Riese im Ruhestand
Wie es Dirk Nowitzki eineinhalb Jahre nach seinem Karriereende als Rentner ergeht, wie er über LeBron James und Luka Doncic denkt – und was seiner Meinung nach den Dallas Mavericks zum Titelkandidaten fehlt.
DALLAS Man muss sich Dirk Nowitzki als einen glücklichen Menschen vorstellen. „Ich komme gut damit zurecht, in Rente zu sein“, sagt der 42-Jährige im Interview mit dem Streamingdienst Dazn. Zuvor hatte er befürchtet, dass er das Profisportler-Leben „ein bisschen mehr vermissen werde“. Der finanzsorgenfreie Frührentner verbringt viel Zeit mit seiner Familie in Dallas, bis zum Ausbruch des Corona-Virus hatten sie gemeinsam auch diverse Fernreisen nachgeholt. Ganz besonders genießt der Würzburger nach einem Vierteljahrhundert Profisport das Ende der Fremdbestimmung über seine Ernährung: „Ich muss keine Diäten mehr machen und kann hier und da einen Wein genießen.“Er ist jetzt nur noch Fan.
Am 10. April 2019 hatte Nowitzki als einer der besten europäischen Basketballer aller Zeiten seine Karriere beendet – nach 21 Spielzeiten in der besten Liga des Planeten. Nur eine Handvoll Spieler hat das je geschafft, und Nowitzki ist der einzige, der dabei einer einzigen Mannschaft treu blieb.
Wohl auch diese besondere Verbindung zu den Dallas Mavericks hielt ihn davon ab, neulich eine sehr spezielle Anfrage anzunehmen: Sein alter Freund und Ex-Mitspieler Steve Nash hatte ihn gebeten, als Trainer-Duo die Brooklyn Nets zu übernehmen. „Ein bisschen gekribbelt“habe es bei Nashs Anfrage schon, gibt Nowitzki zu. „Aber das Timing stimmte noch überhaupt nicht“, zumal er auch beim Unterrichten seiner Kinder kräftig mithelfe. „Sie sind ja zum Glück noch nicht 14, 15, und ich muss ihnen nicht auf diesem Level Mathe und Physik erklären“, führte er neulich grinsend aus. Das spielerische Lehren und Erziehen seiner Tochter Malaika (7) sowie der Söhne Max (5) und Morris (3) aber „kriege ich noch einigermaßen hin“. Seine Kinder hätten jahrelang viel zurückstecken müssen; „Papa war viel unterwegs; immer weg.“Umso mehr stünden sie jetzt im Vordergrund.
Die derzeit laufende Finalserie der NBA verfolgt Nowitzki mit besonderen Emotionen. Denn auf der einen Seite steht mit den Miami Heat die Mannschaft, die Nowitzkis Gegner bei seinen beiden eigenen Final-Auftritten war. 2006 gab Dallas die Finalserie nach einer hohen Führung noch bitter ab; 2011 dann war Dallas‘ Triumph über das Team um Superstar LeBron James umso süßer. Heute trägt James die Farben der L.A. Lakers – und führt derzeit mit 3:1 Spielen gegen seine frühere Mannschaft. Das fünfte Duell am Samstagmorgen (ab 3 Uhr bei Dazn) könnte das Letzte sein. Dann hätte James bei seiner zehnten Finalteilnahme zum vierten Mal triumphiert. Nowitzki nennt James „unglaublich“; der Modellathlet sei „der wahrscheinlich beste AllAround-Spieler, den unser Sport je gesehen hat“.
Zu ihren gemeinsamen Vorbildern zählen Nowitzki und James Kobe Bryant, der zu Jahresbeginn bei einem tragischen Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Nowitzki denkt „sehr oft an ihn“, trauert aber auch um Bryants Tochter sowie die weiteren Menschen, die an Bord waren.
Der NBA stellt Nowitzki im Gespräch mit Dazn ein gutes Zeugnis aus; im Kampf gegen Rassismus gehe sie „mit gutem Beispiel voran. Die Liga macht ihre Spieler mündig und ermutigt sie dazu, ihre Plattform zu nutzen für soziale Gerechtigkeit.“Auch das Experiment der NBA, die Playoffs abgeschottet von der Öffentlichkeit in Sporthotels des Freizeitparks Disney World abzuhalten, sei geglückt: Allen Zweiflern zum Trotz sei „für die Sicherheit aller – ob Spieler, Familien oder
Schiedsrichter – gesorgt“; das habe die Liga „toll hinbekommen“.
Das größte Lob aber reserviert Nowitzki für den jungen Hoffnungsträger der Mavericks, Luka Doncic aus Slowenien: Dieser glänze neben seinem spielerischen Talent mit Cleverness, Spontaneität und mentaler Stärke. „Seine Konstanz mit 21 ist der absolute Wahnsinn!“Im Rückblick auf seine Karriere, die so lange dauerte wie Doncic auf der Welt ist, bereue er nichts: „Ich habe 21 Jahre lang alles gegeben, mental und physisch.“Der Mannschaft empfiehlt er Verstärkungen durch einen harten Verteidiger auf dem Flügel sowie unter dem Korb.
Einen Trainerjob kann sich Nowitzki nicht vorstellen. Eigentlich. Die Tür zu einer solchen Möglichkeit lasse er gern offen: „Gebt mir noch ein oder zwei Jahre...“