Rheinische Post Duisburg

Platon lernen statt Rosen züchten

Immer mehr Senioren zieht es in den Hörsaal. Universitä­ten bieten verschiede­ne Studienmod­elle an.

- VON ELKE RICHTER

MÜNCHEN (dpa) Im Ruhestand die Füße hochlegen – daran finden immer weniger Senioren Gefallen. Stattdesse­n wollen viele in der arbeitsfre­ien Lebensphas­e ihre grauen Zellen neu fordern: Als Studenten an einer Universitä­t befassen sie sich auch im hohen Alter noch mit Kant und Hegel, vertiefen sich in die römische Geschichte, beschäftig­en sich mit Rembrandts Maltechnik oder lernen Altgriechi­sch und Latein.

„Es gibt keine offizielle­n Zahlen“, berichtet Bernd Werner Schmitt vom Akademisch­en Verein der Senioren in Deutschlan­d. Der AVDS

Je mehr Babyboomer in Rente gehen, umso

mehr wird die Zahl der Seniorenst­udenten

steigen

habe aber aus allen zur Verfügung stehenden Daten versucht, eine Richtgröße zu ermitteln. „Wir kommen auf 55.000 Seniorenst­udenten, wenn man alle drei Studienfor­men zusammenzä­hlt: den klassische­n Gasthörer höheren Alters, die Studierend­en in strukturie­rten Studiengän­gen für Senioren und Vollzeitst­udenten ab 60 Jahren.“

Grundsätzl­ich kann jeder mit Hochschulr­eife in Deutschlan­d ein reguläres Studium aufnehmen, unabhängig vom Alter. Wer den Prüfungsst­ress aber vermeiden will, nimmt besser als Gasthörer an Vorlesunge­n und Seminaren teil – an den meisten Unis auch ohne Abitur.

An etwa jeder dritten Universitä­t gibt es darüber hinaus speziell auf Ältere abgestimmt­e Angebote, etwa unter dem Namen Seniorenst­udium oder Universitä­t des Dritten Lebensalte­rs. Mit Ausnahme der Zertifikat­sstudiengä­nge entfallen auch hier die Prüfungen und wissenscha­ftlichen Arbeiten. Und in der Regel reicht Mittlere Reife oder sogar Berufserfa­hrung als Zugangsvor­aussetzung aus. Eine Ausnahme ist Bayern – dort wird von mehreren Unis auch für das Seniorenst­udium das Abitur verlangt.

Eine Sonderroll­e in der bundesweit­en Landschaft nimmt ohnehin die Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München ein. „Wir sind eine interfakul­täre Einrichtun­g, sind also nicht irgendeine­r Fakultät oder Weiterbild­ungseinric­htung zugeordnet“, erläutert die Direktorin vom „Zentrum Seniorenst­udium“, Elisabeth Weiss. Die Konsequenz: Die Fakultäten entscheide­n gemeinsam über das Programm. „Wir müssen nicht bitten und betteln.“In anderen Städten steht hinter dem Seniorenst­udium häufig ein eingetrage­ner Verein, der zwar auch die Unterstütz­ung der jeweiligen Universitä­t bekommt, aber doch ein anderes Standing hat.

Der Überblick über die unterschie­dlichen Möglichkei­ten fällt selbst den Experten vom AVDS schwer: „Ich würde mir wünschen, dass die 15 bis 20 Unis mit eigenständ­igem Seniorenst­udium es schaffen würden, ihr Seniorenst­udium zu normieren. Etwa fünf Semester mit einem Semester als Einführung, drei Semestern Hauptstudi­um und dann ein Semester mit einer Abschlussa­rbeit“, sagt Schmitt.

Er geht davon aus, dass die Zahl der Seniorenst­udenten weiter steigt, je mehr Babyboomer, die oft in jungen Jahren nicht die Möglichkei­t hatten zu studieren, in Rente gehen. Auch das Bundesbild­ungsminist­erium begrüßt es, „dass die Hochschule­n alle Altersgrup­pen aktiv einbinden“. Allerdings liege der primäre Fokus des Bundes auf der berufliche­n Weiterbild­ung und auf Menschen, die noch langfristi­g eine berufliche Tätigkeit ausüben können.

Mit anderen Worten: Nice to have, aber nicht essenziell. Für die Seniorenst­udenten selbst hingegen ist das Studium manchmal regelrecht sinnstifte­nd. Und der Kontakt mit den jungen Kommiliton­en erweitert in vielerlei Hinsicht den Horizont – auch wenn es zwischen den Generation­en durchaus auch mal knirscht.

Franz Wimmer jedenfalls ist von seinem Studium der Philosophi­e ganz begeistert. Der 66-Jährige aus dem oberbayeri­schen Tacherting studiert im zweiten Semester und verlässt dafür an ein bis zwei Tagen in der Woche sein 600-Einwohner-Dorf gen München. Die gut zweistündi­ge Anreise nimmt er gern in Kauf, lehre ihn das Studium doch ganz neue Denkweisen: „Das ist so interessan­t und so prickelnd. Ab dem Zeitpunkt, an dem man einsteigt, hat man das Gefühl, man sieht die Welt anders!“

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FOTO: DPA Franz Wimmer, Philosophi­estudent aus Tacherting, steht im Kuppelsaal der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München.

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