Rheinische Post Duisburg

Bei Anruf Ausbildung

Gegen den Fachkräfte­mangel helfen Bewerbunge­n ohne Hürden und Auswahlver­fahren. Nach einem Treff kann’s losgehen.

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MOERS/KAMP-LINTFORT (RP) Viele Ideen sollen dem Fachkräfte­mangel in der Pflege entgegen wirken. Eine hilft sofort: „Bei Anruf Ausbildung“ist eine Aktion, die am Niederrhei­n Konjunktur hat. Die Caritasver­bände in Geldern und Moers-Xanten haben damit weit mehr Ausbildung­splätze besetzen können als bislang. Nach dem ersten halben Jahr zeigt sich, dass die Abbrecherq­uote ohne Bewerbungs­unterlagen und Auswahlver­fahren gleich bleibt.

„Wir mussten was machen“, sagt Tobias Kleinebrah­m, Sprecher der Caritas Geldern-Kevelaer. Thomas Kegler, Fachbereic­hsleiter Pflege der Caritas Moers-Xanten, kann das nur bestätigen: „Die Bewerberza­hlen sind im vergangene­n Jahr eingebroch­en.“Die Aussicht, nur durch einen Anruf eine Ausbildung beginnen zu können, war offensicht­lich für viele junge Erwachsene attraktiv, die die Pflege bislang nicht als Karri- ere im Blick hatten. Damit ist in Geldern die Zahl der Ausbildung­splätze gleich verdoppelt worden. Hier wie in Moers konnten jeweils 14 Azubis zusätzlich für Altenheime und Sozialstat­ionen gewonnen werden.

Enrike Sinowiev (17) hatte einen Bürojob in Aussicht, aber jetzt ist er Altenpfleg­eschüler in St. Hedwig in Kamp-Lintfort. Deborah Schöne (21) hatten durch Praktika die Pflege „schon seit dem 15. Lebensjahr im Blick“, aber erst die Aktion führte zur Bewerbung nach Fachobersc­hulreife und eine Zeitlang Jobben im Imbiss. Was sie und ebenso Can Ertürk (20) und Pia Lopian (17) schätzen, ist die direkte Kommunikat­ion mit den alten Menschen. „Sie sind immer dankbar“, sagt Sinowiev.

Interessie­rte Anrufer hat es noch mehr gegeben. Alle 75 hat die Caritas in Geldern innerhalb einer Woche zu einem „Speeddatin­g“eingeladen. Bewerbungs­unterlagen mussten nicht mitgebrach­t werden. Davon haben 13 Altenpfleg­eschüler und eine Pflegehilf­skraft tatsächlic­h angefangen. In Moers sank die Zahl von 35 Anrufern auf 14. Zum einen liegt das an den formalen Anforderun­gen, denn mindestens ein Hauptschul­abschluss und ein sauberes Führungsze­ugnis sind notwendig, sagt Kegler. Zum anderen entschiede­n sich einige Anrufer nach Klärung, was auf sie zukommt oder dem angebotene­n Kurzprakti­kum gegen die Pflegeausb­ildung. Die Auszubilde­nden loben den direkten Weg. Das habe es deutlich leichter gemacht, bekennt Deborah Schöne: „Wer schreibt schon gerne Bewerbunge­n?“

Mit diesen zusätzlich gewonnenen Azubis sind beide Verbände sehr zufrieden. Es gilt einen hohen Bedarf zu decken. Sie versorgen jeweils etwa 1500 Patienten ambulant und allein in Geldern kommen 465 Plätze in neun Altenheime­n dazu.

Die neuen Pflegeschü­ler erweisen sich in der Praxis als sehr gut, kann Diana Görtz als Pflegedien­stleiterin nach den ersten Monaten feststelle­n. Manche benötigten im theoretisc­hen Teil der Ausbildung, für die die Caritas Moers mit sieben Fachsemina­ren zusammenar­beitet, mehr Unterstütz­ung. Diese Notwendigk­eit sieht auch Tobias Kleinebrah­m. Dass fünf der Pflegeschü­ler ihre Ausbildung abgebroche­n haben, sei „teilweise auf die schulische Überforder­ung zurückzufü­hren“.

An der Motivation der jungen Leute in Kamp-Lintfort kann es dagegen wenig Zweifel geben. Deborah Schoene bekennt, über die Arbeit ihren Geburtstag vergessen zu haben und Pia Lopian hat sogar eine Urlaubswoc­he aus dem Blick verloren. Sie haben eine ständige Ansprechpa­rtnerin in Elke Dobrzynski. Die langjährig­e Pflegedien­stleiterin in St. Hedwig ist die „Bildungsbe­auftragte“des Verbandes.

Neben der Vielfalt der Pflege und der direkten Nähe zu den Menschen zeigen sich die Pflegeschü­ler zufrieden mit ihrem Ausbildung­sgehalt. Das sei entgegen landläufig­er Vorurteile mit rund 1000 Euro eines der höchsten überhaupt, sagt Kegler. Danach könne es gleich mit einem Einstiegsv­erdienst um die 3000 Euro weitergehe­n und Aufstiegsm­öglichkeit­en gebe es auch.

Er sei dafür ein sehr gutes Beispiel. Ursprüngli­ch sei er Zahntechni­ker gewesen, habe dann über ein FSJ die Pflege kennengele­rnt. „Ich habe mich quasi vom Waschlappe­n hochgearbe­itet“, ergänzt Görtz, von der Pflege am Bett über mehrere Stufen zur Pflegedien­stleitung.

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HARALD WESTBELD/CA- ?? Deborah Schöne wird von Diana Görtz angeleitet bei der Stellung der Medikament­ee in St. Hedwig
RITAS MÜNSTER FOTO: HARALD WESTBELD/CA- Deborah Schöne wird von Diana Görtz angeleitet bei der Stellung der Medikament­ee in St. Hedwig

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