Rheinische Post Duisburg

Frieden als musikalisc­he Utopie

Zu den Akzenten erklang das monumental­e „War Requiem“von Benjamin Britten.

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(hod) Den beiden Weltkriege­n und ihren Folgen fiel insgesamt eine Milliarde Menschen zum Opfer. Am 1. September vor 80 Jahren brach der Zweite Weltkrieg aus. Fünf Tage nach der Einweihung des Neubaus der im Zweiten Weltkrieg von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale im englischen Coventry 1962 gab es dort die zu diesen Feierlichk­eiten bestellte Uraufführu­ng des „War Requiem“(Kriegs-Requiem) op. 66 von Benjamin Britten. Das vielleicht bedeutends­te zumindest der geistliche­n Werke des britischen Komponiste­n ist ein Gedenken an jedes einzelne Opfer aller Kriege.

Die Solopartie­n schrieb Britten für die russische Sopranisti­n Galina Wischnewsk­aja (die freilich von den sowjetisch­en Behörden keine Ausreisege­nehmigung erhielt und durch die Britin Heather Harper ersetzt wurde), den englischen Tenor Peter Pears und den deutschen Bariton Dietrich Fischer-Dieskau. Den Haupttteil der Vertonung bildet die lateinisch­e Totenmesse, ausgeführt vom großen Chor, dem großen Orchester und dem Solosopran, dazu einem Kinderchor auf der Orgelempor­e. Die „Missa pro defunctis“wird aber immer wieder hinterfrag­t durch Antikriegs­gedichte von Wilfred Owen (1893-1918), der noch eine Woche vor Ende des Ersten Weltkriegs im Alter von nur 25 Jahren in Frankreich fiel, räumlich getrennt gesungen von Tenor und Bariton, unterstütz­t von einem zusätzlich­en solistisch­en Kammerorch­ester. Ergreifend, wenn etwa die Requiem-Stelle „Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus“(das heilige Licht, „das du einst dem Abraham versproche­n hast und seinem Samen“) konfrontie­rt wird mit den – gleichfall­s auf die Bibel-Geschichte von Abraham und Isaak anspielend­en – Owen-Zeilen „But the old man (...) slew his son, – and half the seed of Europe, one by one“

Marcus Strümpe sorgte als umsichtige­r Dirigent für eine vorzüglich­e und mitreißend­e Umsetzung der komplexen Partitur („Doch der alte Mann (...) schlachtet­e seinen Sohn - und die Hälfte des Samens Europas, einen nach dem anderen“). Die beiden Ebenen werden immer mehr ineinander verwoben, bis sich im finalen „Libera me“die ehemaligen Kriegsgegn­er im Jenseits wiedertref­fen: „I am the enemy you killed, my friend“(„Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund“).

Jetzt erklang das „War Requiem“zu den Utopien-Akzenten und unter der Schirmherr­schaft von NRW-Ministerpr­äsident Armin La- schet in der Salvatorki­rche. Das Foto auf dem Programmhe­ft zeigte das große gotische Gottehaus mit dem Burgplatz – im zerstörten Zustand am Ende des Zweiten Weltkriegs. Salvatorka­ntor Marcus Strümpe sorgte als umsichtige­r Dirigent für eine vorzüglich­e und mitreißend­e Umsetzung der komplexen Partitur. Die Ausführend­en waren die deutsch-schwedisch­e Sopranisti­n Inga-Britt Andersson (die ihren Lebensmitt­elpunkt in Duisburg hat), der amerikanis­che Tenor Corby Welch (bis zum vergangene­n Jahr Ensemblemi­tglied der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/ Duisburg) und der eingesprun­gene kanadische Bariton Michael Adair, außerdem die Kantorei der Salvatorki­rche, der Philharmon­ische Chor Duisburg und die von Gijs Burger einstudier­ten Kinder der Singschule St. Petri aus Mülheim, nicht zuletzt das überwiegen­d aus Mitglieder­n der Duisburger Philharmon­iker bestehende Orchester. Die ergreifend­e Wirkung des monumental­en Meisterwer­ks mit 250 Mitwirkend­en kam unverstell­t herüber. Nur der abschließe­nde Abschnitt „Let us sleep now...“(„Lass uns nun schlafen...“, gemeint ist der Tod), von Britten unmissvers­tändlich überschrie­ben mit „Very quiet until the end“(„Sehr ruhig bis zum Schluss“), wirkte hier etwas zu flott. Klar, dass der Jubel am Ende groß war.

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