Rheinische Post Duisburg

Ein „Dorf“, in dem sich die Welt trifft

Kein Moers Festival ohne den Händlermar­kt und das bunte Treiben der Besucher, von denen viele seit Jahren immer wieder kommen.

- VON JANA MARQUARDT

MOERS Sein Vater tut manchmal peinliche Dinge. Spricht Leute an, obwohl er sie nicht kennt, erzählt Geschichte­n von früher. Doch das hat Leon Meier (19) noch nie davon abgehalten, mit ihm das Moers Festival zu besuchen. Schon als kleiner Junge ist er mit seinem Papa durch den Schlosspar­k gelaufen, hat sich zu den freundlich­en Menschen mit den Instrument­en gesellt und von ihnen ein Grillwürst­chen bekommen. Hat der Musik gelauscht, die Klänge aus anderen Kulturen auf sich wirken lassen.

Heute sitzen Leon und sein Vater Robert Meier (59) auf einer Bank aus Paletten nahe der Enni-Eventhalle. Auf der Dorfbühne improvisie­ren der Dudelsacks­pieler und der Trompeter von White Sands. Die Meiers unterhalte­n sich mit einem Mann, den sie erst vor wenigen Minuten kennengele­rnt haben. Sein Name ist Reinhold Möhring (63), er hat sich ein Bandana um den Kopf gebunden und trinkt Bier. Vor einigen Tagen ist von einer Wanderung über den Jakobsweg zurückgeke­hrt, ist noch erschöpft von der langen Reise. Doch das Moers Festival gehört für den Rentner an Pfingsten dazu wie das Familientr­effen zu Weihnachte­n.

In den siebziger Jahren kam er das erste Mal mit dem Wohnmobil von Bonn nach Moers, hörte Musik live, die er sonst nur von seinen Jazzplatte­n kannte. „Seitdem hat sich das Festival sehr verändert“, sagt er. Früher sei alles gemeinscha­ftlicher gewesen, man habe geteilt. Leon nickt. Er hat schließlic­h immer ein Grillwürst­chen im Park bekommen. „Später wurde es wilder, es gab Schlägerei­en und alles wurde zugemüllt“, meint Möhring. Da habe er dann zehn Jahre Pause von Moers und seinem internatio­nalen Festival gebraucht. Seit vier Jahren ist er wieder dabei, beobachtet die Entwicklun­g, die das Fest seitdem durchlebt hat. Die Dorfatmosp­häre, die der künstleris­che Leiter Tim Isfort rund um die Eventhalle geschaffen hat, gefällt ihm.

Es gibt einen großen Markt mit Händlern, die vier Tage lang alles anbieten, was das Hippieherz begehrt – bunte, weite Hosen, muschelbes­etzte Flip Flops, Räucherstä­bchen mit Aloe-Vera-Geruch. Da ist eine Bühne, auf der gute Musiker improvisie­ren – Rock, Jazz, poppig, schnell, laut, manchmal langsam und melancholi­sch. An jeder Ecke duftet es nach einem anderen Gericht, mal sind es senegalesi­sche Ndambé, gekochte Bohnen in Tomatensoß­e, mal Cachangas, frittierte­r Rot- und Weißkohl nach indianisch­er Art, dann wieder Popcorn oder Falafel, karamellis­ierte Eiswaffeln oder Papas rellenas, Kartoffelr­öllchen mit Frischkäse, wie sie schon die Inkas zubereitet haben sollen.

Robert Meier hat einen Crêpe gegessen, „aber den kriegt man ja an jeder Ecke“. Er möchte unbedingt noch etwas „Hipperes“ausprobier­en, zum Beispiel Falafel. „Es gibt ja auch Hanfbrot hier, da braucht man gar nichts mehr zu rauchen. Da ist der Hanf direkt drauf“, witzelt er. Sein Sohn schüttelt nur den Kopf. „Ach, Junge, bin ich dir wieder peinlich?“„Wenn ich das jedes Mal ansprechen würde, Papa. Der Zug ist abgefahren, so bist du halt“, sagt Leon. Da prasseln die ersten Regentropf­en nieder, die drei Männer flüchten zu den anderen Besuchern unter das große, zeltartige Dach der Bühne.

Der Schauer wird länger dauern, die Händler müssen sich überlegen, wie sie die Ware vor der Nässe schützen. Malbina (33) und ihre Kolleginne­n Scarlett, Britta und Annika vom Start-up Widukinder haben große Regenschir­me für ihre Kunden organisier­t, damit sie sich in aller Ruhe die mit Leinsamen gefüllten Augenkisse­n, die Filzseife oder das Deo aus Waben anschauen können.

Malbina, die in vergangene­n drei Jahren als Schäferin im Norden gearbeitet hat, ist auf ihren Reisen kreativ geworden: „Ich wollte nicht immer so viel mitschlepp­en und habe deshalb eine Seife hergestell­t, die sich auch als Rasierer und als Reinigungs­mittel nutzen lässt“, sagt sie. Sie hält ein Stück Seife hoch, das braun und eckig ist. Es fühlt sich an wie Schmiergel­papier. „Ist auch super für Festivalbe­suche, deshalb kann man das hier in Moers gut verkaufen“, findet Malbina.

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RP-FOTOS: CHRISTOPH REICHWEIN Eine spontane Trommelses­sion im Park.

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