Wie Duisburg plötzlich am Meer liegt
„Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer“, so lautet der Titel eines neuen Romans des Dortmunder Autors Sascha Pranschke. Das darin beschriebene Szenario eines fast untergegangenen Ruhrgebietes hat durchaus Bezüge zur realen Welt.
Das Meer beginnt gleich am Innenhafen. Es ist gewaltig, bedrohlich – und nach der großen Flut müssen die wenigen Menschen, die hier noch übrig geblieben sind, ständig in der Angst vor immer neuen Überflutungen leben. Die einzige Chance, der Bedrohung oder dem nassen Tod zu entkommen, ist die Flucht. Und die ist nur in eine Richtung möglich: nach Osten. Doch auch das ist kein einfaches Unterfangen, ist doch das ganze Ruhrgebiet im wahrsten Sinne des Wortes untergegangen. Die große Flut hat nicht nur viele Menschenleben, sondern auch die komplette Infrastruktur zerstört.
Das ist die Welt, in der der Dortmunder Autor Sascha Pranschke seine beiden Helden, die Geschwister Mara und Ben, auf eine ebenso beklemmende wie abenteuerliche Odyssee schickt. Am Ausgangspunkt ihrer Flucht steht Duisburg – jene Stadt, die am Ende der Welt am Meer liegt. „Am meisten faszinierte Ben ein roter Turm mit spitzem Dach, der aus einem alten Speichergebäude emporwuchs. Der Turm war fensterlos, und die Fenster des Spechers waren zugemauert. Als wollte dieser rote Monolith in seinem Innern Geheimnisse verbergen“, heißt es an einer Stelle über das Landes- archiv. Der Lanschaftspark Duisburg-Nord ist zu einem Sumpf geworden: „Sophie hatte ihnen erklärt, diese Sumpflandschaft sei früher ein Park gewesen, erbaut auf einem ehemaligen Industriegelände“, sagt die Frau, bei der die jugendlichen Geschwister gelegentlich Schutz und Zuspruch finden. Als sie stirbt, machen sie sich auf eine Reise ins Unbekannte. Ihr Ziel: Noahs Schiff, der gerade Kinder in sichere, trockene Gegenden bringen soll.
Der Schriftsteller Sascha Pranschke veranstaltet gerne Workshops, bei denen er Jugendlichen literarisches Arbeiten und die Kunst des Schreibens vermittelt. „Die Workshops werden zum Teil von der Emschergenossenschaft gefördert. Dabei habe ich eine Menge gelernt über Wasserwirtschaft und die Ewigkeitslasten des Bergbaus. Die Klimaveränderung und die Pumparbeiten der Genossenschaft waren für mich der Auslöser, dieses Buch zu schreiben“, so der Autor im Gespräch mit unserer Zeitung.
Pranschke hat damit Themen aufgegriffen, die uns aktuell beschäftigen sollten – und er führt sie konsequent fort bis zu einem Punkt, den wir uns bis heute gar nicht vorstellen können und auch nicht wollen. Was aber ist, wenn auch weiter zu wenig gegen Klimaveränderung getan wird oder die Pumpen die Folgen des Steinkohlebergbaus nicht mehr unter Kontrolle haben? Die Antwort: Das Ruhrgebiet säuft ab. Im Roman wird dies nicht ausdrücklich als Ursache für die „große Flut“benannt, an einer Stelle lässt er die Romanfigur Nathan sagen: „Und das beweist, dass nicht jeder dem rücksichtslosen Egoismus verfallen ist, der uns in diese Katastrophe geführt hat.“Erst hinterher stellt sich allerdings heraus, dass Nathan weder weise noch selbst gegen rücksichtslosen Egoismus gefeit ist ... Dass die auch in Duisburg immer häufiger
„Und das beweist, dass nicht jeder dem
rücksichtslosen Egoismus verfallen ist, der uns in diese Katastrophe geführt hat.“ auftretenden Starkregen etwas mit der globalen Klimaveränderungen zu tun haben, leugnen nur noch Menschen, die sich rationalen Argumenten grundsätzlich verschießen. Bekanntlich haben dies auch die Wirtschaftsbetriebe Duisburg erkannt. Sie wollen in den nächsten Jahren ihr Kanalsystem entsprechend ertüchtigen beziehungsweise bei größeren Neubauvorhaben gleich eine andere Form der Entwässerung installieren, um überflutete Keller und Straßen nach Möglichkeit zu verhindern.
Und die Pumpen zur Entwässerung der Gruben laufen auch in Duisburg schon seit Jahren. So zum Beispiel im Bergwerk Walsum. Dort soll eine Pumpe in 750 Metern Tiefe verhindern, dass sich das salzige und belastete Grubenwasser mit
dem normalen Grundwasser vermischt. 9000 Liter pro Minute kann die von der RAG betriebene Pumpe befördern. Außerdem muss an mehreren Stellen im Ruhrgebiet Oberflächenwasser abgepumpt werden, damit die durch den Steinkohlebergbau hervorgerufenen Absenkungen nicht volllaufen und die Region in eine riesige Seenlandschaft verwandeln.
Eine solche Landschaft beschreibt Pranschke in seinem Roman. Mit dem Untergang der Infrastruktur gehen dabei auch menschliche Werte und die Moral verloren. Nahrung und Trinkwasser werden knapp, Feuer spielt wieder eine ganz wichtige Rolle, es gibt Flusspiraten und Sklavenhaltung. Lohnt es sich da noch, für Moral zu kämpfen? Nicht zu resignieren? Pranschkes Roman gibt darauf keine allgemeingültige Antwort. Am besten: Selber lesen und darüber nachdenken!
Es lohnt sich.
Sascha Pranschke: Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer, Verlag Henselowsky Boschmann, Ruhrgebiet de Luxe, 223 S., 9,90 Euro, ISBN 978-3-94209485-6.