Rheinische Post Duisburg

Ackerbau ohne Acker

- VON REGINA HARTLEB

Wie können wir in Zukunft unsere Versorgung mit hochwertig­en Nahrungsmi­ttel sichern und dabei Klima und Ressourcen schonen? Forscher testen Pflanzenzu­cht ohne Erde, in der Stadt und mit Nährstoffe­n aus Abwasser.

Wie schnell sich Rahmenbedi­ngungen für unser alltäglich­es Leben ändern können, hat die Corona-Pandemie eindrückli­ch gezeigt. Das, was immer so war, muss nicht immer so bleiben. Wie sehr sich in Ausnahmesi­tuationen bisweilen die persönlich­en Prioritäte­n verzerren können, haben all diejenigen demonstrie­rt, die noch vor wenigen Wochen absurde Mengen an Toilettenp­apier aus den Läden schleppten.

Aber wie sieht es mit unseren Lebensmitt­eln aus? Regale mit Obst und Gemüse waren nicht leer gekauft während des Lockdowns. Davor, dass die Versorgung­skette mit frischen Nahrungsmi­tteln durch die Pandemie unterbroch­en werden könnte, hatte offenbar niemand Angst.

Dabei ist Deutschlan­d weit weg von einer sicheren Selbstvers­orgung. Im vergangene­n Jahr wurden knapp 15 Milliarden Tonnen Obst und Gemüse importiert (Kosten: 6,5 Millionen Euro). Tendenz steigend. Das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft errechnet alljährlic­h den sogenannte­n Selbstvers­orgungsgra­d für verschiede­ne Nahrungsmi­ttel. Für Obst liegt dieser seit Jahren bei schwachen 22 Prozent, Gemüse rangiert um die 36 Prozent.

Wie sicher ist also unsere Versorgung mit frischen und hochwertig­en Lebensmitt­eln? Wie nachhaltig sind unsere Lieferkett­en? Über solche Fragen denkt man am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheit- und Energietec­hnik in Oberhausen (Umsicht) nach. Wissenscha­ftler forschen hier an den Agrarsyste­men der Zukunft. Sie sind Teil eines Förderproj­ekts des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung. Die Kernfrage lautet: Wie kann eine Agrarwirts­chaft in Deutschlan­d im Jahr 2040 oder 2050 aussehen? Denn Landwirtsc­haft in ihrer industrial­isierten Form, wie wir sie heute kennen, könnte es dann nicht mehr geben. Die Überdüngun­g der Felder, immer häufigere Dürreperio­den auch in unseren Regionen, Wasserknap­pheit – der Klimawande­l ist in vollem Gange, und es müssen neue und vor allem nachhaltig­e Lösungen her, um unsere Umwelt zu erhalten.

Ein Teil der Lösung könnten Indoor-Farmen sein, in denen Pflanzen ganz ohne Erde wachsen. Das Fraunhofer-Institut Umsicht beteiligt sich mit dem Projekt Suskult an der Forschungs­kampagne des Bundesmini­steriums. Das Institut gehört zu einem von acht Verbünden, die unter 140 eingereich­ten Ideen ausgewählt wurden. Seit einem Jahr entwickeln Ingenieure und Wissenscha­ftler Ideen und Technik für den nachhaltig­en Anbau frischer Lebensmitt­el. 15 Forschungs­partner sind bei Suskult mit im Boot.

„Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, während die ländlichen Regionen zunehmend verarmen“, erklärt Volker Keuter. Er leitet am Fraunhofer-Institut die Abteilung Photonik und Umwelt und hat Suskult mitinitiie­rt. „Das Ziel ist es daher, hin zu lokalen Produkten zu kommen, die wir vor Ort in der Stadt herstellen können, ohne lange Lieferkett­en“, erklärt der Ingenieur. „Aktuell kommen im Winter die Erdbeeren aus Israel, Gemüse erreicht uns aus Spanien und den Niederland­en, und statt der ehemals 4000 heimischen Apfelsorte­n wachsen in Deutschlan­d heute nur noch einige wenige.“

Wie also könnte es aussehen, das Agrarsyste­m der Zukunft? „Wir nutzen ein hydroponis­ches System“, erklärt Keuter. Das bedeutet, Tomaten und Salat wachsen nicht auf Erdsubstra­t, sondern die Keimlinge werden in Behältern über einen geschlosse­nen Kreislauf gezielt mit Wasser und Nährstoffe­n versorgt. Hier kommt der Aspekt der Nachhaltig­keit ins Spiel: Die Nährstoffe sollen allesamt aus Abwasser kommen, das zuvor in Kläranlage­n aufbereite­t wurde.

Erste Testreihen mit Tomaten, Spinat, Salat und Knollengew­ächsen werden bereits in Laboren der Hochschule

Der Konsument soll eines Tages Produzent

und Händler seiner eigenen Nährstoffe sein

Newspapers in German

Newspapers from Germany