Extrawürste der Groko
CDU, CSU und SPD wollen sich im Streit um jeweils eigene Vorhaben prof ilieren. Das kann Appetit auf Politik machen – vorerst.
BERLIN Vor knapp einem Jahr lag er endlich auf dem Tisch, der Koalitionsvertrag. Wochenlang hatten Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) die Inhalte verhandelt. Keiner von ihnen ist heute noch Parteichef. „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“steht im Titel des Werks. Von Zusammenhalt der Koalition kann dieser Tage aber kaum mehr gesprochen werden.
Alle drei Parteien haben Gefallen daran gefunden, eigentlich gemeinsame Projekte mit jeweils eigenen Positionen aufzupumpen. Sie streiten, ringen um Kompromisse und sind so wieder unterscheidbarer geworden. Zumindest bei den SPD-Wählern scheint das anzukommen. Die Umfragewerte der Sozialdemokraten kletterten zuletzt leicht nach oben, ohne jedoch wirklich aus dem Keller von 16 bis 18 Prozent zu kommen.
Und dennoch ist es erklärte Strategie beider Seiten, das eigene Profil zu schärfen, ohne das gemeinsame Bündnis wirklich aufs Spiel zu setzen. Noch nicht jedenfalls. Vor der Europawahl und Abstimmungen in vier Bundesländern sowie in zig Kommunen in diesem Jahr kann die große Koalition als Reibefläche dienen, als Austragungsort für den Wahlkampf. Deutlich wird das bereits jetzt bei diesen wichtigen Themen:
Sozialstaat Ob Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung oder die Abkehr von Hartz IV mit einem neuen Bürgergeld: Die SPD hat soziale Themen wieder für sich entdeckt und erfreut sich der teils harschen Kritik aus Union und Wirtschaftsverbänden. Nach und nach will sie versuchen, die Positionen durchzusetzen, auch wenn weder das Bürgergeld noch ein Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung im Koalitionsvertrag stehen.
Klimaschutzgesetz Im Koalitionsvertrag ist klar geregelt, dass die einzelnen Ministerien ihre Hausaufgaben machen müssen, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Dass jedoch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) nun mit einem Entwurf vorgeprescht ist, bringt vor allem die drei unionsgeführten Ministerien für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft in die Bredouille. Ihre Sektoren sind für den meisten CO2-Ausstoß verantwortlich. Die SPD kann sie vor sich hertreiben, und eine Blockade dürfte für die Union bei einem so populären Thema wie dem Schutz des globalen Klimas kaum eine Option sein.
Wohnungsmarkt Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) will das Bestellerprinzip bei Maklerkosten vom Mietmarkt auch auf Immobilienkäufe ausdehnen, die Union ist strikt dagegen. CDU und CSU setzen eher auf Zuschüsse, um die Kaufnebenkosten zu senken. Das Thema hat hohe gesellschaftliche Relevanz und damit große strategische Bedeutung für beide Seiten.
Steuern An dieser Frage waren die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition im November 2017 maßgeblich gescheitert: Die FDP wollte den Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode vollständig und damit auch für die Reicheren streichen, die Union wollte die ent- sprechenden Einnahmen von zehn Milliarden Euro für den Haushalt sichern. Nun wollen CDU und CSU genau den Verzicht darauf den Sozialdemokraten abverlangen. Geld, das die SPD lieber für bedürftigere Menschen ausgeben würde als für Gutverdiener. Die Union wiederum verfolgt eisern ihre neue „Leistung-muss-sich-lohnen“-Strategie.
Finanzen Die drei Koalitionsparteien werden es schwer haben, neue Projekte zu finanzieren, denn die fetten Jahre der niedrigen Zinsen und der guten Konjunktur mit der Folge von Milliarden-Überschüssen (2018 für Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen trotz schon spürbarer Konjunkturabschwächung rund 58 Milliarden Euro) dürften bald vorbei sein. Während Kanzle- rin Angela Merkel manchen Koalitionsstreit schlichten konnte, indem alle Beteiligten ihrer Klientel etwas anbieten – und das finanzieren – konnten, werden neue Ausgaben künftig nur noch durch Einsparungen an anderer Stelle möglich sein. Das heißt, irgendeiner muss immer bluten, wenn Neues gewagt wird. Das wird schmerzhaft. Pro Jahr ist mit rund fünf Milliarden Euro geringeren Steuereinnahmen zu rechnen sei, betont das Finanzministerium. Die Wachstumsprognose für 2020 wurde von 1,8 auf 1,0 Prozent gesenkt.
Sachgrundlose Befristung Im Januar war die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch mit der Verteidigung der Sozialdemokraten bei der Eindämmung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsplätzen in ein Gespräch mit dem Arbeitgeberverband gegangen – und mit Verständnis für die Arbeitgeber wieder herausgekommen. Man müsse darüber im Koalitionsausschuss noch einmal reden, sagte sie zur Freude der Wirtschaft und zur Verblüffung der SPD. In den Koalitionsverhandlungen war das eines ihrer Herzensanliegen. In den Vertrag mit CDU und CSU wurde hineingeschrieben: „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen.“Und: „Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten“sollen nur „noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen“dürfen. Auch in dieser Frage fahren im Moment zwei Züge aufeinander zu. Der eine rot, der andere schwarz.