„Das Ziel von BDS ist Israels Ende“
Der 72-jährige Historiker und Publizist warnt vor Verharmlosung der Boykott-Organisation: BDS sei ein Wolf im Schafspelz.
MÜNCHEN Längst ist es kein Einzefall mehr, dass Musiker zu Unterstützern von BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) gehören, einer Organisation, die zum Boykott Israels aufruft, das Land als Apartheidsstaat deklariert und das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Inzwischen werden Künstler, die sich den BDS-Zielen anschließen, von Festivals ausgeladen; zuletzt der New Yorker Rapper Talib Kweli, der im Juli beim Düsseldorfer Open-Source-Festival auftreten sollte. Weitere Unterstützer von BDS sind unter anderem Brian Eno und Roger Waters. Der Deutsche Bundestag hatte unlängst BDS als antisemitisch eingestuft. WOLFFSOHN Dass Israel weltweit und auch in Deutschland nicht kritisiert würde, ist eine Legende. Israel darf und soll kritisiert werden wie jeder andere Staat auch. Das geschieht besonders heftig durch die Opposition im Land selbst, die fast 50 Prozent der Israelis ausmacht. Entscheidend ist: Wird mit zweierlei Maß gemessen und geht es um Details oder ums Existenzielle? BDS ist der Wolf im Schafspelz. Sagt „Kritik“und meint, auch wenn es viele Mit- und Nachläufer nicht durchschauen: „Weg mit Israel“.
WOLFFSOHN BDS fordert die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und Vertriebenen. Das waren 1947/48 rund 750.000. Inzwischen ist von mehr als sieben Millionen die Rede; Nachfahren inklusive. Die meisten echten Flüchtlinge von damals sind tot. Wie bei den deutschen Flüchtlingen undVertriebenen nach 1945. Damals zwölf Millionen. Nehmen Sie den gleichen Faktor wie bei den Palästinensern. Was das etwa für das heutige Polen bedeuten würde, ist jedermann klar. Nur Erzreaktionäre fordern das Rückkehrrecht der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen. Hitler-Deutschland begann den Krieg, hat ihn verloren, viele unschuldige Deutsche mussten fliehen oder wurden vertrieben. Palästinenser und umliegende arabische Staaten haben 1947/48 den Krieg gegen Israel begonnen und verloren. Wer einen Krieg beginnt und verliert, muss mit den Konsequenzen leben, so wie wir in Deutschland auch. WOLFFSOHN Was des einen Gefahr, ist des anderen Ziel. Gefahr für Israel, Ziel von BDS: Israels Ende. Die Kampagne ist nicht diffus, sondern strategisch: mit der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Diese wirkt auf Politiker, entscheidet letztlich Wahlen und bewirkt eine andere Politik. Das bedeutet: Die wunderbaren Instrumente der Demokratie werden im Namen der Menschlichkeit für Unmenschliches missbraucht – das Auslöschen eines Staates. Da der Konflikt um den Judenstaat Israel seit 1882 tobt und vielschichtig ist, fehlt den meisten ein umfassendes Wissen darüber.
WOLFFSOHN Unsinn bleibt Unsinn, egal von wem er immer wieder neu vorgetragen wird. Im Rahmen der Entkolonialisierung gab es nur einen Staat, über dessen Gründung von der UNO abgestimmt wurde: Israel, am 29. November 1947. WOLFFSOHN An der falschen Apartheit-Beschuldigung zeigt sich die Absurdität von BDS besonders deutlich. Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, in dem Araber, christliche wie muslimische, Drusen wie Beduinen überhaupt wählen dürfen. Bis 2019 war die Arabische Liste drittstärkste Fraktion im Parlament. Frau und Mann sind gleichberechtigt. Homosexuelle können sich nach Belieben entfalten. Überall da, wo Palästinenser außerhalb des israelischen Staatsgebiets leben, werden ihnen diese Rechte vorenthalten. Dass die BDS-Forderungen signifikant umgesetzt werden, sehe ich nicht. In fast allen westlichen Ländern hat man inzwischen verstanden, dass es um die Vernichtung Israels gehen soll, und das wird nicht passieren. WOLFFSOHN Jeder redet gerne mit, auch Ahnungslose. Faktenschwach und meinungsstark. Der Verführung ständiger Meinungsbekundungen erliegen in Massengesellschaften besonders sogenannte Stars. Die Massen himmeln sie an, und am Ende halten sich einige für fast so etwas wie den lieben Gott. Die Musiker sollten Musik machen. Ihre Gedanken sind frei und sie können so viel politisieren, wie sie wollen. Ihren Adressaten steht freilich ebenso frei, jene freien Gedanken zu verwerfen, weil die faktenfrei und kenntnislos sind. WOLFFSOHN Ja, und die vielen BDS-Gutmeinenden – es gibt sie – merken es nicht. Sie werden missbraucht. Höchste Zeit, aufzuwachen.