„Unser Ansatz ist human“
Österreichs Bundeskanzler über die Flüchtlingspolitik der EU, das Sterben auf dem Mittelmeer und sein Verhältnis zur CDU-Chefin.
Warum haben Sie den UN-Migrationspakt boykottiert, an dem Sie als Außenminister mitgewirkt haben? KURZ Ich habe daran nicht mitgewirkt, und der Pakt beinhaltet eine Selbstverpflichtung zu Inhalten, die ich nicht teile. Seitdem ich politisch denken kann, setze ich mich für die Trennung von Asyl aus Schutzgründen und der Arbeitsmigration ein. Dieser Pakt vermischt beide Phänomene. Das wollen wir nicht.
Wo ist die EU heute einiger als Anfang des Jahres?
KURZ Beim Brexit zeigt sich die EU sehr einig seit eineinhalb Jahren, bei anderen Themen gibt es unterschiedliche Ansätze. Das ist auch nicht schlimm. Problematisch ist, wenn manche Mitgliedstaaten auf andere Staaten herabsehen und sich moralisch überlegen fühlen. Es gibt aber keinen Erziehungsauftrag für manche Mitgliedstaaten, und es gibt auch keine Mitglieder erster und zweiter Klasse.
Ein konkretes Beispiel, bitte.
KURZ Man kann ein Land eben nicht dazu zwingen, Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist eine souveräne Entscheidung der Staaten. Es gibt keine Kompromisse bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, aber es muss den Respekt vor Traditionen oder unterschiedlichen Herangehensweisen bei aktuellen politischen Fragen geben dürfen.
Österreich versteht sich als Brückenbauer zwischen den großen Mitgliedsländern wie Frankreich und Deutschland und den kleinen Staaten in Osteuropa. Vergrößert sich die Kluft derzeit?
KURZ Es wäre dramatisch, denn die Idee der Europäischen Union ist Zusammenhalt zwischen den Staaten, auch zwischen kleinen und großen Mitgliedstaaten. Unterschiedliche politische Zugänge in Sachfragen dürfen nicht zu Moralfragen aufgebauscht werden. Nur bei Rechtsstaat und Demokratie darf es keine Kompromisse geben.
Ist Viktor Orbán ein lupenreiner Demokrat?
KURZ Es läuft derzeit ein Artikel-7-Verfahren, das sich mit den Vorwürfen in puncto rechtsstaatlich fragwürdiger Entscheidungen in Ungarn auseinandersetzt. Das ist jetzt der Beginn eines Dialogs mit Ungarn und noch keine Verurteilung. Es wird sich zeigen, ob die Vorwürfe berechtigt sind. Vorschnelle Urteile sind fehl am Platz. KURZ Ich neige nicht zu Übertreibungen. Aber jede Europawahl ist eine Richtungswahl. Diese sicherlich auch.
Worauf führen Sie die Erfolgsstory der Rechten zurück?
KURZ Immer dann, wenn die Parteien der politischen Mitte die Kontrolle in bestimmten Politikfeldern verlieren oder Fehlentwicklungen abtun, entstehen diese Kräfte. Natürlich gehört das Thema Migration dazu.
In Deutschland wird über die Russland-Politik diskutiert. In der Ostukraine bewegt sich wenig. Muss der Abbau von Sanktionen an Fortschritte geknüpft werden? KURZ Ich habe mich als Außenminister schon dafür eingesetzt, wie vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen den schrittweisen Abbau von Sanktionen konkret an Fortschritte in der Ostukraine zu knüpfen. Ein erster Schritt wäre ein echter Waffenstillstand in der Ostukraine. Es gab viel zu wenig Bewegung in den vergangenen Monaten.
Glauben Sie, dass die Wahlen in Kiew zum Stillstand führen?
KURZ Nein, das muss keinen negativen Einfluss haben. Auch Kiew muss ein ernsthaftes Interesse an Fortschritten haben.
Was erwarten Sie von der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer?
KURZ Wir kennen einander und hatten nach ihrer Wahl bereits ein gutes Telefonat. Ich setze auf eine gute und enge Zusammenarbeit mit ihr. Deutschland ist unser größter Nachbar und wichtigster Partner, vor allem wirtschaftlich.
Glauben Sie, dass Angela Merkel bis 2021 regiert?
KURZ Das ist eine Entscheidung der CDU und der Bundeskanzlerin selbst.
Wie feiern Sie Silvester?
KURZ Mit meiner Freundin und vielen Freunden in Wien. Am 1. Januar freue ich mich dann auf den Besuch von Manfred Weber zum Neujahrskonzert in Wien.
Ihr Vorsatz fürs neue Jahr?
KURZ Als Bundeskanzler möchte ich das Reformtempo in Österreich beibehalten.