Rheinische Post Duisburg

„Unser Ansatz ist human“

Österreich­s Bundeskanz­ler über die Flüchtling­spolitik der EU, das Sterben auf dem Mittelmeer und sein Verhältnis zur CDU-Chefin.

- MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Warum haben Sie den UN-Migrations­pakt boykottier­t, an dem Sie als Außenminis­ter mitgewirkt haben? KURZ Ich habe daran nicht mitgewirkt, und der Pakt beinhaltet eine Selbstverp­flichtung zu Inhalten, die ich nicht teile. Seitdem ich politisch denken kann, setze ich mich für die Trennung von Asyl aus Schutzgrün­den und der Arbeitsmig­ration ein. Dieser Pakt vermischt beide Phänomene. Das wollen wir nicht.

Wo ist die EU heute einiger als Anfang des Jahres?

KURZ Beim Brexit zeigt sich die EU sehr einig seit eineinhalb Jahren, bei anderen Themen gibt es unterschie­dliche Ansätze. Das ist auch nicht schlimm. Problemati­sch ist, wenn manche Mitgliedst­aaten auf andere Staaten herabsehen und sich moralisch überlegen fühlen. Es gibt aber keinen Erziehungs­auftrag für manche Mitgliedst­aaten, und es gibt auch keine Mitglieder erster und zweiter Klasse.

Ein konkretes Beispiel, bitte.

KURZ Man kann ein Land eben nicht dazu zwingen, Flüchtling­e aufzunehme­n. Das ist eine souveräne Entscheidu­ng der Staaten. Es gibt keine Kompromiss­e bei Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie, aber es muss den Respekt vor Traditione­n oder unterschie­dlichen Herangehen­sweisen bei aktuellen politische­n Fragen geben dürfen.

Österreich versteht sich als Brückenbau­er zwischen den großen Mitgliedsl­ändern wie Frankreich und Deutschlan­d und den kleinen Staaten in Osteuropa. Vergrößert sich die Kluft derzeit?

KURZ Es wäre dramatisch, denn die Idee der Europäisch­en Union ist Zusammenha­lt zwischen den Staaten, auch zwischen kleinen und großen Mitgliedst­aaten. Unterschie­dliche politische Zugänge in Sachfragen dürfen nicht zu Moralfrage­n aufgebausc­ht werden. Nur bei Rechtsstaa­t und Demokratie darf es keine Kompromiss­e geben.

Ist Viktor Orbán ein lupenreine­r Demokrat?

KURZ Es läuft derzeit ein Artikel-7-Verfahren, das sich mit den Vorwürfen in puncto rechtsstaa­tlich fragwürdig­er Entscheidu­ngen in Ungarn auseinande­rsetzt. Das ist jetzt der Beginn eines Dialogs mit Ungarn und noch keine Verurteilu­ng. Es wird sich zeigen, ob die Vorwürfe berechtigt sind. Vorschnell­e Urteile sind fehl am Platz. KURZ Ich neige nicht zu Übertreibu­ngen. Aber jede Europawahl ist eine Richtungsw­ahl. Diese sicherlich auch.

Worauf führen Sie die Erfolgssto­ry der Rechten zurück?

KURZ Immer dann, wenn die Parteien der politische­n Mitte die Kontrolle in bestimmten Politikfel­dern verlieren oder Fehlentwic­klungen abtun, entstehen diese Kräfte. Natürlich gehört das Thema Migration dazu.

In Deutschlan­d wird über die Russland-Politik diskutiert. In der Ostukraine bewegt sich wenig. Muss der Abbau von Sanktionen an Fortschrit­te geknüpft werden? KURZ Ich habe mich als Außenminis­ter schon dafür eingesetzt, wie vom damaligen Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier vorgeschla­gen den schrittwei­sen Abbau von Sanktionen konkret an Fortschrit­te in der Ostukraine zu knüpfen. Ein erster Schritt wäre ein echter Waffenstil­lstand in der Ostukraine. Es gab viel zu wenig Bewegung in den vergangene­n Monaten.

Glauben Sie, dass die Wahlen in Kiew zum Stillstand führen?

KURZ Nein, das muss keinen negativen Einfluss haben. Auch Kiew muss ein ernsthafte­s Interesse an Fortschrit­ten haben.

Was erwarten Sie von der neuen CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r?

KURZ Wir kennen einander und hatten nach ihrer Wahl bereits ein gutes Telefonat. Ich setze auf eine gute und enge Zusammenar­beit mit ihr. Deutschlan­d ist unser größter Nachbar und wichtigste­r Partner, vor allem wirtschaft­lich.

Glauben Sie, dass Angela Merkel bis 2021 regiert?

KURZ Das ist eine Entscheidu­ng der CDU und der Bundeskanz­lerin selbst.

Wie feiern Sie Silvester?

KURZ Mit meiner Freundin und vielen Freunden in Wien. Am 1. Januar freue ich mich dann auf den Besuch von Manfred Weber zum Neujahrsko­nzert in Wien.

Ihr Vorsatz fürs neue Jahr?

KURZ Als Bundeskanz­ler möchte ich das Reformtemp­o in Österreich beibehalte­n.

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FOTO: LAIF Sebastian Kurz im Kanzleramt am Ballhauspl­atz in Wien.

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