Ein Zauberer mit dem Ball
Er war einer der größten Fußballer der Geschichte. Im Alter von 60 Jahren ist Diego Maradona gestorben.
BUENOS AIRES Diego Armando Maradona Franco konnte mit dem Fußball Dinge anstellen, die in eine Zirkus-Manege gehörten. Sein Aufwärmprogramm war oft mehr als das Eintrittsgeld zu Fußballspielen wert. Maradona hat Massen verzückt, er wurde in Argentinien und in Neapel verehrt wie ein Heiliger. Er hat alles gewonnen, was ein Fußballer in seinem Leben gewinnen kann. Den Kampf gegen Alkohol- und Drogenabhängigkeit hat er nicht gewonnen. Im Alter von 60 Jahren ist einer der besten Fußballspieler aller Zeiten gestorben. Die argentinische Zeitung „Clarin“meldete zuerst, dass Maradona in seinem Haus in Tigre einen Herzstillstand erlitten habe. Der argentinische Fußballverband bestätigte die Meldung am Mittwochabend.
Anfang November war das Idol der Argentinier in eine Klinik in Buenos Aires eingeliefert worden. Schon ein paar Tage zuvor hatte er bei einem öffentlichen Auftritt am 60. Geburtstag fahrig und unsicher gewirkt. Sein Gesicht war aufgedunsen, der Blick flackernd, die Sprache undeutlich. In der Klinik wurde ein Blutgerinnsel im Gehirn entfernt, zunächst hieß es, er leide an Nachwirkungen von Drogen und Alkohol, die Entzugserscheinungen hätten zu Verwirrung geführt. Am 11. November wurde er zur Erholung nach Hause entlassen.
Maradonas Geschichte nach der aktiven Laufbahn ist eine Geschichte von Exzessen, wilden Partys, seltsamen Auftritten und Krankenhausaufenthalten. Immer wieder litt er an Kreislaufproblemen, zweimal kam es zu einem Herzinfarkt. Er erkrankte an Hepatitis, und er ließ sich wegen seines zeitweise grotesken Übergewichts den Magen verkleinern.
Auf dem Höhepunkt seiner Kokainabhängigkeit unterzog er sich vor 20 Jahren einer Entziehungskur auf Kuba. Fotos mit dem Präsidenten Fidel Castro gingen um die Welt. Den einstigen Revolutionär bezeichnete Maradona als seinen Freund, seine Biografie widmete er Castro und dem kubanischen Volk. Auf den Oberarm ließ er sich das berühmte Porträt von Che Guevara tätowieren. Man darf annehmen, dass er zum legendenumwitterten Wegbegleiter Castros eine ähnlich romantische Beziehung aufgebaut hatte wie viele junge Menschen in der westlichen Welt, die sein Konterfei auf T-Shirts tragen oder sein Bild an die Wand des ehemaligen Kinderzimmers hängen. Mit Politik hat es nichts zu tun.
Gegen Ende der 2010er Jahre kehrte Maradona noch einmal in den ganz großen Fußball zurück, er wurde Trainer der argentinischen Nationalmannschaft. Großartige Dinge spielten sich rund um ein Gastspiel in Deutschland ein paar Monate vor der Weltmeisterschaft in
Südafrika 2010 ab. Der Bayerische Hof in München wurde von argentinischen Fans geradezu belagert. Und gelegentlich zeigte sich Maradona unter dem Jubel der Anhänger auf dem Balkon. Unvergesslich sind die Trainingsstunden in München. Beim Warmschießen des Torwarts rauchte der Trainer eine dicke Zigarre, und trotzdem machte er seinen Spielern am Ball noch Kunststücke vor. Nach der Begegnung in der Münchner Arena, die Argentinien mit 1:0 gewann, verließ der Coach unter Protest das Podium der Pressekonferenz, weil ihm der Gastgeber offensichtlich einen Jugendspieler zur Seite gesetzt hatte. Das Missverständnis klärte sich auf, Maradona hatte Thomas Müller, den deutschen Jung-Nationalspieler nicht erkannt. Beim Turnier in Südafrika
lernte er ihn richtig kennen, Deutschland kegelte Argentinien im Viertelfinale mit 4:0 aus dem Wettbewerb.
