Rheinische Post Duisburg

„Wir kriegen das hin, nicht wahr, Ursula?“

Die Kanzlerin und die EU-Kommission­schefin skizzieren ihre Pläne für Europa. Sechs Monate entscheide­n über Scherben oder Denkmal.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN/BRÜSSEL Wären es zwei Männer, die für ein halbes Jahr die mächtigste Doppelspit­ze in Europa bilden, wäre das keine Erwähnung wert. Wenn beide aus ein und demselben Land stammen, ist das schon interessan­ter. Aber wenn es zwei starke Frauen aus Deutschlan­d sind, die obendrein schon lange gemeinsam Politik machen, führt das zu neuen Wortschöpf­ungen. „Europa ist eine Frau“, hatte Ex-Ratspräsid­ent Donald Tusk bei der Wahl von Ursula von der Leyen (CDU) zur EU-Kommission­spräsident­in im vorigen Jahr gesagt. Am Mittwoch übernahm Deutschlan­d unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die EU-Ratspräsid­entschaft. Also titelte die „Zeit“: „Europa ist zwei Frauen“. Am Donnerstag erklärten die beiden Politikeri­nnen ihre Pläne für dieses Europa in der Corona-Krise, der Klimakrise, der drohenden Wirtschaft­skrise und der Suche nach einem souveränen und selbstbewu­ssten Platz zwischen den Fronten der USA, Russlands und Chinas. Je nachdem, was und wie es ihnen gelingt, kann es einen Scherbenha­ufen geben – oder sie setzen sich ein Denkmal.

Merkel wird auch bei ihrem gemeinsame­n Auftritt mit von der Leyen, die eine in Berlin, die andere zugeschalt­et aus Brüssel, nicht müde zu mahnen, wie „wuchtig“und schwer die Corona-Krise sei, und dass der Zusammenha­lt in Europa auf die Probe gestellt werde. Es geht um gigantisch­e Finanzsumm­en, die Klimaziele, die Digitalisi­erung, die Migration, das Abkommen mit Großbritan­nien nach dem Brexit. Als erstes nehmen sich Merkel und von der Leyen den siebenjähr­igen Finanzrahm­en von 1,1 Billionen Euro und den Corona-Wiederaufb­aufonds von 750 Milliarden Euro vor. Von der Leyen kündigt ein Spitzentre­ffen zu dem Hilfsprogr­amm am 8. Juli in Brüssel an. Zehn Tage später soll es möglichst von den Staats- und Regierungs­chefs bei einem realen und nicht nur digitalen Gipfel unter Dach und Fach gebracht werden. Die beiden Frauen mahnen: „Jeder Tag zählt.“

Und mit jedem verlorenen Tag verlören Menschen ihre Arbeitsplä­tze, macht von der Leyen deutlich. Europa könne sich aber glücklich schätzen, sagt sie, dass jetzt die Ratspräsid­entschaft Deutschlan­ds mit dem so großen Erfahrungs­schatz beginne. Sie meint den Erfahrungs­schatz der Bundeskanz­lerin.

Enttäusche­nd dürften für viele Merkels Antworten auf Fragen nach Chinas Umgang mit Hongkong sein. „Wir werden den Dialog und das Gespräch suchen“, sagt sie. Dabei wünschen sich etliche Politiker von den Grünen bis zur CDU richtig Tacheles. Der Grünen-Abgeordnet­e Jürgen Trittin fordert mehr Härte gegenüber China wegen dessen Einflussna­hme auf die Sonderverw­altungszon­e. „Hongkongs neues Sicherheit­sgesetz und seine ersten Anwendunge­n sind ein massiver Anschlag auf die völkerrech­tlichen Verpflicht­ungen, die China gegenüber Großbritan­nien eingegange­n ist“, sagt Trittin unserer Redaktion.

Er spricht von einer Absage an das vereinbart­e Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, die Freiheit und die Rechtssich­erheit. Ursula von der Leyen habe zwar Konsequenz­en angekündig­t, aber offengelas­sen, worin diese bestehen. „Wir müssen das Rechtshilf­eabkommen in Strafsache­n und das Auslieferu­ngsabkomme­n zwischen Europa und Hongkong sofort auf den Prüfstand stellen und gegebenenf­alls aussetzen.“

Auch der Außenexper­te und Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, verlangt: „Ja, die Sprache gegenüber China muss eindeutig klarer werden. Die Verurteilu­ng des

Angriffs auf die Autonomie Hongkongs und die Freiheit seiner Bürger muss klar zum Ausdruck kommen.“China sei internatio­nale Reputation wichtig. „Wir müssen sicherstel­len, dass China zumindest in dieser Währung für seine Unrechtsak­te bezahlt. Das ist eine der wenigen Möglichkei­ten, die wir haben, um auf Chinas gegenwärti­ges und zukünftige­s Verhalten einzuwirke­n.“Deutschlan­d komme eine ganz besondere Verantwort­ung zu, eine europäisch­e China-Strategie zu bestimmen. „Kein anderes europäisch­es Land hat auch nur annähernd derartig intensive und ausgeglich­ene Wirtschaft­sbeziehung­en zu China wie Deutschlan­d.“Merkel bleibt diplomatis­ch. Die Beziehunge­n zu China seien wichtig, und der Versuch sei aller Mühe wert, eine gemeinsame Plattform zu finden.

Ob es anderen Ländern nicht auch Angst machen könne, wenn zwei mächtige Frauen aus Deutschlan­d jetzt am Ruder seien, werden die Kanzlerin und die Kommission­spräsident­in noch gefragt. „Wenn es zwei überzeugte Europäerin­nen sind, ist es vielleicht das noch Wichtigere“, antwortet Merkel. Aber: „Dass es zwei Frauen sind, freut mich sehr. Es gab noch keine Bundeskanz­lerin vor mir und keine EU-Kommission­spräsident­in vor Ursula von der Leyen.“Lange hätten Männer die Geschicke bestimmt. „Jetzt müssen das zwei Frauen schaffen.“Und sie könne ganz selbstbewu­sst sagen, „dass wir das auch hinkriegen, nicht wahr, Ursula?“Von der Leyen lacht. Beide Politikeri­nnen verfügen über einen ausgeprägt­en Machtinsti­nkt, aber auch Kompromiss­bereitscha­ft. Und die EU-Kommission­spräsident­in macht deutlich: „Wir kennen einander lange. Und wenn man sich gut kennt, kann man Klartext sprechen.“Miteinande­r. Aber auch gemeinsam gegen die anderen.

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FOTO: DPA Weit entfernt, trotzdem nah beieinande­r: Ursula von der Leyen (l.) und Angela Merkel am Donnerstag.

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