Gummersbacher Blues
Der einstmals beste Handballverein der Welt ist in der zweiten Bundesliga angekommen. Der Vf L musste wie andere Traditionsvereine vor ihm lernen, dass vergangene Erfolge keine dauerhafte Währung sind.
GUMMERSBACH Wenn Frank Helmenstein Recht hat, ist Gummersbach in diesen Tagen die NRW-Metropole des Blues. Schließlich sei, hatte der CDU-Bürgermeister vor wenigen Tagen gesagt, Handball-Bundesligist VfL Gummersbach der Soundtrack des Lebens im Oberbergischen. Und dieser Soundtrack untermalt eben aktuell den ersten Bundesligaabstieg des Urgesteins. Das für viele Undenkbare ist eingetreten: Gummersbach ist nach 53 Jahren nur noch zweitklassig. Selbst das Label Tradition konnte den VfL nicht retten, weil es außer Tradition in den vergangenen Jahren nur noch wenig gab, was den Niedergang unausweichlich erscheinen lassen musste. Gummersbach lernte die Lektion, die lange vor ihm schon der TV Großwallstadt oder TuSEM Essen lernen mussten: Tradition wirft keine Tore und zahlt keine Rechnungen. „Es wird immer noch über den VfL geredet, jeder kennt die Erfolge. Aber davon muss man sich jetzt lösen“, sagte Vereinsikone und Ex-Bundestrainer Heiner Brand.
Früher war Gummersbach der Nabel Handballdeutschlands, ja zeitweise der Handball-Welt. Doch aus dem Biotop der 60er, 70er, 80er Jahre ist bis 2019 ein Standortnachteil geworden. Lange konnte der VfL von seinem stolzen Blick zurück leben. Und dieser Blick landete automatisch bei Eugen Haas. Dem Gummersbacher Unternehmer, der selbst Feldhandball beim VfL gespielt hatte und später als Unternehmer für Büroeinrichtungen „seinen“Verein in die Weltspitze führte. Haas lockte die Stars mit gut dotierten Verträgen und beruflichen Anschlussmöglichkeiten in die bergische Provinz, und die Stars holten im Gegenzug die Titel. Zwölfmal wurde Gummersbach zwischen 1966 und 1991 Deutscher Meister. Bis 1983 holte man fünf mal den Europapokal der Landesmeister. Die Liste ehemaliger Spieler liest sich wie eine Ruhmeshalle des Handballs: von Hansi Schmidt und Erhard Wunderlich über Joachim Deckarm und Heiner Brand zu Stefan Kretzschmar und Kyung-Shin Yoon und schließlich zu Julius Kühn oder Daniel Narcisse. Sie alle brachten Weltklasse nach Gummersbach.
Die Frage lautet also: Wann begann der Niedergang von Weltklasse zu zweiter Klasse? Die Antwort: Zu dem Zeitpunkt, als Sportvereine selbst Wirtschaftsunternehmen wurden. Als Haas sich 1991 aus gesundheitlichen Gründen als Macher zurückzog, wurde aus dem Traditionsverein immer mehr der Underdog von hinterm Berg. Hinzu kam: Der VfL spielte noch bis 2013 in einer besseren Turnhalle vor maximal 2100 Zuschauern, die heutige Schwalbe-Arena (4100 Zuschauer) steht erst seit 2013. 3232 Fans kamen im Schnitt in der abgelaufenen Saison zu den Heimspielen, in Kiel waren es 10.285. Große Brötchen wurden schon länger woanders gebacken, aber bislang reichten die Gummersbacher Brötchen noch fürs Oberhaus. Finanzielle Lücken musste der Verein zuletzt immer wieder stopfen. 2011 wurde in letzter Sekunde die Insolvenz vermieden. Am Ende wirkte der VfL als Gesamtkonstrukt einfach auch abstiegsreif.
Der Verweis auf Tradition hilft bei der Planung für die zweite Liga auch nur bedingt. Zumindest die Lizenz hat man schon in der Tasche, doch mit welchem Kader das Ziel Wiederaufstieg in Angriff genommen werden soll, ist noch unklar. Ein Selbstläufer wird die Rückkehr ins Oberhaus jedenfalls nicht. Fünf, sechs Teams kommen als Aufsteiger infrage. Und nur zwei werden am Ende jubeln.
Wie es sich anfühlt abzusteigen, weiß der Nachbar nur zu gut. „So ist es uns ja auch schon zweimal ergangen“, sagte der Geschäftsführer des Bergischen HC, Jörg Föste. „Wir können da gut mitfühlen.“Für den Klub aus Solingen brechen durch den Abstieg nun Einnahmen weg. „Für uns waren es immer stimmungsvolle Derbys. Es waren immer Highlights der Saison, die nun wegfallen. Das müssen wir nun akzeptieren.“Wegen des starken Zuschauerzuspruchs spielten die Klubs auch schon in der Kölner Arena gegeneinander. Wie schnell es wieder ein Derby gibt, ist völlig offen. „Für den Klub ist die zweite Liga Neuland“, warnte Föste. „Sie müssen sich in Gummersbach jetzt schnell an das neue Fahrwasser gewöhnen.“
Heiner Brand hat schon mal abgewunken, als großer Retter einzuspringen. Aber auch in Liga zwei werde er zu Heimspielen vorbeigucken. „Es fällt schwer, mir die Bundesliga ohne den VfL vorzustellen“, sagte Brand. Und im Hintergrund tönte irgendwo leise der Oberbergische Blues.