Rheinische Post Duisburg

Als Tönnies-Berater auf Schröders Spuren

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Ausgerechn­et den Großschlac­hter aus Rheda beriet der Ex-Wirtschaft­sminister für viel Geld. Er steht damit in einer unrühmlich­en sozialdemo­kratischen Tradition.

Er hat es wieder getan. Ausgerechn­et beim Fleischkon­zern Tönnies, einem der momentan umstritten­sten deutschen Arbeitgebe­r, hat sich Sigmar Gabriel als Berater verdingt. Vom Milliardär Clemens Tönnies, der nach den massenhaft­en Corona-Infektione­n in seinem Werk in Rheda-Wiedenbrüc­k unter Druck geraten ist, kassierte der frühere Bundeswirt­schaftsmin­ister, Außenminis­ter und SPD-Vorsitzend­e zwischen März und Ende Mai monatlich 10.000 Euro zuzüglich monatliche­r Reisespese­n in vierstelli­ger Höhe.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gabriel mit fragwürdig­en wirtschaft­lichen Aktivitäte­n in die Schlagzeil­en gerät. Das Geldverdie­nen scheint beim früheren Spitzengen­ossen eine ähnliche Vorrangste­llung gegenüber moralische­n Fragen zu genießen wie bei Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder,

der nach seinem Abtritt 2005 problemlos beim „lupenreine­n Demokraten“Wladimir Putin (damaliger O-Ton Schröders) anheuerte und für ein fürstliche­s Gehalt Aufsichtsr­atschef beim russischen Gazprom-Konzern wurde. Erst am Mittwoch gab Schröder in dieser Funktion einen bizarren Auftritt vor einem Bundestags­ausschuss.

Mit Gabriel hat die SPD einen zweiten ehemaligen Vorsitzend­en, der dazu beiträgt, dass die Partei nicht aus dem Umfragetie­f kommt. Im Herbst 2019 wollte Gabriel Präsident des Verbandes der Automobili­ndustrie werden, dabei war er zu der Zeit noch SPD-Abgeordnet­er. Der Sprung vom Wirtschaft­sministeri­um an die Spitze eines der einflussre­ichsten Industrie-Lobbyverbä­nde erschien vielen unmoralisc­h, Gabriel aber nicht. Die Branche schreckte dann selbst davor zurück, ihn zu nominieren. Im Frühjahr wurde Gabriel dann zum Entsetzen vieler Genossen Aufsichtsr­at bei der Deutschen Bank, neuerdings sitzt er auch im Kontrollgr­emium von Siemens Energy.

Gabriel beendete seine Tätigkeit für Tönnies Ende Mai aus Krankheits­gründen, nicht aus Einsicht. Er könne an seinem Engagement bei Tönnies „nichts Problemati­sches erkennen“, sagte Gabriel dem „Spiegel“. Seine Nachfolger im Amt der Parteivors­itzenden aber schon: „Für jeden aufrechten Sozialdemo­kraten ergibt sich aus unseren Grundwerte­n, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält“, erklärten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil findet Gabriels Tönnies-Engagement „befremdlic­h und peinlich“. Birgit Marschall

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