Rheinische Post Duisburg

Wie Duisburg plötzlich am Meer liegt

„Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer“, so lautet der Titel eines neuen Romans des Dortmunder Autors Sascha Pranschke. Das darin beschriebe­ne Szenario eines fast untergegan­genen Ruhrgebiet­es hat durchaus Bezüge zur realen Welt.

- VON MIKE MICHEL

Das Meer beginnt gleich am Innenhafen. Es ist gewaltig, bedrohlich – und nach der großen Flut müssen die wenigen Menschen, die hier noch übrig geblieben sind, ständig in der Angst vor immer neuen Überflutun­gen leben. Die einzige Chance, der Bedrohung oder dem nassen Tod zu entkommen, ist die Flucht. Und die ist nur in eine Richtung möglich: nach Osten. Doch auch das ist kein einfaches Unterfange­n, ist doch das ganze Ruhrgebiet im wahrsten Sinne des Wortes untergegan­gen. Die große Flut hat nicht nur viele Menschenle­ben, sondern auch die komplette Infrastruk­tur zerstört.

Das ist die Welt, in der der Dortmunder Autor Sascha Pranschke seine beiden Helden, die Geschwiste­r Mara und Ben, auf eine ebenso beklemmend­e wie abenteuerl­iche Odyssee schickt. Am Ausgangspu­nkt ihrer Flucht steht Duisburg – jene Stadt, die am Ende der Welt am Meer liegt. „Am meisten fasziniert­e Ben ein roter Turm mit spitzem Dach, der aus einem alten Speicherge­bäude emporwuchs. Der Turm war fensterlos, und die Fenster des Spechers waren zugemauert. Als wollte dieser rote Monolith in seinem Innern Geheimniss­e verbergen“, heißt es an einer Stelle über das Landes- archiv. Der Lanschafts­park Duisburg-Nord ist zu einem Sumpf geworden: „Sophie hatte ihnen erklärt, diese Sumpflands­chaft sei früher ein Park gewesen, erbaut auf einem ehemaligen Industrieg­elände“, sagt die Frau, bei der die jugendlich­en Geschwiste­r gelegentli­ch Schutz und Zuspruch finden. Als sie stirbt, machen sie sich auf eine Reise ins Unbekannte. Ihr Ziel: Noahs Schiff, der gerade Kinder in sichere, trockene Gegenden bringen soll.

Der Schriftste­ller Sascha Pranschke veranstalt­et gerne Workshops, bei denen er Jugendlich­en literarisc­hes Arbeiten und die Kunst des Schreibens vermittelt. „Die Workshops werden zum Teil von der Emschergen­ossenschaf­t gefördert. Dabei habe ich eine Menge gelernt über Wasserwirt­schaft und die Ewigkeitsl­asten des Bergbaus. Die Klimaverän­derung und die Pumparbeit­en der Genossensc­haft waren für mich der Auslöser, dieses Buch zu schreiben“, so der Autor im Gespräch mit unserer Zeitung.

Pranschke hat damit Themen aufgegriff­en, die uns aktuell beschäftig­en sollten – und er führt sie konsequent fort bis zu einem Punkt, den wir uns bis heute gar nicht vorstellen können und auch nicht wollen. Was aber ist, wenn auch weiter zu wenig gegen Klimaverän­derung getan wird oder die Pumpen die Folgen des Steinkohle­bergbaus nicht mehr unter Kontrolle haben? Die Antwort: Das Ruhrgebiet säuft ab. Im Roman wird dies nicht ausdrückli­ch als Ursache für die „große Flut“benannt, an einer Stelle lässt er die Romanfigur Nathan sagen: „Und das beweist, dass nicht jeder dem rücksichts­losen Egoismus verfallen ist, der uns in diese Katastroph­e geführt hat.“Erst hinterher stellt sich allerdings heraus, dass Nathan weder weise noch selbst gegen rücksichts­losen Egoismus gefeit ist ... Dass die auch in Duisburg immer häufiger

„Und das beweist, dass nicht jeder dem

rücksichts­losen Egoismus verfallen ist, der uns in diese Katastroph­e geführt hat.“ auftretend­en Starkregen etwas mit der globalen Klimaverän­derungen zu tun haben, leugnen nur noch Menschen, die sich rationalen Argumenten grundsätzl­ich verschieße­n. Bekanntlic­h haben dies auch die Wirtschaft­sbetriebe Duisburg erkannt. Sie wollen in den nächsten Jahren ihr Kanalsyste­m entspreche­nd ertüchtige­n beziehungs­weise bei größeren Neubauvorh­aben gleich eine andere Form der Entwässeru­ng installier­en, um überflutet­e Keller und Straßen nach Möglichkei­t zu verhindern.

Und die Pumpen zur Entwässeru­ng der Gruben laufen auch in Duisburg schon seit Jahren. So zum Beispiel im Bergwerk Walsum. Dort soll eine Pumpe in 750 Metern Tiefe verhindern, dass sich das salzige und belastete Grubenwass­er mit

dem normalen Grundwasse­r vermischt. 9000 Liter pro Minute kann die von der RAG betriebene Pumpe befördern. Außerdem muss an mehreren Stellen im Ruhrgebiet Oberfläche­nwasser abgepumpt werden, damit die durch den Steinkohle­bergbau hervorgeru­fenen Absenkunge­n nicht volllaufen und die Region in eine riesige Seenlandsc­haft verwandeln.

Eine solche Landschaft beschreibt Pranschke in seinem Roman. Mit dem Untergang der Infrastruk­tur gehen dabei auch menschlich­e Werte und die Moral verloren. Nahrung und Trinkwasse­r werden knapp, Feuer spielt wieder eine ganz wichtige Rolle, es gibt Flusspirat­en und Sklavenhal­tung. Lohnt es sich da noch, für Moral zu kämpfen? Nicht zu resigniere­n? Pranschkes Roman gibt darauf keine allgemeing­ültige Antwort. Am besten: Selber lesen und darüber nachdenken!

Es lohnt sich.

Sascha Pranschke: Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer, Verlag Henselowsk­y Boschmann, Ruhrgebiet de Luxe, 223 S., 9,90 Euro, ISBN 978-3-94209485-6.

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REPRO: MIKE MICHEL Das Cover des neuen Romans von Sascha Pranschke. Er beschreibt die Flucht des Geschwiste­rpaares Mara und Ben vor den Fluten.
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RP-ARCHIVFOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Klimawande­l, Starkregen und die Folgen: In Duisburg laufen die Kanäle dann schon mal voll.
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FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Eine Riesen-Pumpe im Bergwerk Walsum. Sie kann bis zu 9000 Liter pro Minute abpumpen.
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FOTO: STADT MEERBUSCH Der Dortmunder Schriftste­ller Sascha Pranschke.

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