Neustart mit angezogener Handbremse
Am Montag durften erstmals nach der angeordneten Schließung kleinere Geschäfte ihre Türen für Kunden öffnen. RP hat sich in den Innenstädten umgesehen.
GRAFSCHAFT Bei strahlend blauem Himmel ist die Stimmung in der Moerser Innenstadt am Montagmittag gut. Nahezu alle Geschäfte, die öffnen dürfen, haben davon Gebrauch gemacht, viele empfangen die Kunden schon am Eingang mit Willkommens-Schildern und Hinweisen bezüglich Abstands- und Hygieneregeln.
„Schön, Sie gesund zu sehen! Alles wird gut!“, verspricht zum Beispiel Gabi Wiegand, Inhaberin der kleinen Modeboutique „Burgschlösschen“an der Kirchstraße. Damit der Sicherheitsabstand unter den Kunden besser gewahrt bleiben kann, hat sie kurzerhand den Seiteneingang des Geschäfts umfunktioniert. „Die Kunden kommen durch den Haupteingang rein und verlassen das Geschäft nach hinten heraus“, erklärt Wiegand.
Ilse Brachtendorf und Hildegard Kuinke sind seit sechs Jahren Stammkundinnnen im „Burgschlösschen“. „Wir haben uns total gefreut, als wir erfuhren, dass wir jetzt wieder bei Gabi einkaufen können“, so Hildegard Kuinke. „Es ist wichtig, die kleinen Geschäfte zu unterstützen. Ich hab’ schon ein schickes T-Shirt für warme Tage gefunden.“Mit einem Gläschen Sekt wurde auf die Wiedereröffnung angestoßen. „Online-Shopping kam für uns nicht in Frage“, betont Ilse Brachtendorf. „Wir haben einfach gewartet, bis Gabi ihren Laden wieder öffnet. Hier werden wir gut beraten.“
Auch in Neukirchen-Vluyn haben viele der kleinen Geschäfte am Vluyner Platz bereits wieder geöffnet. Im Schuhmarkt op de Hipt schauten schon am Vormittag einige Kunden vorbei. „Wir freuen uns sehr, raus aus der Isolation zu kommen und wieder im direkten Kontakt mit den Kunden zu stehen“, sagt Monika van Os. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ruchelle Dodalski berät sie die Kundschaft in Sachen aktueller Schuhmode. Die Ladentheke wurde zum Schutz mit einer
Kunststoffscheibe ausgestattet, die beiden Frauen tragen Mundschutz. „Es ist schön, dass es jetzt wieder los geht, aber ich denke, es dauert noch sehr lange, bis alles wieder seinen gewohnten Gang findet“, so Monika van Os. „Die Menschen müssen erst wieder ihren Rhythmus finden.“Auffällig sei, dass viele ältere Menschen unterwegs zum Einkaufen seien. „Ich glaube, gerade für sie ist ein Stückchen Normalität wichtig. Viele waren sicherlich sehr isoliert in den vergangenen Wochen.“
In Kamp-Lintfort haben nicht alle kleinen Geschäfte, die eigentlich öffnen dürften, am Montag schon wieder auf. Vor den anderen Geschäften stehen Stoppschilder, die anzeigen, wie viele Kunden gleichzeitig im Laden sein dürfen, in einigen wird ein Mundschutz gefordert, andere halten Desinfektionsmittel am Eingang parat. Willi Pöplinghaus, Inhaber eines Photogeschäftes, findet das Kaufverhalten der Kunden eher zurückhalten. „Für einen Montag ist sehr wenig los. Es muss sich erst noch einspielen“, meint er. Pöplinghaus ist auf die Kundschaft in Corona-Zeiten vorbereitet – mit Hygienemaßnahmen und Spuckschutzwänden an den Theken.
Mode auf insgesamt mehr als 18.000 Quadratmetern verkauft Braun am Neumarkt – normalerweise. Das als Familienunternehmen in vierter Generation geführte Geschäft, das regelmäßig nicht nur Kunden aus der Region, sondern auch aus den Niederlanden in die Moerser Innenstadt lockt, muss bis auf Weiteres geschlossen bleiben. Das Argument: zu groß, maximal 800 Quadratmeter real existente, also nicht provisorisch verkleinerte, Ladenfläche sind in NRW derzeit erlaubt – Autohäuser, Fahrradhändler, Buchhandlungen, Einrichtungshäuser und Baby-Fachmärkte ausgenommen. Für Braun-Geschäftsführer Stefan Roters ist die Regelung schwer nachvollziehbar.
„Warum sind 80 Kunden auf 800 Quadratmetern erlaubt, 800 Kunden auf 8000 Quadratmetern aber nicht?“, fragt er. Eine zulässige Kundenzahl pro Quadratmeter sei womöglich eine sinnvollere Regelung als der Blick auf die Fläche, zumal es bei Braun, anders als in Einkaufszentren, überhaupt keine Trennwände gebe. „Die Kunden müssen sich nicht gemeinsam über Gänge von Geschäft zu Geschäft bewegen, sondern haben absolute Bewegungsfreiheit.“
Die Kritik am Konzept teilt auch Wilhelm Bomman, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Niederrhein. Die Bundesregierung begründe ihre Entscheidung damit, dass die „Großen“Publikumsmagneten sind und man die Städte nicht so voll sehen will, sagt er. „Wir haben uns immer für eine diskriminierungsfreie
Öffnung eingesetzt. Große Warenund Modehäuser oder Elektrofachmärkte werden benachteiligt. Das kann man den Beschäftigten dieser Betriebe und auch den Kunden nur schwer vermitteln. Viele Unternehmen werden existenzielle Probleme bekommen, wenn die Situation sich nicht entscheidend ändert.“
350 Festangestellte und Aushilfen arbeiten derzeit bei Braun. „Alle müssen jetzt mit großen Einschränkungen leben“, sagt Roters. Wann und wie es im Modecenter weitergeht, kann der Geschäftsführer aktuell noch nicht sagen. Nur so viel verspricht er: „In diesem Jahr feiert unser Haus 100-Jähriges. Und wir werden auch zum 101-Jährigen noch da sein.“