„Manchen fehlt einfach die Gier nach Titeln“
Der ehemalige BVB-Torwart gehört zur letzten Spielergeneration, die nicht in Diensten der Bayern stand und trotzdem Meister wurde.
DORTMUND Roman Weidenfeller hat 16 Jahre für Borussia Dortmund gespielt und absolvierte in dieser Zeit als Torwart 349 Partien. Er wurde zwei Mal Deutscher Meister, gewann zwei Mal den DFB-Pokal und wurde mit der deutschen Nationalmannschaft 2014 Weltmeister – allerdings ohne Einsatz. Auch nach seiner Karriere ist er den Westfalen treu geblieben, er lebt mit seiner Partnerin und dem gemeinsamen Sohn in Dortmund.
Der FC Bayern München und der FC Liverpool „have a grandios Saison gespielt“, oder, Herr Weidenfeller?
WEIDENFELLER (lacht) Sie haben ein gutes Händchen dafür, wie man sich gleich sympathisch macht.
Worüber wollen wir zuerst reden? WEIDENFELLER Dann über 2011.
In dem Jahr sind Sie mit Borussia Dortmund Meister geworden und während der Siegesfeier haben Sie ein legendäres Interview auf Englisch gegeben.
WEIDENFELLER Richtig. Unser damaliger Pressesprecher hat mich aus dem Feier-Pulk gezogen und gesagt, du Roman, mach da noch das Interview. Und dann stand da der Reporter von Al Jazeera, sprach meinen Namen komisch aus und stellte mir auf Englisch Fragen. Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust auf das Gespräch, war nach dem Spiel komplett woanders, dachte auch nicht, dass es überhaupt ausgestrahlt wird und hatte leicht einen sitzen von den ersten Kaltgetränken. Weil ich aber total gute Laune hatte, habe ich einfach drauf los erzählt. Und so ist dann der Satz entstanden: „I think we have a grandios Saison gespielt.“
Können Sie mittlerweile drüber lachen?
WEIDENFELLER Absolut. Aber ich gebe zu, am Anfang hat mich das gewurmt. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass meine Arbeitskollegen die Vorlage dankend angenommen haben. Eigentlich habe ich mich über mich geärgert. Aber nach einer Weile habe ich damit meinen Frieden gefunden und auch an meinen Englischkenntnissen gearbeitet. Du entwickelst dich als Mensch weiter. Das gehört alles dazu und es ist okay so. Ich habe das nicht auf mir sitzen lassen und an mir gearbeitet. Heute würde mir so ein Interview nicht mehr so entgleiten.
Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie zur letzten Spielergeneration gehören, die nicht in Diensten des FC Bayern stand und trotzdem den Titel gewonnen hat?
WEIDENFELLER Mit dem Bewusstsein stehe ich nicht jeden Morgen auf, aber Sie haben vollkommen Recht.
Es gibt Kinder, die sind acht Jahre alt und haben noch nie einen anderen Meister als den FC Bayern erlebt.
WEIDENFELLER Wenn man sich das so vor Augen führt, ist das schon wirklich verrückt. Mein Sohn ist vier Jahre alt. Aber es spiegelt auch die Realitäten wider. Man muss anerkennen, dass der FC Bayern einfach einen Schritt voraus ist. Auch in dieser Saison waren sie wieder diesen Tick besser. Die Bundesliga muss nur aufpassen, in der Meisterfrage nicht zu langweilig zu werden, aber Mats Hummels hat ja schon angekündigt, nächste Saison einen Platz nach oben klettern zu wollen. Sehr gerne.
Was fehlt denn der Konkurrenz? WEIDENFELLER Da gibt es viele Faktoren. Es geht um die wirtschaftliche Seite, die Breite des Kaders und schließlich die Qualität. Und die vielleicht wichtigste Sache.
Trommelwirbel.
WEIDENFELLER Die Gier auf Erfolg. Das fehlt manchen einfach. Die Jungs vom FCB wollen alle unbedingt den Titel und leben es in jedem einzelnen Spiel. Besonders in den Topspielen sind es die speziellen Spielertypen, die alles diesem Ziel unterordnen und auf den Punkt bereit sind. So etwas kann man nur bedingt lernen.
