Mit sich im Reinen
107 Turniersiege, 377 Wochen die Nummer eins der Welt – eine Legende als Tennisspielerin. Stefanie Maria Graf wird 50 Jahre alt.
Um zu verstehen, warum Stefanie Maria, genannt Steffi, Graf so zurückgezogen mit ihrer Familie lebt, muss man sich vor Augen führen, wie ihre eigene Kindheit war. In jener Zeit, als sie noch einsam und unantastbar an der Spitze des Damen-Tennis stand, kam ein Buch über sie heraus. Es trug den Titel: „Reiche Steffi, armes Kind“. Und es brachte sehr gut auf den Punkt, in welchem Dilemma sich die zurückhaltende Blondine während ihrer sportlichen Karriere befand. Als Tennisspielerin war Steffi Graf ein Superstar, eine Person öffentlichen Interesses, der jeder nah sein wollte. Sie war das Mädchen von nebenan. Perfekt inszeniert von Peter Graf, so etwas wie der Vater aller Tennisväter, der es als omnipräsenter Strippenzieher bestens verstand, aus dem Talent seiner Tochter den maximalen Profit zu schlagen. Steffi dagegen wollte einfach nur Tennis spielen. Sie wollte nicht als Zirkusattraktion durch die Manege geführt werden. Der Tennisplatz war gewissermaßen ihr Zufluchtsort. Dort dominierte sie das Spiel.
Am Freitag wird sie 50 Jahre alt. Und sie hat für sich längst ein Umfeld geschaffen, in dem sie sich auch nach der Jagd auf den kleinen gelben Filzball wohlfühlt. Seit Jahren lebt sie mit ihrem Mann Andre Agassi und den Kindern Jaden Gil und Jaz Elle in Las Vegas. Ein ziemlich normales Leben. Graf ist indes nicht anbiedernd präsent. Sie füttert nur selten ihren Kanal bei Facebook mit Informationen aus ihrem aktuellen Seelenleben. Fotos von kulinarischen Köstlichkeiten oder lustigen Schnappschüssen aus dem Familienalbum veröffentlicht sie schon mal gar nicht. Sie ist in allererster Linie Mensch – Mutter, Ehefrau, Beraterin, Unternehmerin. Sie organisiert den Fahrdienst zu den Spielen ihrer Kinder, kümmert sich zwischendurch um die Aktivitäten ihrer Stiftung, und gelegentlich ist sie auch noch als Werbefigur im Einsatz. Deutschland ist immer ihre Heimat geblieben. „Mein Verhältnis zu Deutschland war nie belastet. Zu der Zeit, als ich sportlich auf dem Höhepunkt war, bin ich sicherlich von einigen Dingen überwältigt worden“, hat sie einmal in einem Gespräch mit unserer Redaktion gesagt. „Deutschland war aber nie eine Last für mich. Ich habe gelernt, mich mit den Dingen zu arrangieren.“
Graf hat gelitten. Ihr Vater war ein Filou, wenn man nett umschreiben möchte, dass er sich nicht sonderlich intensiv an das Ehegelübde gebunden sah. Peter Graf zahlte Schweigegeld an ein Nacktmodell, das ihm ein Kind anhängen wollte. Das schwärzeste Kapitel war hernach zweifellos jene Steuer-Affäre in den 90er Jahren, die ihm eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten eintrug. Knapp zwei Jahre musste er absitzen, zuletzt im offenen Vollzug. Steffi Graf machte einfach weiter. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch das Familienverhältnis war eine ganze Weile komplett zerrüttet. Doch davon drang nur wenig nach außen. Es gab von Steffi Graf keine Verlautbarungen, keine Klagen gegen ihren Vater. Mit der Zeit haben sich die beiden wieder versöhnt. Peter Graf starb 2013, ihre Mutter im vergangenen April. Steffi Graf hat ihr eigenes Glück mit Andre Agassi gefunden. Seit 18 Jahren sind die ehemaligen Tennisprofis nunmehr verheiratet. Viele haben die Beziehung anfänglich erstaunt zur Kenntnis genommen. Der abgedrehte Para
diesvogel aus den USA und die immer kontrollierte Gräfin aus Brühl. Die Liaison der zwei hatte sich langsam entwickelt. Es ist ein starker Bund geworden. „Sie lebt nach ihren Werten, ist ihnen treu. Sie redet nicht, sie lebt einfach. Sie hat einen überragenden Spirit“, sagt der 49-jährige Agassi der „Bild“. Auf die Frage, was er an seiner Frau bewundere, sagt er: „Dass die Beziehung immer tiefer wird.“Graf und Agassi haben zwei Kinder – Jaden Gil ist 17 Jahre alt, Jaz Elle 15.
