„Wir kriegen das hin, nicht wahr, Ursula?“
Die Kanzlerin und die EU-Kommissionschefin skizzieren ihre Pläne für Europa. Sechs Monate entscheiden über Scherben oder Denkmal.
BERLIN/BRÜSSEL Wären es zwei Männer, die für ein halbes Jahr die mächtigste Doppelspitze in Europa bilden, wäre das keine Erwähnung wert. Wenn beide aus ein und demselben Land stammen, ist das schon interessanter. Aber wenn es zwei starke Frauen aus Deutschland sind, die obendrein schon lange gemeinsam Politik machen, führt das zu neuen Wortschöpfungen. „Europa ist eine Frau“, hatte Ex-Ratspräsident Donald Tusk bei der Wahl von Ursula von der Leyen (CDU) zur EU-Kommissionspräsidentin im vorigen Jahr gesagt. Am Mittwoch übernahm Deutschland unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die EU-Ratspräsidentschaft. Also titelte die „Zeit“: „Europa ist zwei Frauen“. Am Donnerstag erklärten die beiden Politikerinnen ihre Pläne für dieses Europa in der Corona-Krise, der Klimakrise, der drohenden Wirtschaftskrise und der Suche nach einem souveränen und selbstbewussten Platz zwischen den Fronten der USA, Russlands und Chinas. Je nachdem, was und wie es ihnen gelingt, kann es einen Scherbenhaufen geben – oder sie setzen sich ein Denkmal.
Merkel wird auch bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit von der Leyen, die eine in Berlin, die andere zugeschaltet aus Brüssel, nicht müde zu mahnen, wie „wuchtig“und schwer die Corona-Krise sei, und dass der Zusammenhalt in Europa auf die Probe gestellt werde. Es geht um gigantische Finanzsummen, die Klimaziele, die Digitalisierung, die Migration, das Abkommen mit Großbritannien nach dem Brexit. Als erstes nehmen sich Merkel und von der Leyen den siebenjährigen Finanzrahmen von 1,1 Billionen Euro und den Corona-Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro vor. Von der Leyen kündigt ein Spitzentreffen zu dem Hilfsprogramm am 8. Juli in Brüssel an. Zehn Tage später soll es möglichst von den Staats- und Regierungschefs bei einem realen und nicht nur digitalen Gipfel unter Dach und Fach gebracht werden. Die beiden Frauen mahnen: „Jeder Tag zählt.“
Und mit jedem verlorenen Tag verlören Menschen ihre Arbeitsplätze, macht von der Leyen deutlich. Europa könne sich aber glücklich schätzen, sagt sie, dass jetzt die Ratspräsidentschaft Deutschlands mit dem so großen Erfahrungsschatz beginne. Sie meint den Erfahrungsschatz der Bundeskanzlerin.
Enttäuschend dürften für viele Merkels Antworten auf Fragen nach Chinas Umgang mit Hongkong sein. „Wir werden den Dialog und das Gespräch suchen“, sagt sie. Dabei wünschen sich etliche Politiker von den Grünen bis zur CDU richtig Tacheles. Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Trittin fordert mehr Härte gegenüber China wegen dessen Einflussnahme auf die Sonderverwaltungszone. „Hongkongs neues Sicherheitsgesetz und seine ersten Anwendungen sind ein massiver Anschlag auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die China gegenüber Großbritannien eingegangen ist“, sagt Trittin unserer Redaktion.
Er spricht von einer Absage an das vereinbarte Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, die Freiheit und die Rechtssicherheit. Ursula von der Leyen habe zwar Konsequenzen angekündigt, aber offengelassen, worin diese bestehen. „Wir müssen das Rechtshilfeabkommen in Strafsachen und das Auslieferungsabkommen zwischen Europa und Hongkong sofort auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls aussetzen.“
Auch der Außenexperte und Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, verlangt: „Ja, die Sprache gegenüber China muss eindeutig klarer werden. Die Verurteilung des
Angriffs auf die Autonomie Hongkongs und die Freiheit seiner Bürger muss klar zum Ausdruck kommen.“China sei internationale Reputation wichtig. „Wir müssen sicherstellen, dass China zumindest in dieser Währung für seine Unrechtsakte bezahlt. Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, die wir haben, um auf Chinas gegenwärtiges und zukünftiges Verhalten einzuwirken.“Deutschland komme eine ganz besondere Verantwortung zu, eine europäische China-Strategie zu bestimmen. „Kein anderes europäisches Land hat auch nur annähernd derartig intensive und ausgeglichene Wirtschaftsbeziehungen zu China wie Deutschland.“Merkel bleibt diplomatisch. Die Beziehungen zu China seien wichtig, und der Versuch sei aller Mühe wert, eine gemeinsame Plattform zu finden.
Ob es anderen Ländern nicht auch Angst machen könne, wenn zwei mächtige Frauen aus Deutschland jetzt am Ruder seien, werden die Kanzlerin und die Kommissionspräsidentin noch gefragt. „Wenn es zwei überzeugte Europäerinnen sind, ist es vielleicht das noch Wichtigere“, antwortet Merkel. Aber: „Dass es zwei Frauen sind, freut mich sehr. Es gab noch keine Bundeskanzlerin vor mir und keine EU-Kommissionspräsidentin vor Ursula von der Leyen.“Lange hätten Männer die Geschicke bestimmt. „Jetzt müssen das zwei Frauen schaffen.“Und sie könne ganz selbstbewusst sagen, „dass wir das auch hinkriegen, nicht wahr, Ursula?“Von der Leyen lacht. Beide Politikerinnen verfügen über einen ausgeprägten Machtinstinkt, aber auch Kompromissbereitschaft. Und die EU-Kommissionspräsidentin macht deutlich: „Wir kennen einander lange. Und wenn man sich gut kennt, kann man Klartext sprechen.“Miteinander. Aber auch gemeinsam gegen die anderen.