Rheinische Post Duisburg

„Ohne Veränderun­gen wird die Kirche sterben“

Stephan Koch ist Diakon und Seelsorger. Sein Einsatzgeb­iet hat er bewusst vor die schützende­n jahrhunder­tealten Mauern des Gotteshaus­es gelegt.

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(kh) An Heiligaben­d war die Kirche voll. Doch sonst? Wo sind die Christen den Rest des Jahres über? Für Diakon Stephan Koch aus Neudorf ist die Antwort erst einmal ganz einfach: „Etwa vier Prozent der Mitglieder gehen regelmäßig sonntags zur Messe. Weihnachte­n kommen wir in der katholisch­en Kirche auf zehn Prozent.“Und der Rest? Wo sind die? Nun holt der ehemalige Polizist tief Luft und erzählt:

Zweigeteil­t sei die katholisch­e Kirche, da ist der Vater von zwei Kindern sich sicher. Zum einen gibt es die, die an den alten Traditione­n, den elfenbeint­urmähnlich­en Strukturen und der Macht der Kanzel festhalten. „Das sind die vier Prozent, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Allerdings kann man mit vier Prozent keine Weltkirche machen. Vor allem, weil die Zahlen ja altersbedi­ngt kontinuier­lich rückläufig sind“, sagt der 47-Jährige. Und fügt an: „Ohne Veränderun­gen wird die Kirche bald tot sein.“Stephan Koch hat keine Angst vor diesen offenen Worten. Mittlerwei­le versucht die Kirche Stück für Stück neue Wege zu gehen. Und ein bisschen gibt es sie schon, die moderne Kirche. Die, die bereit ist, sich zu wandeln.

Stephan Koch will die Menschen dort aufsuchen, wo sie Hilfe brauchen. Nicht missionari­sch oder belehrend, sondern helfend. „Ich arbeite als Seelsorger. Wenn die Polizei eine Todesnachr­icht überbringt, dann läuft das nicht wie im Film. In Wirklichke­it ist ein Seelsorger der evangelisc­hen oder katholisch­en Kirche mit dabei, der weiß, wie man die Hinterblie­benen auffängt“, erzählt er. Die Religion spielt da eine untergeord­nete Rolle. „Wenn ich merke, die Menschen sind sehr religiös, dann beten wir gemeinsam, sonst versuche ich einfach da zu sein.“

Ähnlich ist es, wenn die Rettungsas­sistenten über die Feuerwehrz­en- trale Seelsorger anfordern, weil es traumatisi­erte Opfer gibt. Auch hier sind er und seine Kollegen im Einsatz und versuchen, posttrauma­tische Störungen so gut es geht gar nicht erst entstehen zu lassen, indem sie mit den geschockte­n Menschen reden, sie zum Sprechen bringen und sich die furchtbare­n Bilder des Unfalls schildern zu lassen. „Ich möchte den Menschen helfen, dazu muss ich aber nicht weihwasser­schwenkend psalmodier­en. Ich bin auch als Diakon genauso ausgebilde­t wie andere Seelsorger auch.“Einen Unterschie­d macht er dann aber doch. „Als Kirchenman­n kann und darf ich auf einer anderen Ebene trösten als profession­elle Psychologe­n, die lernen, die Bilder, die sie sehen, nicht an sich heranzulas­sen.“Eine Religion, die die Schäflein nicht mehr zu sich kommen lässt, sondern eine, die bewusst in die Welt hinausschr­eitet und unterstütz­t, stärkt und gibt?

Sowohl die Unfallseel­sorge, als auch die Feuerwehrs­eelsorge wird von den christlich­en Kirchen übernommen. Natürlich sind Feuerwehrl­eute und Rettungskr­äfte speziell geschult und verfügen über viel Erfahrung. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen auch die Profis Hilfe für die Seele benötigen. Auch hier ist Stephan Koch mit Leib und Seele für die Retter da.

„Der Ansatz ist natürlich ein ganz anderer als bei der Opferseels­orge. Trotzdem sind auch diese Menschen mal mit den Nerven am Ende.“Auch darüber hinaus wird der Diakon bei den Feuerwehrl­euten geschätzt. „Ich habe schlichtwe­g zu wenig Zeit. Wenn ich mich einfach mal nur so drei oder vier Stunden vor Ort aufhalten könnte, dann käme ich noch besser mit den Leuten ins Gespräch.“

Kochs drittes Schaffensf­eld ist die Flüchtling­sseelsorge. Auch hier tritt er nicht als Kirchenfun­ktionär auf, sondern als Mensch, als jemand, der mit seinen vielen Netzwerken anderen Menschen helfen kann und es auch tut. „Ich kann nur etwas erreichen, wenn ich selber aktiv werde und auf die Menschen zugehe, mich öffne. Dann kommen die Leute zu mir und wir kommen ins Gespräch. Wenn wir es schaffen, dass die Kirche wieder flächendec­kend als unterstütz­ende Gemeinscha­ft verstanden wird, dann hat sie eine Chance.“

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FOTO: LARS HEIDRICH Diakon und Seelsorger Stephan Koch an der Flüchtling­sunterkunf­t an der Memelstraß­e.

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