Steffi Graf gewann 107 Turniere. Neben den sieben Wimbledon-Trophäen stehen noch sechs French-Open-, fünf US-Openund vier Australian-Open-Pokale in ihrer Vitrine. Die Statistiken der Damen-Organisation WTA listen 902 Siege und 115 Niederlagen im Einzel und ein Karriere-Preisgeld von 21,9 Millionen Dollar auf. 1988 krönte sich die Gräfin mit dem Golden Slam, als sie alle vier großen Turniere gewann und bei Olympia in Seoul Gold holte. Sie war Sportlerin des Jahres, ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und Mitglied in der Hall of Fame des deutschen Sports. Andere haben solche Triumphe in der Zeit nach ihrer Karriere als Last empfunden. Sind daran bisweilen zerbrochen, weil sie sich im „normalen“Leben deutlich schwerer taten. Und Steffi Graf? „Als Last sehe ich das überhaupt nicht. Ich bin auf eine Art ein bisschen stolz, wenn die Leute auf mich zukommen, sie sind mit meinen sportlichen Erfolgen groß geworden und bedanken sich für die vielen Jahren vor dem Fernseher“, sagte sie. „Das tut gut zu hören. Eine schöne Anerkennung für meine Arbeit.“
Barbara Rittner zählt zu den engsten Vertrauten von Graf. Die langjährige Bundestrainerin des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) tauscht sich immer wieder mit ihrer alten Weggefährtin aus. Graf diente als Motivatorin für die Tennis-Generation. Angelique Kerber durfte mit Graf auf ihrem Anwesen trainieren – und bekam Tipps. Vieles blieb unbeobachtet von einer größeren Öffentlichkeit, weil es Graf immer nur um die Sache geht und nicht darum, wieder
Schlagzeilen zu produzieren. „Es gibt ganz bestimmt viele Menschen, die sich über Glückwünsche und Anteilnahmen zum 50. Geburtstag freuen würden. Ich bin mir sicher, dass sich Stefanie Graf am liebsten verstecken würde, und es sehr wahrscheinlich auch tut“, sagt Rittner unserer Redaktion. „Weil sie ein total schüchterner, introvertierter Mensch ist, der einfach nur in Ruhe leben will. Sie hat sich nie etwas aus dem Rummel um ihre Person gemacht, sie war immer nur auf den Erfolg konzentriert. Die Mama war mehr für den emotionalen Ausgleich da, ihr Papa hat sie als Trainer gepusht. Nun ist Steffi selbst Mama, und die Familie steht bei ihr über allem.“
Rittner hat viel mit Graf erlebt. Die beiden haben bis heute eine besondere Verbindung. „Man kann sich auf Steffi einfach verlassen. Sie ist ein unfassbar herzlicher Mensch, der aber auch sehr rastlos ist“, sagt Rittner. „Mit Steffi zu shoppen, ist kein Vergnügen. Sie rast immer nur so schnell durch die Geschäfte, wie sie früher auf dem Tennisplatz war. Einmal waren wir in Montreal bei einem Konzert der Rockband Counting Crows. Nach exakt zweieinhalb Liedern hat sie mich angeguckt und gesagt: ,Die Band ist heute nicht so gut drauf, lass uns gehen’. Wir sind dann tatsächlich aufgestanden und gegangen. Steffi hat aber auch immer den Blick für andere um sich herum. Als wir gemeinsam Fed Cup gespielt haben, hatte ich erzählt, wie toll ich Phil Collins finde. Wenig später saßen die Bandmitglieder von Genesis mit uns beim Teamessen am Tisch. Das hatte sie mal eben so organisiert.“
Graf hat eine erstaunlich solide Balance für ihr Leben gefunden. Und sie ist konsequent. Sie braucht es nicht für ihr Ego, sich immer mal wieder mit Beiträgen zu diesen oder jenen Themen in Debatten einzuschalten. Anders als Boris Becker, der mit 51 Jahren seine intensivste Beziehung zum Tennis hat. „Glückwunsch von meiner Seite, es tut ein bisschen weh, 50 zu werden, aber man kommt drüber“, sagte der dreimalige Wimbledonsieger. „Es würde mich freuen, wenn sie häufiger bei Grand Slams wäre. Aber sie lebt ihr eigenes Leben.“
Und man kann Stefanie Graf nur dazu beglückwünschen.