„Es ist höchste Zeit, den Hambacher Forst zu verlassen“
Der Wirtschaftsminister verteidigt die Milliarden-Entschädigungen für die Stromkonzerne. NRW trage die größten Lasten des Kohleausstiegs.
DÜSSELDORF Jahrelang wurde gerungen, heute beschließt der Bundestag den Ausstieg aus der Kohleverstromung.
Ist der Ausstieg eine gute Nachricht für NRW?
PINKWART Der Kohleausstieg ist eine große Herausforderung für Nordrhein-Westfalen. Schließlich geht das rheinische Revier voran, RWE und die Region tragen in den ersten Jahren die Hauptlast der Abschaltungen. Zugleich ist es gut gelungen, die Empfehlungen der Kohle-Kommission umzusetzen und die Interessen von Klimapolitik, Wirtschaft und Regionen zu berücksichtigen.
Die Steinkohle-Verstromer haben nach langem Wehklagen einen dicken Nachschlag erhalten. War der nötig?
PINKWART Es ist gut, dass wir für junge Steinkohlekraftwerke wie das von Trianel noch einiges erreichen konnten. Nur in Ausnahmefällen darf die Politik bereits vor 2031 ohne Entschädigung abschalten, und die Versorger können noch bis 2027 ihre Blöcke gegen Entschädigung zur Abschaltung anbieten. Das ist soziale Marktwirtschaft. Zumal viele Kraftwerke einst auf Wunsch der Politik gebaut wurden, als diese eine Versorgungslücke fürchtete.
Man darf Investoren nicht verschrecken?
PINKWART Genau. Stadtwerke werden künftig nur dann Gaskraftwerke bauen, wenn sie jetzt nicht für Investitionen der Vergangenheit bestraft werden. Mehr noch: Wir müssen regelmäßig prüfen, ob die Anreize zur Umrüstung von Kohleauf Gaskraftwerke hinreichend groß sind. Denn wir werden noch viele neue Gaskraftwerke brauchen, um die Versorgung mit Strom und Wärme zu sichern.
Die Steag hat aber, abgesehen von Walsum, vorwiegend alte Möhrchen. Warum soll der Steuerzahler für deren Abschaltung zahlen? PINKWART Welches Steinkohlekraftwerk wann vom Netz geht, wird bis 2027 über Ausschreibungen ermittelt. Die Betreiber bieten einen Betrag an, für den sie ihre Anlage zu einem festgelegten Datum stilllegen wollen. Kraftwerke mit dem geringsten Gebot bekommen den Zuschlag. Das ist ein durchaus marktwirtschaftliches Verfahren.
Den größeren Beitrag fürs Klima leistet die Braunkohle. RWE bekommt für den Ausstieg 2,6 Milliarden Euro plus Sozialplankosten. Ist das nicht auch ein bisschen viel? PINKWART Das ist angemessen. Es geht ja nicht nur um entgangene Wertschöpfung, sondern um Lasten, die mit dem Ausstieg verbunden sind. Im Rheinischen Revier verlieren Tausende ihren Arbeitsplatz, das federt der Staat mit dem Anpassungsgeld ab. Zudem muss RWE die Rekultivierung der Tagebaue beschleunigen und eine neue Braunkohle-Planung auflegen. Übrigens: Wenn der Bund das nicht übernehmen würde, blieben die Kosten allein beim Land hängen.
Was ist mit dem Osten? Die Leag bekommt viel Geld und darf noch lange an der Braunkohle festhalten. Ein schlechter Deal für NRW? PINKWART In der Kommission für
Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung war man sich einig, dass für die östlichen Länder die Verluste Tausender Arbeitsplätze schwerer zu verkraften ist als für den Westen. Deshalb hat sich Nordrhein-Westfalen bereit erklärt, voranzugehen und in den ersten Jahren die größten Lasten des Ausstiegs zu tragen.
Trotz des Kohleausstiegs bis 2038 wollen die Grünen am Freitag dagegen stimmen. Verstehen Sie das? PINKWART Das verstehe ich überhaupt nicht. Man kann an Details Kritik üben, doch Deutschland steigt, wie von der Gesellschaft gewünscht, aus der Kohleverstromung aus. Zugleich stellen wir die Stromversorgung sicher und halten die Strompreise bezahlbar. Das ist für die energieintensive Industrie wie Aluhütten und Stahlhersteller lebenswichtig. Und das Ganze schaffen wir, ohne die Arbeitnehmer ins Bergfreie fallen zu lassen oder die
Regionen zu überfordern. 40 Milliarden Euro erhalten die Regionen für den Neubeginn nach dem Ende der Kohleverstromung. Union und SPD haben vorbildlich die Empfehlung der Kohlekommission umgesetzt – und das sage ich als Liberaler.
Trotzdem gehen die teilweise auch gewalttätigen Proteste im Hambacher Forst weiter. Warum setzt das Land hier das Recht nicht durch? PINKWART Ich hoffe, dass durch den Kohleausstieg auch der Konflikt um den Hambacher Forst endlich befriedet wird. Der Forst bleibt, das ist verbindlich. Die Klimaschützer haben ihr Ziel erreicht. Nun ist es höchste Zeit, den Forst zu verlassen. Wer jetzt noch bleibt, dem geht es offenbar um den Protest an sich. Hier ist der Staat in der Verantwortung.