Schläpfer blickt in den Eulenspiegel
Das Ballett am Rhein lässt in seinen „Ulenspiegeltänzen“entlarvenden Schalk auf blitzen – Schlusspunkt eines vielgestaltigen Abends.
DUISBURG Dieser Ulenspiegel ist wirklich kein lustiger Kerl. Mal hockt er mitten auf dem Marktplatz und zeigt mit dem gestreckten Finger anklagend auf die anderen. Mal taucht er im Ballsaal auf und hext den Tänzern diabolische Gesten in die Körper. Mal springt er eine Tänzerin rücklings an wie ein buckliger Kautz, ein garstiger Spaßmacher, der sich kaum abstreifen lässt.
In seiner neuen Arbeit „Ulenspiegeltänze“zur 7. Sinfonie von Sergej Prokofjew hetzt Martin Schläpfer seinen Tänzern den Schalk in den Nacken. Sein Ulenspiegel ist kein Held, der harmlosen Schabernack treibt. Er ist ein unberechenbarer Schelm, taucht hier und da auf, als Mann und Frau, in Bewegungen und Gesten. Doch ist er stets klar zu erkennen als ein Unernster, der es ernst meint, ein rumorender Geist, der sich nicht zufrieden gibt mit der Harmonie und Angepasstheit der anderen. Schläpfers Till sendet unablässig Störzeichen. Mal naiv, fast heiter, dann wieder in eisigen Gesten, die auf das Böse zeigen, das die Gegenwart kaum noch kaschiert.
Schläpfer hat mit Prokofjews 7. Sinfonie die perfekte Musik für seinen Streich gefunden. Denn dieses Werk steckt ebenfalls voller Hintersinn, gibt sich klassizistisch heiter, klingelnd, verspielt. Doch diese Leichtigkeit steht ständig auf der Kippe, ist vielleicht nur Ironie. Jederzeit kann der Komponist auch andere Töne anschlagen. Die Duisburger Philharmoniker unter WenPin Chen arbeiten all die Farb- und Stimmungswechsel höchst differenziert heraus. So hat Schläpfer seinen Ulenspiegel aus der Musik gelockt, um den Zuschauern die Brüche in der Gegenwart zu zeigen. Mit seiner Lust am destruktiven Witz er- scheint der skrupellose Narr als die Figur zur Zeit.
Für seine Eulenspiegelei arbeitet Schläpfer zum ersten Mal mit Videoprojektionen. Keso Dekker hat ihm aus zarten Bändern einen grazilen Ballsaal gebaut, auf dessen Rückwand sich allerhand projizieren lässt. Zu Anfang eine riesige Eule, Sinnbild der Weisheit wie des Teufels, die nicht nur in Ulenspiegels Namen auftaucht, sondern mit Motiven wie dem Flügelschlag auch in Schläpfers Choreografie. Später wirbelt auch mal ein Theatersaal über die Leinwand – es ist die Wiener Staatsoper, an die Schläpfer 2020 wechselt. Das Foto wird herangezoomt, bis vom Blick auf die Logen nur Streifen bleiben – eine große Tradition wird Abstraktion in der Kunst. Die Eule aber hockt und schaut. Mag über ihr als Mann im Mond auch das Gesicht des Despoten Stalin aufscheinen und damit der zeitlose Schrecken der Tyrannei, die Eule blinzelt unbeeindruckt, weise und diabolisch. Wie Till, der Schelm, der sich keine Illusionen über das Wesen der Menschen macht.
Auch in der zweiten Uraufführung des Abends „b.38“im Theater Duisburg geht es um das Abgründige im Menschen, das sich in Aggression entlädt. Ballettdirektor Remus Su- cheana zeigt zur 1. Sinfonie von Sergej Rachmaninow Szenen des Krieges, die vom Abschied der Männer, vom Marschieren und Kämpfen, bis zu Vergewaltigung und Tod reichen. Allerdings bleibt seine Arbeit an dieser Oberfläche, ist mehr eine Bebilderung des Krieges als eine Durchdringung von dessen Ursachen und Folgen. Etwa, wenn die Nachricht vom Tod zweier Soldaten dadurch überbracht wird, dass zwei Tänzer den hinterbliebenen Frauen die gefalteten Uniformen überreichen. Es ist eine heikle Sache, das absolute Grauen eines Kriegs darzustellen, weil sich Barbarei nicht spielen lässt und Ästhetisierung sich ver- bietet. Sucheana übersetzt realistische Bilder in die Körpersprache des Tanzes, zeigt viele überlegte Details, entgeht im Ganzen aber nicht dem Klischee. Auch wenn ihm ein eindringliches Schlussbild gelingt, das den Opfern des Krieges zumindest im Tod die Individualität zurückgibt.
Doch was für einen Energieschub erfährt dieser Abend durch das mittlere Stück, William Forsythes „One Flat Thing, Reproduced“! Im Jahr 2000 hat der Choreograf dieses Impulsgewitter für das Ballett Frankfurt geschaffen. Mit einem großen Donnern ziehen die sportlich gekleideten Tänzer 20 Tische auf die Bühne, stellen sie in Reihen auf. Damit ist das Muster gesetzt. Von nun an geht es in atemberaubendem Tempo zwischen, unter und über die Tische. Wie in einem Schneesturm, folgt man der Idee des Choreografen. Doch ist da keine zufällige Naturgewalt zu erleben, sondern ein ausgeklügeltes System von Bewegungssplittern, die ein furioses Ganzes ergeben und den Tänzern ein Höchstmaß an Präzision und Kondition abverlangen. Dazu Klänge von Thom Willems, die wirken, als horche man in einen Computer, könne all die Impulse hören, die durch die Leitungen jagen. So beweist das Ballett am Rhein ein weiteres Mal, wie viele Tanzsprachen es spricht.