Maradonas Elf war ein Opfer taktischer Fehler des Trainers. Eine der mangelnden Einsichten in die taktischen Kleinigkeiten mit der großen Wirkung war Maradonas Besessenheit, seinen Nachfolger Lionel Messi zu einer getreuen Kopie seiner selbst zu machen. Ungeachtet der Tatsache, dass Messis Klasse sich in Positionen am Flügel am besten entfaltet, sah Maradona in ihm einen Spielmacher und Torjäger – einen wie sich selbst. Die „Süddeutsche Zeitung“schrieb: „Kann es sein, dass der größte Fußballer aller Zeiten keine Ahnung vom Fußball hat?“
Dieser „größte Fußballer aller Zeiten“lebte sein Leben auf dem Rasen
aus dem Gefühl, Theorie und taktischer Überbau hatten da keinen Platz. Der 1,65 große Mittelfeldspieler improvisierte, sein Spiel kam aus dem Moment, und es entwickelte sich aus einem überragenden Gefühl für Ball und Raum. Früh prägte er den Fußball der großen Boca Juniors, und früh holte ihn der FC Barcelona nach Europa. Er wurde dort nicht richtig glücklich, weil die Abwehrspieler in der spanischen Liga wahre Hetzjagden auf ihn veranstalteten, und weil er Probleme mit dem deutschen Trainer Udo Lattek hatte. Lattek ließ einmal den Mannschaftsbus abfahren, weil Maradona wieder einmal eigene Zeitvorstellungen hatte. So ein Verhalten war für den genialen Spieler eine Form von Majestätsbeleidigung.
Er zog weiter zum SSC Neapel.
Dort wurde er zur Vertragsunterzeichnung in einem überfüllten Stadion begrüßt, und spätestens als er dem Klub mit seinem unwiderstehlichen Spiel Meistertitel schenkte, erreichte die Verehrung geradezu sagenhafte Ausmaße. Noch heute hängen seine Porträts wie Heiligenbilder in der Stadt. Sie werden von Kerzen beleuchtet und stehen auf kleinen Altären. Selbst heftige Steuervergehen gegen den italienischen Staat konnten Maradona in Neapel nicht vom Sockel stürzen – der italienische Staat ist im Süden eben auch weit weg.
In seine neapolitanische Zeit fallen die größten Erfolge des Spielers. Er war der unbestrittene Star der Liga, und er gewann mit Argentinien 1986 die Weltmeisterschaft durch ein 3:2 im Finale gegen
Deutschland. Es passt zu seiner widersprüchlichen Persönlichkeit, dass er in einem seiner besten Spiele des Turniers beim 2:0 im Viertelfinale gegen England nicht nur ein Traumtor nach einem Solo über den halben Platz erzielte, sondern auch einen eigentlich irregulären Treffer mit der Hand. Legendär ist seine Erklärung, da sei „die Hand Gottes“im Spiel gewesen.
Tatsächlich hat Maradona ein göttliches Talent als Spieler nicht nur verschleudert. Aber er war nie ein Musterprofi. Seine ungeheuerliche Begabung reichte aus, ohne zu intensives Training und trotz zahlreicher langer Partys immer noch besser zu sein als alle seine Zeitgenossen. Bis irgendwann der Körper nicht mehr so wollte, wie es ihm der Genius Maradona eingegeben hatte. Also half er mit Kokain nach. Beim ersten tiefen Sturz fiel er 1994 von der WM-Bühne in den USA. Die Dopingtester überführten ihn, und der Weltverband Fifa sperrte ihn für 15 Monate.
Endgültig begann ein Leben auf der Seite der Gesellschaft, die es mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt. Und es folgten zahlreiche Abstürze und Affären vor den Augen der Öffentlichkeit. Der einst kleine, scheue Junge aus Argentinien verstand es nicht, sein Leben an der Seite vieler falscher Freunde zu meistern. Ihm fehlte die Ausdrucksmöglichkeit auf dem Fußballplatz. Dort war er bei sich. Nur dort.