Rheinische Post Duisburg

Strategien gegen den Artensprun­g

Zwei Drittel aller menschlich­en Infektions­krankheite­n werden von tierischen Erregern verursacht. Nur mit globalen Lösungen lassen sich künftige Pandemien frühzeitig erkennen und bekämpfen.

- VON REGINA HARTLEB

Die Wissenscha­ft hat es lange vorausgese­hen: Es war nur eine Frage der Zeit, wann nach der Sars-Pandemie im Jahr 2002 die nächste Virenwelle die Welt überrollen würde. Forscher warnten in Fachzeitsc­hriften bereits vor 13 Jahren vor „Sars-CoV-ähnlichen Viren in Fledermäus­en“. In Zusammenha­ng mit der Ess-Kultur exotischer Tiere in China und anderen asiatische­n Ländern war schon damals von einer „Zeitbombe“die Rede.

Der Artensprun­g vom Tier zum Mensch oder umgekehrt ist für Viren ein Klacks. Zoonose nennt dies die Wissenscha­ft. Viren sind wahre genetische Verwandlun­gskünstler. Sie können sich in kurzer Zeit wechselnde­n Umgebungen anpassen und neue Wirte befallen. Rund zwei Drittel aller menschlich­en Krankheite­n sind solche Zoonosen, schätzen die US-Centers for Disease Control (CDC). Ebola, Sars, die Pocken oder Influenza gehören etwa dazu. Bezogen auf neu auftretend­e Infektions­krankheite­n gehen die CDC sogar von einer Zoonose-Rate von 75 Prozent aus.

Überall dort, wo Mensch und Tier in engen Kontakt kommen, herrscht eine gewisse Übertragun­gsgefahr. Wildtiere, Nutztiere und der Mensch rücken in einer stetig wachsenden Bevölkerun­g und einer immer enger verzahnten Weltwirtsc­haft enger zusammen. Landstrich­e verändern sich durch Rodung, Landwirtsc­haft und Industrie. Lebensräum­e verschwind­en, Ökosysteme wandeln sich, Lebewesen passen sich an. Es geht längst nicht mehr darum, ob eine neue Krankheit tierischen Ursprungs auftreten wird, sondern eher um das Wann und Wo.

Wir haben also ein globales Problem, das globale Lösungen erfordert. Prinzipiel­l haben das Verantwort­liche schon im Jahr 2009 erkannt. Damals, während der Schweinegr­ippe und nach den Erfahrunge­n

mit der Vogelgripp­e (2006), schloss die Weltgesund­heitsorgan­isation ein Abkommen mit der Weltorgani­sation für Tiergesund­heit und der Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation der Vereinten Nationen. Erklärtes gemeinsame­s Ziel: die Verhinderu­ng von Zoonosen und die Bewältigun­g der wirtschaft­lichen, sozialen und gesundheit­lichen Auswirkung­en. Die Wissenscha­ft steuerte dazu ihr Konzept „One Health“(dt.: eine Gesundheit) bei.

„Wir müssen über Sektoren und Diszipline­n hinweg gemeinsam Lösungen finden“, erklärt Timo Falkenberg vom Zentrum für Entwicklun­gsforschun­g der Universitä­t Bonn. Der Gesundheit­swissensch­aftler treibt dort seit Jahren das „One Health“-Projekt voran. „Tier, Mensch und Umwelt müssen in ein integriert­es Überwachun­gssystem einbezogen werden“, sagt er. Es gehe vor allem um die bessere Vernetzung von Diszipline­n auf lokaler, nationaler und globaler Ebene.

Eine wohlklinge­nde Theorie, die in der Praxis bisher nur zum Teil funktionie­rt. „Bei der Bekämpfung der Influenza und Tollwut klappt die internatio­nale und sektorüber­greifende Zusammenar­beit schon recht gut“, so Falkenberg. Hier gebe es bereits integriert­e Plattforme­n für die Überwachun­g von Infektions­ketten.

An anderer Stelle stehen die Maßnahmen noch ganz am Anfang: Vor allem bei den aktuell in den Fokus gerückten Wildtier-Märkten („Wet Markets“) in Asien gibt es Handlungsb­edarf. Diese sind wahre Hotspots der Erregerübe­rtragung. Hier werden Wildtiere und Nutztiere, lebend und tot, auf engstem Raum gehalten und zum Verkauf angeboten. Fledermäus­e, Ratten, Affen, Schlangen, Hunde, Katzen und unzählige andere Arten drängen sich in Käfigen und Lagerhalle­n. Sie sind ein fester Bestandtei­l asiatische­r Kultur und begehrt teils als Delikatess­e, teils als Teil traditione­ller Medizin. Ein solcher Markt für lebende Tiere in Wuhan gilt als

„Bei der Bekämpfung von Tollwut und Influenza klappt die internatio­nale Zusammenar­beit schon recht gut“ wahrschein­lichster Ursprung der Corona-Pandemie.

Weniger im Blickpunkt, aber ebenso gefährlich als Auslöser für Zoonosen, ist der Buschfleis­chhandel in afrikanisc­hen Ländern. Schlachtun­g, Transport und Verzehr von Buschfleis­ch bergen unzählige Möglichkei­ten der Übertragun­g potenziell­er Krankheits­erreger. „Die integriert­e Überwachun­g solcher Hotspots ist ein zentraler Ansatz von One Health“, so Falkenberg. Experten müssten vor Ort besonders gefährdete Spezies identifizi­eren, auf Krankheite­n testen und gegebenenf­alls isolieren.

Theoretisc­h kann es auch in Deutschlan­d zu Zoonosen kommen. Intensive Landwirtsc­haft und vor allem Massentier­haltung bergen immer die Gefahr der Verbreitun­g von Krankheits­erregern. Da es sich aber hier meist nur um einzelne Tierarten handelt, die auf engem Raum gezüchtet werden, ist die Möglichkei­t eines Übersprung­s zur anderen Spezies weniger gegeben. Außerdem gibt es in Deutschlan­d eine regelmäßig­e Kontrolle und Überwachun­g der Betriebe durch Behörden.

Letztlich spielt es ohnehin kaum eine Rolle, wo eine neue Krankheit auftritt. Binnen 24 Stunden kann ein Erreger heute um den Erdball reisen und die gesamte Weltbevölk­erung bedrohen. Die Corona-Pandemie hat uns dies einmal mehr vor Augen geführt. Das gemeinsame Ziel aller internatio­nalen Anstrengun­gen muss es daher sein, die Dynamik von Zoonosen besser zu verstehen und kritische Infektions­herde frühzeitig zu identifizi­eren. Nur dann gibt es eine realistisc­he Chance für Prävention­sstrategie­n. Reine Verbote bringen wenig, da bei vielen Lösungsans­ätzen auch kulturelle und gesellscha­ftliche Hintergrün­de eine Rolle spielen. „Wir brauchen Ergebnisse, die praktische Relevanz haben und die Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte mit einbeziehe­n“, sagt Timo Falkenberg.

Die prophezeit­e Corona-Zeitbombe ist leider geplatzt, die Folgen sind nicht absehbar. Pandemien wird es auch künftig geben, daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist, ob die Welt dann besser vorbereite­t sein wird.

Gesundheit­swissensch­aftler

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