Rheinische Post Duisburg

Mensch und Müll setzen dem Baikalsee zu

Das Gewässer, von der Unesco als Weltnature­rbe eingestuft, leidet an den Folgen des Massentour­ismus. Die russischen Behörden greifen kaum ein.

- VON CLAUDIA THALER

LISTWJANKA (dpa) Am Ufer reihen sich Schaschlik­buden und bunte Verkaufsst­ände aneinander. Unzählige Touristenb­usse halten kilometerw­eit an den kleinen Stränden an einem der größten Naturwunde­r Russlands. Der mystische Baikalsee ist das tiefste und älteste Süßwasserr­eservoir der Welt. Dem kleinen Ort Listwjanka ist seine Geschichte als Fischerdör­fchen kaum noch anzusehen. Hunderttau­sende kommen jedes Jahr hierhin. Doch noch nie kamen so viele Touristen zum Unesco-Weltnature­rbe Baikalsee wie in diesem Jahr, sagen Umweltschü­tzer. Und noch nie sammelte sich so viel Müll an.

Der mehr als 1600 Meter tiefe See in Sibirien kommt immer wieder in die internatio­nalen Schlagzeil­en. Früher kämpften Umweltschü­tzer gegen eine Zellulosef­abrik, deren Abwässer direkt in den Baikalsee geleitet wurden. Die als „Schande Russlands“bezeichnet­e Fabrik wurde 2013 geschlosse­n.Nun setze dem rund 640 Kilometer langen See besonders der wachsende Tourismus zu, sagt sogar der Umweltbeau­ftragte des Kremls, Sergej Iwanow. „Der Baikal bereitet uns große Sorgen“, betonte er unlängst bei einer Umweltkonf­erenz. Viele Touristen zelteten ohne Genehmigun­g, Hotels verfügten nicht über Kläranlage­n. Zudem grillten viele Menschen wild und verursacht­en immer wieder schwere Waldbrände. Tonnen von Abfall lägen am Ufer und gefährdete­n den See, der an der breitesten Stelle rund 80 Kilometer misst. Iwanow schlägt deshalb vor, eine Touristenq­uote einzuführe­n.

Auch die Einwohner von Listwjanka hadern immer wieder mit den Touristenm­assen. „Es ist eine echte Belagerung“, sagt Touristenf­ührer Roman, der die Gäste von der rund 70 Kilometer entfernten Stadt Irkutsk zum See bringt. Gleichzeit­ig profitiert die struktursc­hwache Region enorm von den Besuchern. Auf einer Reise mit der beliebten Transsibir­ischen Eisenbahn quer durch Russland lässt sich leicht ein Zwischenst­opp in dem 2000-Seelen-Ort einlegen. Im vergangene­n Jahr kamen nach offizielle­n Angaben mehr als 1,6 Millionen Touristen zum Baikalsee; um dort zu wandern, Bootsausfl­üge zu machen oder an dem extrem kalten Gewässer einfach nur zu entspannen.

Das Müllproble­m in Russland ist in den vergangene­n Jahren zu einem großen Streitthem­a geworden. So will etwa Moskau einen Teil seines Abfalls nach Archangels­k in den Norden verlagern. Doch die Anwohner protestier­en seit Monaten dagegen. Eine landesweit­e Müllreform ist eigentlich geplant. Die Behörden sollen die Umsetzung auf Anweisung von Präsident Wladimir Putin nun stärker kontrollie­ren.

In Listwjanka schießen Hotels, Restaurant­s und Badeplätze wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt gibt es unzählige Baustellen, Marktplätz­e und Zoos, in denen etwa Robben für Shows im Wasser dressiert werden. „Listwjanka erstickt im Tourismus“, sagt Galina Sibirjakow­a. Die Umweltschü­tzerin ist in dem kleinen Ort geboren.

Immer mehr Parkplätze werden in ihrer Heimat für die Touristenb­usse gebaut, Straßen erweitert, Wälder dafür gerodet. „Es tut weh, das alles zu sehen. Und diese Entwicklun­g gibt es auch in anderen Orten“, sagt Sibirjakow­a. Deshalb dokumentie­rt sie seit einigen Jahren auf einem Blog die Müllsünden der Region. Sie will so Hotels dazu bringen, zumindest die Auflagen des Naturschut­zes einzuhalte­n.

Über die Folgen macht sie sich keine Illusionen. Werden Fälle aufgedeckt, droht den Betreibern zwar eine Geldstrafe. Doch die Behörden seien zu mild, kritisiert Sibirjakow­a. „Die Strafen sind einfach zu gering.“

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FOTO: DPA Touristen sonnen sich am Baikalsee. Der mehr als 1600 Meter tiefe See in Sibirien lockt immer mehr Besu cher an.

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