Lucien Favre hat den BVB zu zwei Vize-Meisterschaften geführt – und steht massiv in der Kritik. Wird er fair beurteilt?
WEIDENFELLER Was er geleistet hat, ist sicher gut. In zwei Jahren wurde er zwei mal Vizemeister, aber natürlich wünschen sich die Menschen im Revier, speziell in Dortmund, sehnlich den Titel. Er ist fachlich ein herausragender Trainer. Entwickelt junge Spieler immer weiter. Da man in Dortmund jeden Trainer mit Jürgen Klopp vergleicht, hat jeder Trainer einen schweren Stand. Favre ist allerdings kein Entertainer, sondern eher ein Fußball-Romantiker. Einen Jürgen Klopp gibt es nur einmal, das muss man einfach akzeptieren. Was Favre sicherlich Kredit gekostet hat: Im vergangenen Jahr dachten alle, Dortmund würde sicher Meister. Es ist anders gekommen und das hat für große Enttäuschung gesorgt. Ich denke schon, dass er die Fähigkeit besitzt, dieses Team weiterzuentwickeln.
Warum ist Jürgen Klopp so erfolgreich?
WEIDENFELLER Klopp ist ein fantastischer Mensch, mit dem du ernste Gesprächen führen, aber auch flachsen kannst. Er ist auf den Punkt bei der Sache, wenn es ums Training oder ein Spiel geht. Er hat dieses gewisse Etwas, etwas Außergewöhnliches. In einer Saison können so viele Dinge passieren, es gibt verschiedene Interessen. Als Trainer musst du jede noch so kleine Strömung spüren. Du musst Dinge laufen lassen, aber auch eingreifen, um die Kontrolle zu behalten. Und du musst die Überzeugung ausstrahlen, dass du selbst es umsetzen kannst, was du sagst.
Was für eine Liebeserklärung. WEIDENFELLER Oder?
Haben Sie Klopp schon persönlich zum Titel mit Liverpool gratuliert? WEIDENFELLER Ja, klar, wir haben uns direkt morgens geschrieben.
Der Fußball hat durch die Corona-Pandemie viel Kredit verspielt und versichert, künftig mit mehr Demut ans Tagwerk zu gehen. Wie soll das gehen bei den immensen Summen?
WEIDENFELLER Ich kann mir nicht vorstellen, dass alles auf null gestellt wird. Sicherlich ist es in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Entfremdung gekommen. Die Gehälter sind immer mehr explodiert. Durch die Corona-Krise wird vielleicht der Fußballmarkt einbrechen, zumindest in der Breite. Die gigantischen Ablösesummen wird es in diesem Sommer vermutlich nicht geben. Man wird sehen, wie schnell sich wieder alles erholen wird. Und welche Schlüsse gezogen werden.
Apropos erholen. Beim 1. FC Kaiserslautern
haben Sie die ersten Gehversuche im Profifußball gemacht. Wie hart ist es mitanzusehen, wie der Verein mittlerweile abgestürzt ist?
WEIDENFELLER Das ist tieftraurig. Ich war 15, als ich zum FCK gekommen bin. Damals habe ich die andere Seite erlebt. Als der Verein noch in der Champions League gespielt hat. Das muss man sich mal vorstellen. Da waren großartige Spieler, mit denen ich starten durfte. Aber im Fußball kann es schnell nach unten gehen. Das wird nicht einfach für Lautern, sich wieder zu berappeln.
Die Klassiker-Frage zum Ende – sehen Sie sich eher im Trainerbereich oder Management?
WEIDENFELLER Eher im Management. Ich arbeite ja derzeit als Markenbotschafter für den BVB und bin dort im Marketingbereich angedockt. Mir ist klar, dass ich als Ex-Spieler nicht automatisch ganz oben einsteige. Ich bin bereit zu lernen, und es macht Spaß, sich weiterzubilden. Nebenbei bin ich ja auch noch TV-Experte bei RTL, repräsentiere für Puma und bin Familienvater.