 bis 2017 seien 60 Prozent der Sozialwohnun- gen aus der Sozialbindung gefallen. Die Bundesregierung liefere keinen Überblick, wie viele Sozialwohnungen es genau gebe. Es müssten jährlich 100.000 bis 150.000 Sozialwohnungen gebaut werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Tatsächlich seien es aber nur 20.000 bis 25.000.
Die BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke mahnt: „In den Großstädten wie Berlin, Hamburg und München erleben wir absolute Verarmung und Verelendung wohnungsloser Menschen auf der Straße, auch weil sie nicht krankenversichert sind und keine ärztliche Versorgung haben.“