Ostdeutsche Biografien für wertlos erklärt
Die sächsische SPD-Politikerin Petra Köpping hat ein Buch über die mentalen Folgen der Wende geschrieben.
Eine SPD-Politikerin zieht durch Sachsen, um sich für die Integration von Migranten im Land stark zu machen. Sie will hören, wo es vor Ort Probleme gibt, und für ein gutes Miteinander werben. Doch dann ist bei den Diskussionsveranstaltungen ständig von früher die Rede, von der Wende, der Treuhand, den Ungerechtigkeiten damals, die bis heute wirken. Irgendwann spricht ein Mensch den Satz aus, den die Integrationsministerin zum Titel ihres Buches gemacht hat: „Integriert doch erst mal uns!“.
Zwar nennt Köpping ihr Buch eine „Streitschrift für den Osten“. Doch streiten will die Autorin gerade nicht, sondern vor allem Verständnis wecken und dazu beschreiben, was die Wende neben allen politisch-ökonomischen Folgen an Kränkungen, Zumutungen, Herabwürdigungen für viele Ostdeutsche gebracht hat.
Natürlich ist das nicht neu. Auch im Westen weiß man inzwischen, dass Menschen im Osten erleben mussten, wie ihre Biografien „von anderen bewertet, ignoriert, belächelt und schlimmstenfalls für wertlos erklärt“wurden. Doch bedeutet wissen eben noch nicht verstehen oder gar nachempfinden. Da setzt Köpping an. Im unaufgeregten Ton einer Person, die aufklären und vermitteln will, trägt sie zusammen, in welchen Lebensbereichen Ostdeutsche Brüche verkraften mussten. Vor allem aber, wo sie rigoros bis herablassend behandelt wurden, wo man ihnen Anerkennung für ihre Lebensleistung verwehrte und wo sie handfeste Ungerechtigkeit schlucken mussten: Etwa, wenn ihnen höhere Rentenansprüche versprochen wurden, um niedrige Verdienste wie im Pflegebereich auszugleichen, und diese Ansprüche dann verfielen. Oder wenn Frauen sich zu DDR-Zeiten scheiden ließen mit dem Ausblick, dass für die Rente nur die letzten 20 Berufsjahre zählten, sich das aber nach der Wende völlig änderte.
Die Liste ihrer „Ungerechtigkeiten ist lang. Hinzu kommt die Abwanderung ostdeutscher Eliten Richtung Westen. Köpping geht es vor allem darum, die Folgen dieser Erfahrungen für das Selbstwertgefühl vieler Menschen im Osten deutlich zu machen. Es geht ihr um mentale Veränderungen auch bei jenen, die die Wende ökonomisch gut überstanden haben. Trotzdem mussten sie erleben, als Verlierer der Geschichte und Teil eines maroden Systems betrachtet zu werden.
Köpping stellt bekannte Forde- rungen, wie die Öffnung der Treuhand-Akten oder Ausgleich für Ungerechtigkeiten bei der Rentenberechnung. Wichtiger ist ihr aber die Frage, warum die Wendegeschichte gerade in ihren Folgen für das Bewusstsein in Ost und West so wenig aufgearbeitet ist. Meist sind es ja Krisensituationen wie die rechten Ausschreitungen in Chemnitz, die plötzlich schlaglichtartig vor Augen führen, wie tief die Enttäuschung bei vielen Menschen sitzt, wie sie das Klima in ganzen Regionen verändert hat – und auch, wie wenig der Rest des Landes die dahinter liegenden Probleme versteht. Köppings Streitschrift liefert keine neuen soziologischen Erklärungen oder psychologischen Deutungsversuche. Aber sie wirbt sachkundig dafür, sich überhaupt erst einmal für die tatsächlichen Schicksale der Menschen im Osten zu interessieren und aufrichtig, ohne Überheblichkeit zu fragen, warum längst noch nicht „zusammen gewachsen ist, was zusammen gehört“.
Petra Köpping: „Integriert doch erst mal uns!“, 2018, Ch. Links Verlag, 208 S., 18 Euro