Mensch und Müll setzen dem Baikalsee zu
Das Gewässer, von der Unesco als Weltnaturerbe eingestuft, leidet an den Folgen des Massentourismus. Die russischen Behörden greifen kaum ein.
LISTWJANKA (dpa) Am Ufer reihen sich Schaschlikbuden und bunte Verkaufsstände aneinander. Unzählige Touristenbusse halten kilometerweit an den kleinen Stränden an einem der größten Naturwunder Russlands. Der mystische Baikalsee ist das tiefste und älteste Süßwasserreservoir der Welt. Dem kleinen Ort Listwjanka ist seine Geschichte als Fischerdörfchen kaum noch anzusehen. Hunderttausende kommen jedes Jahr hierhin. Doch noch nie kamen so viele Touristen zum Unesco-Weltnaturerbe Baikalsee wie in diesem Jahr, sagen Umweltschützer. Und noch nie sammelte sich so viel Müll an.
Der mehr als 1600 Meter tiefe See in Sibirien kommt immer wieder in die internationalen Schlagzeilen. Früher kämpften Umweltschützer gegen eine Zellulosefabrik, deren Abwässer direkt in den Baikalsee geleitet wurden. Die als „Schande Russlands“bezeichnete Fabrik wurde 2013 geschlossen.Nun setze dem rund 640 Kilometer langen See besonders der wachsende Tourismus zu, sagt sogar der Umweltbeauftragte des Kremls, Sergej Iwanow. „Der Baikal bereitet uns große Sorgen“, betonte er unlängst bei einer Umweltkonferenz. Viele Touristen zelteten ohne Genehmigung, Hotels verfügten nicht über Kläranlagen. Zudem grillten viele Menschen wild und verursachten immer wieder schwere Waldbrände. Tonnen von Abfall lägen am Ufer und gefährdeten den See, der an der breitesten Stelle rund 80 Kilometer misst. Iwanow schlägt deshalb vor, eine Touristenquote einzuführen.
Auch die Einwohner von Listwjanka hadern immer wieder mit den Touristenmassen. „Es ist eine echte Belagerung“, sagt Touristenführer Roman, der die Gäste von der rund 70 Kilometer entfernten Stadt Irkutsk zum See bringt. Gleichzeitig profitiert die strukturschwache Region enorm von den Besuchern. Auf einer Reise mit der beliebten Transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland lässt sich leicht ein Zwischenstopp in dem 2000-Seelen-Ort einlegen. Im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Angaben mehr als 1,6 Millionen Touristen zum Baikalsee; um dort zu wandern, Bootsausflüge zu machen oder an dem extrem kalten Gewässer einfach nur zu entspannen.
Das Müllproblem in Russland ist in den vergangenen Jahren zu einem großen Streitthema geworden. So will etwa Moskau einen Teil seines Abfalls nach Archangelsk in den Norden verlagern. Doch die Anwohner protestieren seit Monaten dagegen. Eine landesweite Müllreform ist eigentlich geplant. Die Behörden sollen die Umsetzung auf Anweisung von Präsident Wladimir Putin nun stärker kontrollieren.
In Listwjanka schießen Hotels, Restaurants und Badeplätze wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt gibt es unzählige Baustellen, Marktplätze und Zoos, in denen etwa Robben für Shows im Wasser dressiert werden. „Listwjanka erstickt im Tourismus“, sagt Galina Sibirjakowa. Die Umweltschützerin ist in dem kleinen Ort geboren.
Immer mehr Parkplätze werden in ihrer Heimat für die Touristenbusse gebaut, Straßen erweitert, Wälder dafür gerodet. „Es tut weh, das alles zu sehen. Und diese Entwicklung gibt es auch in anderen Orten“, sagt Sibirjakowa. Deshalb dokumentiert sie seit einigen Jahren auf einem Blog die Müllsünden der Region. Sie will so Hotels dazu bringen, zumindest die Auflagen des Naturschutzes einzuhalten.
Über die Folgen macht sie sich keine Illusionen. Werden Fälle aufgedeckt, droht den Betreibern zwar eine Geldstrafe. Doch die Behörden seien zu mild, kritisiert Sibirjakowa. „Die Strafen sind einfach zu gering.“