Volles Haus
1500 Lesungen in 30 Jahren: Die Literaturhandlung Müller & Böhm in der Altstadt feiert ihr Jubiläum auch mit einer Foto-Ausstellung.
Wie will man 30 intensive Jahre in Worte fassen? Selinde Böhm und Rudolf Müller sitzen in ihrer Literaturhandlung im Heine Haus und wissen nicht so recht, wo sie anfangen sollen. Bei den treuen Autoren, die zu Freunden wurden? Den über 1500 Lesungen aus dieser Zeit? Dem eigenen Leben, das von der anstrengenden und zugleich beglückenden Arbeit nie zu trennen war?
Das Jubiläumsjahr gibt Anlass zur Rückschau. 1989 hegte der Buchhändler Rudolf Müller, seit Studientagen mit der Kunstbuchhandlung Peter König verbunden, den Wunsch nach Selbstständigkeit. Seine Frau Selinde Böhm, promovierte Philosophin und Germanistin, hatte Lust, der Uni den Rücken zu kehren und einzusteigen. Schnell machte ihre Literaturhandlung an der Neustraße mit Autoren-Lesungen von sich reden. Nach 17 Jahren kam ein Angebot vom damaligem Kulturdezernenten Heinrich Grosse-Brockhoff: Ob sie nicht eine Ecke weiter ins Geburtshaus von Heinrich Heine ziehen wollten, um die Stätte kulturell aufzuwerten? „Nein, das wollen wir nicht“, antworteten sie. „Wer käme auf die Idee, auf der Bolker Straße eine Buchhandlung zu eröffnen?“
Dort logierten zuvor diverse Kneipen, das Haus selber war Teil der Mata-Hari-Passage. Warum sie nach deren Umbau schließlich doch zustimmten, hatte mit der Verlockung des großen Raums hinter dem langgestreckten Laden zu tun, perfekt geeignet für Veranstaltungen. Um ihn zu nutzen, musste die Literaturhandlung mit der Landeshauptstadt und dem im hinteren Bereich beheimateten Förderverein Heine Haus eine Private-Public-Partnership eingehen. Das Programm sollte allein von Müller & Böhm gestaltet werden.
Der Umzug geriet 2006 zum Happening. „Zwischen Neustraße und Bolker Straße bildete sich eine Menschenkette, darunter Künstler und Theaterleute. Wannen mit Büchern wurden von Hand zu Hand weitergereicht“, erzählt Selinde Böhm. „Sprayer“Harald Naegeli beschriftete die Kartons, Andreas Gursky stiftete dem neuen Laden als Leihgabe eine aus Musils „Mann ohne Eigenschaften“montierte Arbeit. „So kam auf der Partymeile der Altstadt zusammen, was eigentlich nicht zusammenpasste“, resümiert Selinde Böhm. „Daraus wurde eine friedliche Ko-Existenz. Uns ist nie etwas Unangenehmes passiert.“ Beide lesen viel, Rudolf Müller zumeist in der Nacht. „Ich finde es spannend, nach Büchern zu graben, die akribisch mit der Sprache arbeiten“, sagt er. „Und ich schätze Schriftsteller, die nicht nur gute Geschichten ersinnen, sondern sie auch gut erzählen.“
Selinde Böhm bevorzugt philosophische Werke oder Liebesromane: „Ich mag die Auseinandersetzung mit Leben, Liebe, Tod und lese auch mal quer. Er nicht.“Rudolf Müller lächelt fein. „Lesen ist für mich ein Stück Genuss. Ein Glas guten Rotwein kippt man ja auch nicht schnell weg.“Mit seinem Gespür für Literatur gelang es ihm, Autoren zu gewinnen, die Müller & Böhm zu ihrer liebsten Lese-Stätte erkoren und ihre Bücher oft genug zuerst in Düsseldorf präsentierten. Und nicht selten wurden die Buchhändler selber in literarischen Werken verewigt. So reichhaltig wie die Liste erlauchter Namen (Cees Nooteboom, Raoul
Schrott, Durs Grünbein, Herta Müller, Günter Grass, Margriet de Moor, Peter Bichsel) ist der Anekdoten-Schatz aus drei Jahrzehnten. Natürlich gab und gibt es Diven unter den Gästen. „Um Martin Walser muss man sich intensiv kümmern, da lief ich immer zur Hochform auf“, berichtet Selinde Böhm. Die Belohnung folgte, als der Schriftsteller aus dem Taxi zum Abschied „Selinde forever!“rief. Unvergessen auch, wie sie Stéphane Hessel („Empört euch“) einen Apfelsaft servierte und der 91-Jährige sich bedankte: „Sie sind wie eine Mutter zu mir.“Oder wie Peter Handke Steinpilze in einem Plastikbeutel mitbrachte, die er in seinem Wäldchen bei Paris gesammelt hatte. Nach der Lesung hat er sie dann in der Mini-Küche der Buchhandlung gebraten.