Sozialverbände kritisieren das Jugendamt
Die Sorge gilt Familien, die in Corona-Zeiten alleine nicht klar kommen. Die Behörden seien nicht präsent genug.
DÜSSELDORF Die Düsseldorfer Sozialverbände sorgen sich um das Wohl von Kindern in Familien, die bei der Erziehung auf Hilfe von außen angewiesen sind. Grund ist ein durch die Corona-Krise ausgelöster Bearbeitungsstau im Jugendamt. So müssen die Mitarbeiter des Bezirkssozialdienstes (BSD) viele persönliche Gespräche und Begegnungen mit Eltern, Kindern und Jugendlichen nachholen. 700 dieser Gespräche seien im Bereich der ambulanten Hilfen noch zu führen, 600 Hilfepläne seien noch offen, hatte Jugendamtsleiter Johannes Horn bereits Anfang Juni im Jugendhilfe-Ausschuss mitgeteilt.
Viel getan hat sich nach Einschätzung der Wohlfahrtsverbände seitdem nicht. „Uns bekümmert es, dass die Behörden in diesem Bereich nicht im Ansatz schon wieder so präsent sind, wie wir es für geboten halten“, sagt Henric Peeters. Der Caritasdirektor ist zudem Sprecher der Wohlfahrtsverbände, die ihre Sozialarbeiter nach einem Auftrag aus dem Jugendamt in die Familien schicken. Auch Horn stellt auf Anfrage fest, dass von den Anfang Juni mitgeteilten Fällen die meisten noch zu erledigen sind. Der Amtsleiter warnt aber vor falschen Schlussfolgerungen. „Alle Fälle, bei denen das Kindeswohl auch nur im Ansatz gefährdet sein könnte, werden mit der gleichen Sorgfalt und Eile behandelt wie vor der Krise.“So könnten Sozialarbeiter auch mal ohne Abschluss oder Verlängerung eines Hilfeplans vorerst weitermachen. „Die Formalien werden dann später erledigt.“
Die Verbände stellt das nicht zufrieden. Denn deren Fachkräfte können Familien, die alleine nicht klar kommen, erst dann helfen, wenn das Jugendamt den Bedarf konkret ermittelt und Aufträge erteilt hat. „Wir hatten im Mai 129 Fälle in Arbeit, das ist weniger als im vergleichbaren Zeitraum der Vorjahre“, sagt Diakonie-Vorstand Rudolf Brune. Und dieser Befund passe einfach nicht zu einer Corona-Krise, „in der wir davon ausgehen müssen, dass sich familiäre Konflikte und Überforderung eher verschärft haben“. Seine Sorge gilt den kommenden Monaten. „Man schiebt eine Bugwelle vor sich her, die am Ende so viel Energie binden könnte, dass die Aufmerksamkeit für neue Problemlagen fehlt.“Dass kritische Fälle weiter im Focus stehen, bestreitet Brune nicht. „Aber uns sind Familien, die wir dadurch entlasten, dass wir mit den Kindern mal anderthalb Stunden in den Wald gehen, genauso wichtig.“
Die Verbände stoßen sich insbesondere an der weiter bestehenden Home-Office-Regelung im Bezirkssozialdienst. „Wenn uns das Wohl der Heranwachsenden wichtig ist, muss es in diesem sensiblen Bereich wieder eine möglichst vollständige Präsenz geben“, sagt Peeters. Sein Eindruck sei aber, dass die Heimarbeit in erheblichem Umfang fortgesetzt werde. „Und dann folgt gleich darauf die Urlaubszeit“, fügt er an. Horn widerspricht dieser Kritik und nennt aktuelle Zahlen. So arbeiteten derzeit 37 von rund 120 Mitarbeitern des BSD von zuhause aus. In der Hochphase der Pandemie seien es um die 70 gewesen. Am aktuellen Status will er festhalten. Die Pandemie sei nicht vorbei, die konkrete Risikolage schwer einschätzbar. „Ich brauche für den Fall einer Corona-Infektion in diesem Team eine eiserne Reserve, die dann sofort einsetzbar ist und nicht in Quarantäne muss“, meint Horn. Würde er das außer Acht lassen, „laufen wir Gefahr, plötzlich keinen funktionsfähigen Kinderschutz-Dienst mehr zu haben“.
Andreas-Paul Stieber, CDU-Ratsherr mit Schwerpunkten in der Gesundheitsund Jugendpolitik, spricht von einer drohenden „gesellschaftlichen Zeitbombe“und stellt sich hinter die Kritik der Sozialverbände. „Schnellstmöglich müssen wir das wieder ans Laufen bringen, wenn kein Schaden entstehen soll.“Den einzelnen Mitarbeitern will er aber keinen Vorwurf machen.