Nötigung für den guten Zweck
„Fridays for Future“gilt als Favorit auf den Friedensnobelpreis, in Berlin testet eine radikale Umweltgruppe die Grenzen des zivilen Ungehorsams. Beide setzen auf Regelbrüche. Die sind legitim – unter Bedingungen.
Wenn es nach den Wettbüros ginge, kann es nur einen Friedensnobelpreisträger geben: die Bewegung „Fridays for Future“mit Greta Thunberg. Doch egal wie das norwegische Nobelkomitee an diesem Freitag entscheidet – die jungen Umweltaktivisten haben mit ihrem spektakulären Protest neue Maßstäbe gesetzt. Die Welt hört ihnen zu, die Jugendliche aus Stockholm durfte vor den Vereinten Nationen zu den Mächtigen des Globus sprechen.
„Fridays for Future“bediente sich eines denkbar einfachen Mittels. Das Beispiel gab Greta Thunberg. Sie meldete sich jeden Freitag unerlaubt vom Unterricht ab und protestierte mit einem Schild in der Hand („Schulstreik für das Klima“) vor dem Parlament in Stockholm. Millionen von Schülerinnen und Schülern weltweit machten es ihr nach. Besonderen Anklang fanden ihre Aktionen in Deutschland, wo Thunberg in der Studentin Luisa Neubauer auf eine kongeniale Partnerin traf.
Ein Stück ziviler Ungehorsam? Für die frühere Aktivistin Elke Steven ist der Begriff nicht angebracht: „Eine Umweltgruppe wie ,Fridays for Future’ bleibt generell bei den angepassten legitimen Formen. Das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht soll lediglich die Aufmerksamkeit steigern. Das ist kein Fall von zivilem Ungehorsam.“Die Soziologin hält den Regelverstoß für legitim, um auf das Klimaproblem aufmerksam zu machen, aber auch schärfere Formen, wenn allgemeingültige Ziele und elementare Herausforderungen für die Menschheit im Mittelpunkt stehen und keine andere Abhilfe möglich ist.
Zu solchen Mitteln greift die radikalere Umweltbewegung „Extinction Rebellion“(„Aufstand gegen das Aussterben“), die derzeit mit Blockadeaktionen in der Bundeshauptstadt von sich reden macht. In Berlin überrascht die kulante
Antwort der Behörden auf die massiven Störungen. Die Gruppe, die auf Artensterben und Klimakatastrophe aufmerksam machen will, hat die Eingänge zweier Bundesministerien blockiert. Dabei klebten sich Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Verkehrsressort am Boden fest und mussten von der Polizei gelöst werden. Am Mittwochabend lösten die Sicherheitsbeamten insgesamt sieben Blockaden im Regierungsviertel auf. Mit Sitzstreiks vor dem Reichstag wollte die Umweltorganisation erreichen, dass die Abgeordneten das Parlament nicht im Auto verlassen konnten.
Bis vor einiger Zeit galt so etwas noch als Nötigung im Sinne von Paragraf 240 Strafgesetzbuch. Die berühmtesten Beispiele waren die Blockaden des geplanten Raketen-Standorts Mutlangen und die Ankettungen auf den Gleisen vor dem Zwischenlager Gorleben. Die Sanktionen reichten von saftigen Geldstrafen bis zu dreijährigem Freiheitsentzug. Doch das Bundesverfassungsgericht verwarf diese Rechtsauffassung 1995 und verwies in bestimmten Fällen auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit.
Offenbar folgt die Berliner Polizei diesem Grundsatz und nimmt anders als früher keine Personen in Gewahrsam. Umgekehrt achtet „Extinction Rebellion“penibel darauf, dass es nicht zu Gewalt kommt. Auch Sachbeschädigung, von Linken einst als „Gewalt gegen Sachen“legitimiert, ist tabu. „Die Gewaltfreiheit ist ein Grundwert unserer Bewegung“, heißt es im neunten der zehn Prinzipien der Organisation.
Ihre Aktionen sehen die Blockierer trotz allem eher als symbolischen Protest. „Das Problem ist, dass die Politik im Moment genau das Gegenteil von dem macht, was wir brauchen“, sagt Christian Schneider, der in Hamburg für die Gruppe aktiv ist und diese Woche nach Berlin gekommen ist. Ziviler Ungehorsam sei erlaubt, weil die Politik nicht oder zu langsam reagiere, um Klimawandel und Artensterben zu stoppen.
Damit geht „Extinction Rebellion“aber schon ziemlich weit. Denn in unserer Rechtsordnung entscheidet das Parlament über die Geschwindigkeit von Maßnahmen – auch bei Menschheitsproblemen wie der Erderwärmung. Es gilt das Prinzip von Ausgleich und Kompromiss. Während die Bundesrepublik 2050 klimaneutral werden will, fordert die Umweltgruppe als Zieljahr schon 2025, was zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen würde.
Erlaubt also der Verweis auf ein knapperes Zeitfenster die Überschreitung von Gesetzen? Die Soziologin Steven grenzt ein: „Entscheidend für eine Bewegung ist, dass sie Rückhalt in der Bevölkerung hat und die Ziele breit geteilt werden. Nur dann sind Formen des zivilen Ungehorsams angemessen.“„Fridays for Future“genießt offenbar größere öffentliche Unterstützung als „Extinction Rebellion“. Bei deren Demonstrationen versammeln sich einige Tausend, bei den Blockadeaktionen machten gerade einmal 350 Aktivisten mit. Die Proteste von „Fridays for Future“mobilisierten Hunderttausende.
„Extinction Rebellion“verlangt den sofortigen Stopp des Aus- und Neubaus von allen Flughäfen, Autobahnen und Bundesstraßen. Ein Vorschlag, der heute auch die Grünen ins Schwitzen bringt. Auch nach den Vordenkern des zivilen Protests, dem amerikanischen Autor Henry David Thoreau, der deutsch-amerikanischen Philosophin Hannah Arendt und dem Frankfurter Soziologen Jürgen Habermas, muss ziviler Ungehorsam sorgfältig moralisch begründet sein. Außerdem darf es keine andere Abhilfe geben. Wenn Politik aber nach dem deutschen Soziologen Max Weber „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß“ist, sind vielleicht doch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
Immerhin sind die Aktivisten bereit, die Folgen für ihr Handeln zu tragen und Bußgelder wegen Nötigung auf sich zu nehmen. Auch die Rechtsordnung der Bundesrepublik stellt „Extinction Rebellion“nicht grundsätzlich infrage. Das gibt dem Protest bei aller Kritik zumindest eine sympathische Note.
„Die Politik macht im Moment das Gegenteil von dem, was wir brauchen“Christian Schneider „Extinction Rebellion“