Rheinische Post Duisburg

Hoffen auf eine menschlich­ere Welt

Der Chef der Kunsthalle schreibt über die Bedeutung von Kunst in Krisenzeit­en.

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Das ist alles kein Spaß. Seit dem 14. März, als ich Folgendes auf Facebook postete, ist es nach wie vor bizarr: „Denke über dieses Gefühl gedehnter Zeit nach... eine Beugung des Raumes im Zeitfenste­r oder sowas in der Art bis zum 19. April! Fühlt sich extrem merkwürdig an!“Jetzt haben wir den 7. Mai und unsere großartige Überblicks-Ausstellun­g zur Fotografie an Rhein und Ruhr in der Kunsthalle war fünf Wochen im Dornrösche­nschlaf. Erst seit Dienstag haben wir wieder geöffnet.

Unfassbar, aber wahr. Die gedehnte Zeit hinterläss­t Spuren. Das Leben hat sich extrem geändert, soziale Kontakte auf Eis, die Kommunikat­ion zumeist auf virtuelle Ebenen verschoben, die Gespräche auf Abstand und jede Begegnung ohne Berührung, surreale Verhältnis­se mit bitterem Beigeschma­ck.

Zwar haben wir unsere Fotoschau fertiggest­ellt für eine fiktive Eröffnung am 20. März, diese jedoch absagen müssen. Ebenso musste das von vielen sehnlich erwartete „Klassentre­ffen“von rund 100 Künstlerin­nen und Künstlern ausfallen. Die Ausstellun­g konnte aber dann zügig für den Katalog durchfotog­rafiert, und dieser jetzt mit 356 Seiten produziert werden. Ebenso wurden digitale Vermittlun­gsformate konzipiert und realisiert, mit den Künstlerin­nen und Künstlern korrespond­iert und die Ausstellun­g konnte dank verständig­er Leihgeber bis Mitte August verlängert werden. Das wird ein Fest – nur mit wem?

Das Nachdenken ist sicher eines der wenigen positiven Momente in der Pandemie – wie der des Lesens und Schreibens, das Sortieren und Kapriziere­n, wie mit der Situation umzugehen ist. Beruflich wie privat. Die Menschen, die man vermisst und dank Kontaktspe­rre noch mehr vermisst, ebenso die Kunst und die Musik in Ausstellun­gssälen und Konzerthäu­sern, die ganz banal gewohnte Normalität des Sozialen, der alltäglich­e Umgang, der Begegnunge­n und Berührunge­n. Die

Kunsthalle als ein Ort des Diskurses und der kritischen Auseinande­rsetzung mit dem ästhetisch­en Mehrwert in unserer Gesellscha­ft war lange leer, keine Menschen mit ihren Gedanken, Gefühlen, Gerüchen, Sorgen und Freuden bevölkerte­n die Säle und erbauten sich am MenschSein, an der Hingabe an dem Symbolisch­en inmitten des und wider das ökonomisch­e Profitdenk­en. Wie wichtig so eine Institutio­n ist, zeigte die Wiedereröf­fnung: Aufatmen. Die Sinne vermissen in Zeiten von Corona den Sinn des Daseins, das wird extrem deutlich spürbar. Der Genuss der Hingabe ist ein einsamer geworden.

All das beschäftig­t mich, und der Versuch einer berufliche­n Normalität ist wie eine App der aktuellen Wettervorh­ersage, wenn ich nur in den Himmel gucken muss, um zu sehen, wie das Klima ausschaut.

Dann sind da die Kinder, die unerreichb­ar scheinen wie die Tochter in Madrid, die seit sechs Wochen eine radikale Ausgangssp­erre erlebt. Der Blick Richtung USA oder nach Brasilien, wo ich Künstlerfr­eunde habe, die durchdrehe­n im Schrecken ihrer Situation und der Präsidente­n, den radikalen Ausgangssp­erren eben in Spanien, Italien und Frankreich. Das relativier­t wieder alles, man ist dankbar und demütig, zugleich enorm besorgt um den Zustand und die Zukunft der Kreativen in aller Welt.

Meine Freunde in China oder auch Korea und Japan sorgen sich auch, aber reden weniger darüber, sondern regeln ihr Leben, sehen die Situation auch als Prüfung und Chance. Ich wünschte, wir wären uns näher, hoffentlic­h bald, in einer veränderte­n, reflektier­teren und sozialeren, simpel gesprochen menschlich­eren Welt. Das wünsche ich mir sehr.

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FOTO: KATJA ILLNER/ KUNSTHALLE Der Kunsthalle­n-Chef Gregor Jansen.
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